Lange Gefängnisstrafen für zehn Nubier aus Ägypten
Zehn Nubier aus Ägypten sind am 10. Oktober vom Sonderstrafgericht in Riad zu Haftstrafen zwischen 10 und 18 Jahren verurteilt worden, weil sie friedlich eine Gedenkveranstaltung abhalten wollten. Das Gerichtsverfahren verlief grob unfair. Sie wurden beschuldigt, ohne Genehmigung einen Verein gegründet zu haben, Solidarität mit der Muslimbruderschaft zu zeigen und in den Sozialen Medien Beiträge veröffentlicht zu haben. Einige der Männer sind betagt und leiden an gesundheitlichen Problemen. Alle zehn Nubier müssen umgehend freigelassen werden.
Nach Angaben der Angehörigen von einem der Männer wurden sie auf Grundlage der Paragrafen 34, 43 und 44 des saudi-arabischen Antiterrorgesetzes verurteilt, weil sie ohne Lizenz einen Verein gegründet, sich mit der Muslimbruderschaft solidarisiert und Beiträge in sozialen Medien veröffentlicht hätten. Die Familien der 10 Männer wurden daran gehindert, der Urteilsverkündung beizuwohnen. Die Angehörigen von einem der Männer berichten, dass einige der Verurteilten schon älter sind und an gesundheitlichen Problemen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen leiden.
Die Männer waren am 14. Juli 2020 im Zusammenhang mit einer Kulturveranstaltung zum Gedenken an den arabisch-israelischen Krieg von 1973 zum zweiten Mal festgenommen worden. Diese Veranstaltung war für den 25. Oktober 2019 geplant gewesen. Zum ersten Mal waren sie am Morgen des Gedenktages festgenommen worden. Nach der zweiten Festnahme verbrachten sie die ersten beiden Monate ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft, ohne Zugang zu ihren Anwält*innen und Familien.
Am 10. November 2021 fand die erste Anhörung mit den zehn Nubiern aus Ägypten vor dem Sonderstrafgericht (SCC) statt. Zu diesen Zeitpunkt waren sie schon fast 16 Monate ohne Anklage inhaftiert. Bei dieser Anhörung trafen sie auch zum ersten Mal ihren Rechtsbeistand. Bei der zweiten Anhörung an 24. Januar 2021 machte ihre Verteidigung schriftlich geltend, dass die «Geständnisse» erpresst worden seien. Die Staatsanwaltschaft erhob Einspruch gegen diesen Absatz in den Gerichtsunterlagen und das Gericht wies den Rechtsbeistand an, diese Passage im Text zu ändern.
Die zehn festgenommenen ägyptisch-nubischen Männer sind: Adel Ibrahim Faqir (Leiter der nubischen Gemeinschaft in Riad), Dr. Farjallah Ahmed Youssef (ehemaliger Leiter der nubischen Gemeinschaft in Riad), Jamal Abdullah Masri (Vorsitzender der Dhamit Nubian Village Association in Riad), Mohamed Fathallah Gomaa, Sayyed Hashem Shater, Ali Gomaa Ali Bahr, Saleh Gomaa Ahmed, Abdulsalam Gomaa Ali Bahr, Abdullah Gomaa Ali und Wael Ahmed Hassan Ishaq (Mitglied der Thomas Nubian Village Association).
Das Sonderstrafgericht verurteilte Mohammad Fathallah Gomaa zu 18 Jahren Gefängnis, Dr. Farjallah Ahmed Youssef zu 17 Jahren Gefängnis sowie Adel Ibrahim Faqir und Sayyed Hashem Shater zu jeweils 14 Jahren. Die anderen sechs Männer erhielten Gefängnisstrafen zwischen 10 und 16 Jahren.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Die Nubier*innen sind eine ethnische Minderheit in Ägypten und im Sudan und wurden in der Vergangenheit aufgrund ihrer kulturellen, ethnischen und sprachlichen Identität marginalisiert und diskriminiert. 1964 vertrieb die ägyptische Regierung Tausende Nubier*innen gewaltsam aus ihren Häusern in Südägypten, um den Assuan-Staudamm zu bauen. Der Staudamm führte zur Überflutung mehrerer nubischer Dörfer und zu weiteren Vertreibungen. Die vertriebene nubische Bevölkerung siedelte sich in anderen Gebieten an und viele wanderten auf der Suche nach Arbeit in die arabischen Golfstaaten, z.B. nach Saudi-Arabien, aus. Um ihre Kultur und ihr Erbe zu bewahren, gründete die nubische Diaspora Kultur- und Sozialverbände. Seit Jahrzehnten wirken nubische Vereinigungen in Saudi-Arabien und konzentrieren sich ausschliesslich auf kulturelle und soziale Aktivitäten.
