Schuldspruch auf Grundlage konstruierter Anklagen
Nach einem wochenlangen Gerichtsverfahren wurden Syamsul und Samsir Bahri, Vater und Sohn einer kleinbäuerlichen Gemeinschaft in der Provinz Nordsumatra, der Körperverletzung schuldig gesprochen. Es ist zu befürchten, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe konstruiert sind und ihre Strafverfolgung lediglich einen Versuch darstellen, ihre Umwelt- und Menschenrechtsarbeit zu kriminalisieren. Vater und Sohn wurden zu einer zweimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Verstossen sie während der viermonatigen Bewährungszeit gegen die Auflagen, drohen ihnen zwei Monate Haft. Da die Staatsanwaltschaft von Langkat Regency Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, droht ihnen dennoch eine Gefängnisstrafe.
Syamsul Bahri und sein Sohn Samsir wurden aufgrund konstruierter Anschuldigungen vor Gericht gestellt und verurteilt. Laut Amnesty International vorliegenden Informationen lagen dem Gericht im Verfahren keine glaubwürdigen Beweise vor, die den Vorwurf erhärtet hätten, Vater und Sohn seien in eine Straftat verwickelt gewesen. Umso besorgniserregender ist es, dass die Staatsanwaltschaft von Langkat Regency Rechtsmittel gegen die Bewährungsstrafe eingelegt hat. Syamsul Bahri und sein Sohn Samsir engagieren sich in Nordsumatra in der Gruppe Kelompok Tani Nipah (Gruppe der Nipah-Bäuer*innen) Es ist zu befürchten, dass sie vor Gericht gestellt wurden, um ihre Arbeit als Umweltaktivisten zu behindern.
Syamsul und Samsir Bahri waren am 10. Februar 2021 für 14 Tage in Gewahrsam genommen und am 24. Februar gegen Kaution freigelassen worden. Am 29. März begann der Prozess gegen die beiden Umweltaktivisten. Am 31. März wurden Syamsul und Samsir Bahri der Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer zweimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, sodass sich beide derzeit unter Auflagen auf freiem Fuss befinden. Damit fiel das Urteil milder aus als die Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie hatte eine Haftstrafe von sechs Monaten gefordert. Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen den Urteilsspruch Rechtsmittel einlegte, entschied auch die Familie von Syamsul und Samsir Bahri, das Urteil anzufechten.
Es ist zu befürchten, dass Syamsul und Samsir Bahri zu Unrecht inhaftiert werden, falls dem Antrag der Staatsanwaltschaft im Rechtsmittelverfahren stattgegeben wird. Ausserdem würde die Verbreitung von Covid-19 in den indonesischen Gefängnissen insbesondere Syamsul Bahris Gesundheit gefährden, da er unter anderem an Diabetes leidet und regelmässigen Zugang zu medizinischer Versorgung benötigt.
In Indonesien dürfen Personen wegen der Verteidigung des Rechts auf eine intakte und gesunde Umwelt nach Paragraf 66 des Gesetzes 32/2009 weder straf- noch zivilrechtlich verfolgt werden. Die Kriminalisierung von Syamsul und Samsir Bahri stellt somit nicht nur eine Verletzung der Rechte dieser beiden Männer dar, sie bedroht auch die Arbeit und die Rechte aller Menschenrechtsverteidiger*innen in Indonesien, einschliesslich derer, die friedlich ihre Landrechte einfordern.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Ende 2017 erteilte die Regierung der Gruppe Kelompok Tani Nipah im Rahmen einer Genehmigung für soziale Forstwirtschaft das Recht, ein 242 Hektar grosses Gebiet im Dorf Kwala Serapuh in der Provinz Nordsumatra nachhaltig zu bewirtschaften. Seither arbeitet die Gruppe an der Aufforstung der Mangrovenwälder in diesem Gebiet. Die Kleinbäuer*innen protestieren gegen ein Palmölunternehmen, das in dem Gebiet eine Plantage betreibt, für das die Gruppe das Recht zur Bewirtschaftung beansprucht.
