19.05.2020: Frist verlängert
Repression nimmt zu
In Zeiten der COVID-19-Pandemie gehen die venezolanischen Behörden weiterhin mit exzessiver Gewalt, willkürlichen Inhaftierungen, Verschwindenlassen und anderen Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle vor, um kritische Stimmen gegen die Regierung zum Schweigen zu bringen. Nun kam es zu weiteren Festnahmen.
Am 2. April wurden Maury Carrero und Demóstenes Quijada von der Sondereinheit FAES der venezolanischen Nationalpolizei festgenommen. Seitdem befinden sich der Gemeinderatsmitarbeiter und der Berater des Präsidenten der Nationalversammlung Juan Guaidó in Gewahrsam. Bereits zuvor, am 30. März, war Andrea Bianchi von unbekannten PolizeibeamtInnen festgenommen worden. Die Partnerin eines weiteren Beraters von Juan Guaidó berichtete nach ihrer Freilassung, dass sie in Gewahrsam geschlagen und mit sexualisierter Gewalt bedroht worden sei. In den letzten Monaten wurden mindestens zehn weitere Personen, die mit Abgeordneten oder Beschäftigten der Oppositionsparteien in Venezuelas Nationalversammlung in Verbindung stehen, festgenommen. Die massive Repression gegen Oppositionelle muss umgehend eingestellt werden.
Die venezolanischen Behörden gehen mit exzessiver Gewalt, willkürlichen Inhaftierungen, Verschwindenlassen und anderen Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle vor, um kritische Stimmen gegen die Regierung zum Schweigen zu bringen. In Zeiten einer globalen Gesundheitskrise sind Repression und Zensur, die insbesondere gegen Mitglieder der Oppositionsparteien in Venezuelas Nationalversammlung eingesetzt werden, noch folgenschwerer als sonst. Gerade jetzt sollten die Menschenrechte geschützt werden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Nachdem der Präsident der Nationalversammlung, Juan Guaidó, am 11. Februar 2020 nach Venezuela zurückkehrte, wurde sein Onkel Juan José Márquez willkürlich inhaftiert. Ihm wurde vorgeworfen, auf einem Flug von der portugiesischen Hauptstadt Lissabon Sprengstoffe nach Caracas (Aeropuerto Internacional de Maiquetía Simón Bolívar) geschmuggelt zu haben. Die Inhaftierung von Juan José Márquez steht exemplarisch für das Vorgehen gegen Menschen, die Abgeordneten und Beschäftigten von Oppositionsparteien nahestehen.
Zu den willkürlich inhaftierten Abgeordneten von Oppositionsparteien gehören:
Ismael Léon, der am 21. Januar 2020 festgenommen wurde und am 23. Januar unter Auflagen wieder freikam.
Juan Requesens, der sich Berichten zufolge seit dem 5. Februar ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft befindet. Nach Aussagen seiner Rechtsbeistände wurde Juan Requesens gefoltert und anderweitig misshandelt. Ausserdem sei es in seinem Verfahren zu erheblichen Unregelmässigkeiten gekommen.
Gilber Caro war einen Monat lang Opfer des Verschwindenlassens. Er ist seit dem 20. Dezember 2019 willkürlich inhaftiert.
Roberto Marrero ist der Büroleiter von Parlamentspräsident Juan Guaidó. Er wurde am 21. März 2019 festgenommen und befindet sich in Gewahrsam des venezolanischen Geheimdienstes (Servicio Bolivariano de Inteligencia Nacional – SEBIN) in El Helicoide in Caracas.
Dies ist nicht das erste Mal, dass Präsident Nicolás Maduro und seine Regierung Abgeordnete und Beschäftigte der Nationalversammlung einschüchtern, schikanieren, tätlich angreifen, sie willkürlich inhaftieren oder verschwinden lassen. Seit mehreren Jahren sehen sich Dutzende Mitglieder der Opposition aufgrund der Drohungen der Maduro-Regierung gezwungen, das Land zu verlassen und im Ausland Asyl zu beantragen. Mindestens zwei Abgeordnete der Oppositionsparteien, Freddy Guevara und Roberto Enriquez, haben bei ausländischen Botschaften in Venezuela Schutz gesucht. Dort befinden sie sich seit fast drei Jahren.
Seit der Verbreitung von COVID-19 in Venezuela nehmen die Behörden auch andere kritische Stimmen ins Visier. Dazu gehört der Journalist und ehemalige gewaltlose politische Gefangene Darvinson Rojas, der über die Pandemie berichtete. Darvinson Rojas wurde am 21. März festgenommen und kam am 2. April gegen Kaution wieder frei. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn ist noch anhängig, die Vorwürfe lauten «Aufruf zum Hass» und «Anstiftung zu Straftaten». Amnesty International geht davon aus, dass die Anschuldigungen gegen ihn politisch motiviert sind, um den Journalisten davon abzuhalten, weiter über die Pandemie in Venezuela zu berichten. Die Organisation fordert die Einstellung des Verfahrens. (Vgl. UA-037/2020)
Diese Massnahmen sind ein Versuch, bürgerliche und politische Rechte systematisch zu unterdrücken. Es scheint, als käme dieser Versuch direkt von der Spitze der Maduro-Regierung. In dem 2019 veröffentlichten Bericht Hunger for Justice: Crimes against Humanity in Venezuela kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass die selektiven aussergerichtlichen Hinrichtungen, willkürlichen Inhaftierungen und die Toten und Verletzten infolge der exzessiven Gewaltanwendung der Regierung von Nicolás Maduro, die Teil der systematischen und weitverbreiteten Repression seit mindestens 2017 sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten.
Seit 2014 flüchten so viele VenezolanerInnen wie nie zuvor auf der Suche nach Sicherheit und einem menschenwürdigen Leben ins Ausland. Bis März 2020 haben Schätzungen zufolge 4,9 Millionen Menschen das Land verlassen und es wird davon ausgegangen, dass die Zahl bis Ende 2020 auf 5,5 Millionen Geflüchtete ansteigt.