Inhaftierter Aktivist in akuter Lebensgefahr
Das Leben des ägyptisch-britischen Aktivisten Alaa Abdel Fattah ist in akuter Gefahr. Er befindet sich seit dem 2. April im Hungerstreik und hat seitdem täglich nur 100 Kalorien und Wasser zu sich genommen. Seit dem 1. November verweigert er jegliche Nahrung und hat angekündigt, ab dem 6. November auch kein Wasser mehr zu sich zu nehmen. Er und seine Familie sehen in diesem Schritt die letzte Protestmöglichkeit gegen seine Inhaftierung. Am 6. November begann im ägyptischen Ferienort Sharm-el-Sheikh die UN-Klimakonferenz (COP27). Alaa Abdel Fattah hat den Grossteil der letzten neun Jahre unrechtmässig seiner Freiheit beraubt im Gefängnis verbracht; er wurde zuletzt im September 2019 festgenommen. Am 20. Dezember 2021 wurden er und der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer (auch: Baker) auf Grundlage konstruierter Anklagen in einem unfairen Gerichtsverfahren zu fünf bzw. vier Jahren Gefängnis verurteilt. Beide Aktivisten sind gewaltlose politische Gefangene, die nur wegen der Ausübung ihres friedlichen Aktivismus zur Zielscheibe der Behörden wurden. Beide Männer müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abdel Fattah muss dringend freigelassen werden. Seit über 200 Tagen nimmt er nur 100 Kalorien pro Tag zu sich, um gegen seine unrechtmässige Inhaftierung und die Verweigerung von Besuchen durch Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 31. Oktober kündigte er in einem Brief an seine Familie an, seinen Hungerstreik weiter zu verschärfen, indem er die tägliche Nahrungsaufnahme gänzlich stoppen werde. Seit dem 6. November, dem Eröffnungstag des UN-Klimagipfels (COP27) in Ägypten, trinkt er auch kein Wasser mehr. Alaa Abdel Fattah schrieb in seinem Brief: «Ich habe die Entscheidung getroffen, meinen Hungerstreik zu einem Zeitpunkt zu verschärfen, den ich als passend empfinde. Mit diesem Schritt kämpfe ich für meine eigene Freiheit und für die Freiheit von Gefangenen eines Konflikts, an dem sie nicht beteiligt sind oder dem sie entkommen wollen. Ich kämpfe mit diesem Schritt auch für die Opfer eines Regimes, das sich unfähig zeigt, auf Krisen zu reagieren, es sei denn mit Unterdrückung, und das sich ebenso unfähig zeigt, sich am Leben zu erhalten, es sei denn durch das Einsperren von Oppositionellen.»
Die Sorgen um das Leben von Alaa Abdel Fattah werden immer ernster. Sein allgemein schlechter Gesundheitszustand und seine Entscheidung, kein Wasser mehr zu trinken, bis die ägyptischen Behörden ihn freilassen, tragen weiter dazu bei. Die Gefängnisbehörden haben ihm wiederholt den schriftlichen Austausch mit seiner Familie untersagt. Es ist daher zu befürchten, dass seine Familie in den kritischen Tagen nach dem 6. November keine Informationen über ihn erhält. Der nächste Haftbesuch seiner Familie ist für den 18. November angesetzt.
Alaa Abdel Fattah wurde zuletzt im September 2019 festgenommen und war danach Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt. Im Dezember 2021 wurde er von einem Staatssicherheitsgericht auf der Grundlage konstruierter Anklagen für schuldig befunden, obwohl er nur friedlich seine Menschenrechte ausgeübt hatte. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der nicht inhaftiert sein sollte. Durch seine Inhaftierung sind die ihn festhaltenden Behörden verantwortlich für ihn und sein Leben.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete. Die beiden gehören zu den Tausenden von Menschen, die in Ägypten nach grob unfairen Verfahren, einschliesslich Massen- und Militärprozessen, willkürlich inhaftiert sind, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben.
Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer befinden sich seit dem 29. September 2019 in Haft. Ihnen wird u. a. «Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung», «Finanzierung einer terroristischen Vereinigung», «Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben» und «Nutzung Sozialer Medien zum Verüben eines Veröffentlichungsdelikts» zur Last gelegt; dies geschieht unter der Fallnummer 1356/2019 der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft. Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als «Rotation» bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können.
Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan «Oxygen» wurde ebenfalls wegen Anklagen der «Verbreitung falscher Nachrichten» im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Die Rechtsbeistände reichten Beschwerden bei der Behörde ein, die für die Bestätigung der Urteile von Staatssicherheitsgerichten zuständig ist. Das Ziel war dabei, Präsident Abdel Fattah al-Sisi dazu zu bewegen, diese Urteile gemäss Paragraf 14 des Notstandsgesetzes für nichtig zu erklären. Doch am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahme. Die Rechtsbeistände von Mohamed al-Baqer haben vor dem Staatsrat – dem Oberverwaltungsgericht – beantragt, dass die 31 Monate, die er bereits in Untersuchungshaft verbracht hat, auf seine Strafe angerechnet werden.
Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer waren bis Mai 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigern ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene dürfen Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von ausserhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönlichen Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihnen verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheitsgefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach grossem öffentlichen Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi-el-Natroun verlegt. Am 2. Oktober 2022 wurde Mohamed al-Baqer ins Gefängnis Badr 1 verlegt. Seine Frau durfte ihn das erste Mal seit zwei Jahren ohne trennende Gitterstäbe zwischen den beiden besuchen. Und nach drei Jahren konnte er das erste Mal wieder Tageslicht sehen.
Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage. Am 25. Oktober 2022 wurden Dutzende Menschen festgenommen, von der Staatsanwaltschaft befragt und anschliessend in Untersuchungshaft genommen wegen ihrer Aufrufe zu friedlichen Protesten während der UN-Klimakonferenz (COP27), die vom 6. bis 18. November 2022 im ägyptischen Sharm-el-Sheik stattfindet.
Am 23. November 2020 war im Amtsblatt die Entscheidung des Kairoer Strafgerichts veröffentlicht worden, Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah im Rahmen des Falls Nr. 1781/2019 der SSSP ohne rechtsstaatliches Verfahren für fünf Jahre auf die «Terroristenliste» zu setzen. Am 18. Januar 2022 wies das Kassationsgericht die von ihnen eingelegten Rechtsmittel gegen das Urteil endgültig ab. Diese Entscheidung hat unter anderem ein Reiseverbot, das Einfrieren von Vermögenswerten und ein fünfjähriges Verbot politischer oder zivilgesellschaftlicher Tätigkeit zur Folge.