Die Anzeige gegen Syamsul und Samsir Bahri geht auf einen Vorfall im Dezember 2020 zurück, als einige Nipah-Bäuer*innen an einem Umweltsanierungsprojekt in dem Gebiet arbeiteten, das sie im Rahmen des Programms für soziale Forstwirtschaft bewirtschaften. Laut Zeug*innen, deren Aussagen von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen – darunter WALHI North Sumatra, LBH Medan und Srikandi Lestari – aufgenommen wurden, betraten am 18. Dezember zwei Personen das Gelände und fotografierten die Bäuer*innen bei der Arbeit.
Der Vorstand der Kelompok Tani Nipah, Syamsul Bahri, fragte die beiden Personen nach den Gründen für ihre Anwesenheit. Danach entfernte sich einer der Männer ein Stück und rief seiner Begleitung laut zu, dass er verprügelt werde, sodass Umstehende es hören konnten. Anschliessend sprang er in den Fluss. Die Bäuer*innen holten ihn schnell mit einem Boot aus dem Wasser und brachten ihn in Sicherheit. Danach baten sie ihn, zu präzisieren, was er zuvor durch den Ausruf impliziert hatte. Daraufhin beteuerte der Mann, dass er von keinem Mitglied der Gemeinschaft verprügelt worden sei. Diese Aussage wurde von einem der anwesenden Bauern in einem Video festgehalten. Kurz darauf verliessen die beiden Personen das Gelände wieder.
Fast zwei Monate später erhielten Syamsul und Samsir Bahri am 8. Februar 2021 ein Vorladungsschreiben der Polizei von Tanjung Pura. Sie sollten am 10. Februar als Verdächtige zu einer Befragung erscheinen. Einer der beiden Männer hatte bei der Polizei Anzeige erstattet und behauptet, Syamsul Bahri und andere Bäuer*innen hätten ihn am 18. Dezember 2020 angegriffen. Er und sein Sohn wurden nach Paragraf 170 (1) des Strafgesetzbuches wegen gemeinschaftlicher Gewalt durch eine Gruppe angeklagt. Die Anklagen gegen die beiden werfen Fragen auf, da Syamsul und Samsir Bahri zu keinem Zeitpunkt als Zeugen befragt oder um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten worden waren.
Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Syamsul und Samsir Bahri einsetzen, gehen davon aus, dass die Festnahme auf falschen Anschuldigungen gegen die beiden beruht. Die Inhaftierung stelle eine Form der Kriminalisierung dar, die darauf abzielt, die Arbeit der Gemeinschaft zur Erhaltung der Mangrovenwälder und zur Einforderung ihrer Landrechte zu untergraben. Laut den Rechtsbeiständen von Syamsul und Samsir Bahri, lagen zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung keine glaubwürdigen Beweise vor, welche die Anschuldigungen gegen die beiden belegt hätten. Somit beruhte die Anklage auf fadenscheinigen Anschuldigungen.
Menschenrechtler*innen, die sich in Indonesien für den Schutz und die Förderung von Umwelt- und Landrechten einsetzen, werden zunehmend schikaniert und kriminalisiert, wenn staatliche und wirtschaftliche Akteure ihre Aktivitäten als Hindernis für die Umsetzung ihrer Entwicklungsprojekte betrachten. Einer der bedeutendsten Kriminalisierungsfälle ereignete sich 2017, als der Umweltschützer Heri Budiawan, auch bekannt als Budi Pego, zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Ihm war im Zusammenhang mit seinem Engagement gegen den Goldabbau in Tumpang Pitu, Banyuwangi in der Provinz Ost-Java Verbreitung von Kommunismus vorgeworfen worden.
Von Januar bis Juni 2021 dokumentierte Amnesty International Festnahmen, Angriffe und die Einschüchterungen von mindestens 107 Menschenrechtsverteidiger*innen in Indonesien – darunter auch Umweltschützer*innen, die ihre Rechte auf Land und eine gesunde Umwelt verteidigten.