Seit Anfang der 2000er Jahre fordern nubische Aktivist*innen zunehmend die Rückgabe ihres angestammten Landes sowie Entschädigungen für die Vertreibung. In Artikel 236 der ägyptischen Verfassung von 2014 wurde zum ersten Mal ein umfassender Entwicklungsplan für marginalisierte Gebiete, darunter auch Nubien, unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaften festgelegt, um deren Erbe zu bewahren. Anfang 2020 bildeten 40 nubische Verbände in Riad eine Koalition und forderten den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi dazu auf, Artikel 236 einzuhalten und die Rückkehr der Nubier*innen in ihre Heimat zu ermöglichen.
Die Festnahme der zehn Nubier fand nach der Gründung der Koalition statt, am Morgen der jährlichen Veranstaltung zum Gedenken an die nubischen Soldaten, die im als Jom-Kippur bekannten Krieg vom 6. – 25. Oktober 1973 gekämpft hatten. In den vergangenen Jahren konnte die Veranstaltung in Saudi-Arabien stets durchgeführt werden, ohne dass es zu Repressalien gegen die nubische Gemeinschaft kam.
Am 3. September 2017 nahmen die ägyptischen Behörden 25 nubische Aktivist*innen fest, nachdem die Polizei ihren friedlichen Protest im Gouvernement Assuan gewaltsam aufgelöst hatte. Später wurden sie freigelassen und alle Anklagen fallen gelassen, wobei Gamal Sorour, einer der Aktivist*innen, in der Haft starb. 2021 dokumentierte Amnesty International die anhaltende Schikane nubischer Rechtsaktivist*innen durch den Geheimdienst (NSA), unter anderem durch Vorladungen zu Zwangsverhören ohne richterliche Anordnung.
Darüber hinaus führt das Sonderstrafgericht routinemässig Verfahren durch, die als grob unfair bewertet werden und zu harten Urteilen führen, darunter Haftstrafen von bis zu 20 Jahren, gefolgt von ebenso langen Reiseverboten, bis hin zur Todesstrafe. Diese Gerichtsverfahren gelten als Instrument zur Unterdrückung von Andersdenkenden.
Die Männer waren erstmals am Morgen des 25. Oktober 2019 festgenommen worden. Die saudischen Sicherheitsbeamt*innen befragten sie zu der Veranstaltung und warfen ihnen vor, dass sie kein Foto des ägyptischen Präsidenten General Abdelfattah al-Sisi und anderer ägyptischer Armeegeneräle auf dem Ankündigungsplakat der Veranstaltung abgebildet hatten. Die Männer erklärten, die Veranstaltung sei nicht politisch, sondern diene vielmehr der Ehrung nubischer Soldaten, die an diesem Krieg teilgenommen hätten. Am 25. Dezember 2019, nach zwei Monaten Haft ohne Anklage, wurden die Männer bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens freigelassen, jedoch mit einem Reiseverbot belegt. Am 14. Juli 2020 wurden alle zehn Männer erneut festgenommen und im al-Ha'ir-Gefängnis in der saudischen Hauptstadt Riad inhaftiert. Im April 2021 wurden sie in das Assir-Gefängnis in der Stadt Abha verlegt und weiterhin ohne Anklage festgehalten. Sie erhielten keinen Zugang zu Rechtsbeiständen ihrer Wahl und stattdessen teilten die Behörden ihnen Anwält*innen zu. Das ägyptische Konsulat in Riad hat den Inhaftierten bisher weder konsularischen Beistand geleistet noch Unterstützung bei der Durchsetzung der konsularischen Rechte angeboten, obwohl ihre Familien immer wieder darum gebeten haben. Stattdessen gab das Konsulat am 29. Oktober 2020 eine Erklärung ab, in der sie die Inhaftierung der nubischen Männer befürwortete.