Drohende Hinrichtung trotz psychischer Erkrankung
Andre Lee Thomas soll am 5. April im US-Bundesstaat Texas hingerichtet werden. Der Schwarze US-Amerikaner wurde 2005 von einer Jury, die ausschliesslich aus weissen Geschworenen bestand, zum Tode verurteilt. Seine damaligen Rechtsbeistände unternahmen nichts, um das fragwürdige Auswahlverfahren für die Geschworenen, die Unparteilichkeit einiger Jurymitglieder und die Entscheidung über die Verhandlungsfähigkeit ihres Mandanten zu hinterfragen. Andre Lee Thomas leidet seit seiner Kindheit an schweren psychischen Erkrankungen, darunter auch Schizophrenie. Zum Tatzeitpunkt litt er unter einer schweren Psychose. Seine derzeitigen Rechtsbeistände haben Rechtsmittel gegen die Verfassungsmässigkeit seiner Hinrichtung eingelegt.
Andre Lee Thomas wurde 2005 für einen Mord zum Tode verurteilt, den er 2004 kurz nach seinem 21. Geburtstag begangen hatte. Am 17. März 2023 wird er 40 Jahre alt. Er wuchs in Armut auf und erfuhr in seiner Kindheit Vernachlässigung und Misshandlung. Viele seiner Familienmitglieder litten an psychischen Erkrankungen. Im Alter von neun oder zehn Jahren entwickelte Andre Lee Thomas akustische Halluzinationen und versuchte erstmals, sich das Leben zu nehmen. Mit 19 Jahren litt er unter regelmässigen und schweren akustischen Halluzinationen. Im Jahr 2004 durch-lebte Andre Lee Thomas eine schwere Psychose, die dazu führte, dass er sich selbst Stichverletzungen an der Brust zufügte. Vor diesem Hintergrund wurde als Notfallmassnahme zwei Mal Haftbefehl gegen ihn erlassen, er wurde jedoch nicht in Gewahrsam genommen. Kurz darauf erstach er seine 20-jährige Frau, von der er in Trennung lebte, so-wie die gemeinsamen Kinder: einen vierjährigen Jungen und ein 13 Monate altes Mädchen. Danach fügte er sich selbst Stichverletzungen zu. Kurz nach seiner Festnahme stach er sich das rechte Auge aus, und später auch das linke. Andre Lee Thomas wird in einer psychiatrischen Haftanstalt festgehalten.
Die Richterin Cathy Cochran des texanischen Berufungsgerichts beschrieb den Fall von Andre Lee Thomas als «ausserordentlich tragisch», da der Angeklagte unter «einer schweren psychischen Erkrankung» und «psychotischen Wahnvorstellungen» leide. Nichtsdestotrotz bestätigten sowohl die texanischen als auch die Bundesgerichte das Todesurteil – letztere wandten einen im US-amerikanischen Recht festgelegten Prüfungsmassstab an, nach dem die zu prüfenden Urteile nur in sehr eng definierten Fällen abgeändert oder gekippt werden. Dieses Vorgehen untergräbt die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren. Der texanische Begnadigungsausschuss befasst sich derzeit mit dem Gnadengesuch von Andre Lee Thomas.
Es besteht grosse Sorge, dass das Verfahren gegen Andre Lee Thomas durch rassistische Voreingenommenheit geprägt war. Für sein Verfahren wurden zwölf weisse Geschworene ausgewählt, von denen drei offen angaben, nichts von «Mischehen» und dem Zeugen von Kindern «gemischter Abstammung» zu halten. Sie sollten über das Schicksal eines Schwarzen Mannes entscheiden, der seine weisse Ehefrau und die gemeinsamen Kinder getötet haben soll. Nach Ansicht einer Richterin des Berufungsgerichts Court of Appeals for the Fifth Circuit war die Entscheidung, diese drei Jurymitglieder zuzulassen, «objektiv unvertretbar». Doch die damaligen Rechtsbeistände von Andre Lee Thomas befragten lediglich eine dieser drei Personen sehr oberflächlich zu diesen Ansichten. Sie beantragten weder die kollektive Entlassung der drei Geschworenen, noch erhoben sie Einspruch gegen ihre Ernennung. Im Jahr 2022 gaben drei Richter*innen des Obersten Gerichtshofs an, Andre Lee Thomas sei «von einer Jury [schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt worden], zu der drei Geschworene zählten, die ihm gegenüber voreingenommen waren». Die Richter*innen betonten, dass dem Angeklagten eindeutig sein verfassungsmässiges Recht auf eine wirksame rechtliche Vertretung vorenthalten worden war. Seine damaligen Rechtsbeistände hinterfragten ebensowenig die Entscheidung, ihn für verhandlungsfähig zu erklären, obwohl ihm starke Medikamente gegen seine Psychose verabreicht wurden, die eine sedierende Wirkung auf ihn hatten.
Das Völkerrecht verbietet die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen mit geistigen (psychosozialen) Erkrankungen, erfordert eine Rechtsprechung frei von rassistischer Diskriminierung und verlangt, dass Personen, die zum Tode verurteilt werden könnten, in allen Verhandlungsphasen Zugang zu angemessener rechtlicher Vertretung haben. Die Hinrichtung von Andre Lee Thomas würde gegen das Völkerrecht verstossen, an das alle Bundesstaaten in den USA gebunden sind.
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und uneingeschränkt ab. Seit 1976, als der Oberste Gerichtshof der USA neue Todesstrafengesetze bestätigte, wurden in den USA 1.565 Todesurteile vollstreckt. Im Jahr 2023 wurden in den USA bisher sieben Hinrichtungen vollzogen, drei davon in Texas. Der Bundesstaat ist für 37% (581) aller seit 1976 vorgenommenen Exekutionen verantwortlich.