Geheimes Verfahren gegen Menschenrechtler
Die NGO-Mitarbeiter Cheng Yuan, Liu Yongze und Wu Gejianxiong sind seit dem 22. Juli 2019 ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft. Am 10. Juli erfuhr die Ehefrau von Cheng Yuan durch die Staatsanwaltschaft, dass am 24. Juni eine Anklageschrift in dem Fall erlassen worden sei und dass allen dreien nun wegen des Vorwurfs «der Untergrabung der Staatsmacht» der Prozess gemacht werden soll. Da die Behörden weder weitere Angehörige der drei Männer noch die von diesen beauftragten Rechtsbeistände über die Anklageerhebung informiert haben, besteht die Befürchtung, dass die drei Menschenrechtsverteidiger im Geheimen vor Gericht gestellt werden könnten.
Die drei Mitglieder der gemeinnützigen NGO Changsha Funeng, Cheng Yuan (程渊), Liu Yongze (刘永泽) und Wu Gejianxiong (吴葛健雄), sind seit dem 22. Juli 2019 ohne Kontakt zur Aussenwelt inhaftiert. Es ist beunruhigend, dass die Angehörigen der drei Männer fast ein Jahr lang über den Fall im Dunkeln gelassen wurden und erst durch einen Telefonanruf bei der Staatsanwaltschaft am 10. Juli von der Anklageerhebung erfuhren.
Die drei Antidiskriminierungsaktivisten, die jetzt in der Hafteinrichtung des Bezirks Kaifu der Stadt Changsha inhaftiert sind, sind wegen «Anstiftung zur Untergrabung der Staatsmacht» (煽动颠覆国家政权罪) angeklagt und warten auf ihren Prozess vor dem Mittleren Volksgericht von Changsha. Möglicherweise wurden die drei Männer unter Druck gesetzt, die im März 2020 von ihren Familien für sie beauftragten Rechtsbeistände zu entlassen.
Die Aktivisten werden seit mehr als einem Jahr ohne Kontakt zur Aussenwelt festgehalten, ohne dass ihre Angehörigen oder Rechtsbeistände ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden überprüfen können. Angesichts der kaum möglichen Sicherheitsvorkehrungen in dieser Situation besteht grosse Sorge, dass sie gefoltert oder in anderer Weise misshandelt werden könnten.
Es ist beunruhigend, dass Personen wie Cheng Yuan, Li Yongze und Wu Gejianxiong, die sich für den Schutz der Rechte marginalisierter und unter Diskriminierung leidender Menschen in der Gesellschaft einsetzen, auf eine solche Weise festgehalten und auf der Grundlage vage definierter Bestimmungen über die nationale Sicherheit angeklagt werden. Angesichts der mangelnden Transparenz, mit der dieser Fall bisher behandelt wurde, besteht Anlass zur Sorge, dass die drei Menschenrechtler bald im Geheimen vor Gericht gestellt werden könnten.
Amnesty International betrachtet Cheng Yuan, Liu Yongze und Wu Geijianxiong als gewaltlose politische Gefangene, da sie nur aufgrund ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit inhaftiert sind.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Changsha Funeng (长沙富能) ist eine in Changsha ansässige NGO, die 2016 unter anderem von Cheng Yuan gegründet wurde. Die Organisation tritt für die Rechte marginalisierter Gruppen ein, darunter Menschen mit Behinderungen, und sie kämpft auf dem Rechtsweg gegen Beschäftigungsdiskriminierung von Menschen mit HIV und Hepatitis B. Cheng Yuan, der Leiter der Organisation, ist ein erfahrener Aktivist für gemeinnützige und juristische Angelegenheiten in China. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat er KlientInnen in rund zwölf Fällen von Diskriminierung aufgrund von Hepatitis B und AIDS vertreten und dazu beigetragen, dass die institutionelle Diskriminierung von HepatitispatientInnen in China abgebaut wird. 2013 führte er einen wichtigen Prozess, bei dem zum ersten Mal eine HIV-positive Person in China eine Entschädigung für die von ihr erlebte Arbeitsdiskriminierung erhielt. Darüber hinaus arbeitet Cheng Yuan in rechtlichen Verfahren und durch Lobbyarbeit für die Abschaffung der Ein-Kind-Politik und für eine Reform des chinesischen Wohnort-Meldesystems. Liu Yongze und Xiao Wu sind Mitarbeiter von Changsha Funeng.
Seit dem 22. Juli 2019 gibt es keinen Kontakt mehr zu den drei Aktivisten. Liu Yongze und Xiao Wu wollten am Nachmittag dieses Tages einen Rechtsbeistand wegen eines Gerichtsverfahrens treffen. Der Rechtsbeistand konnte weder Kontakt zu den beiden aufnehmen, noch erschienen sie zu dem vereinbarten Treffen. Etwa zur selben Zeit konnte der Leiter von Changsha Funeng, Cheng Yuan, auch nicht mehr kontaktiert werden. Später wurde bestätigt, dass Cheng Yuan, Liu Yongze und Wu Gejianxiong am 22. Juli 2019 zuhause in Changsha festgenommen worden waren.
Eine Woche vor seiner Inhaftierung war Cheng Yuan inmitten der aktuellen Proteste gegen das Auslieferungsgesetz nach Hongkong gereist, um einige persönliche und organisatorische Belange zu erledigen. Er erwähnte einem Freund gegenüber, dass die Polizei mit KooperationspartnerInnen der NGO gesprochen und ihnen gesagt habe, dass sie ihn in Kürze festnehmen würden.
Auch die Angehörigen der drei Aktivisten werden von der Polizei schikaniert und bedroht, damit sie sich nicht online äussern und aufhören, mit den Medien über die Inhaftierung der Männer zu sprechen. Die Ehefrau von Cheng Yuan, Shi Minglei, wurde am 22. Juli 2019 ebenfalls verhört und ist seither wegen «Verdachts der Untergrabung der Staatsgewalt» unter Hausarrest gestellt. Während des Verhörs drohte der Angehörige der Staatssicherheit, dem dreijährigen Kind der beiden Schaden zuzufügen und weitere Bekannte der Frau zu inhaftieren, sollte sie sich nicht kooperativ zeigen. Am 8. August 2019 wurde der Bruder von Cheng Yuan, Cheng Hao, zur Befragung vorgeladen, nachdem er öffentlich für die Freilassung seines Bruders eingetreten war.
Im März 2020 erhielten die von den Angehörigen beauftragten Rechtsbeistände von den Behörden die Nachricht, dass sie „entlassen“ worden seien. Die Behörden behaupteten, dass die Entlassungen von den drei Inhaftierten beantragt worden wären, obwohl es den Rechtsbeiständen nie erlaubt worden war, ihre Mandanten überhaupt zu sehen. Die Familien der Menschenrechtsaktivisten glauben, dass die drei gezwungen wurden, die von ihnen beauftragten Rechtsbeistände zu entlassen. Amnesty International hat Fälle dokumentiert, bei denen die chinesischen Behörden inhaftierte MenschenrechtsverteidigerInnen gezwungen haben, Rechtsbeistände ihrer Wahl zu entlassen, und stattdessen regierungsnahe AnwältInnen zu beauftragen, die sie gegen politisch motivierte Anschuldigungen verteidigen sollten.