Journalist bleibt untergetaucht
Aung Marm Oo, Chefredakteur einer Nachrichtenagentur im Bundesstaat Rakhine, hält sich seit über einem Jahr versteckt. Er steht unter Anklage, gegen das Vereinigungsgesetz verstossen zu haben. Seine Nachrichtenagentur Development Media Group (DMG) berichtet über Menschenrechtsverstösse im Konflikt zwischen dem Militär und der bewaffneten Gruppierung Arakan Army im Bundesstaat Rakhine. Sollte er nach diesem repressiven, häufig gegen ethnische Minderheiten in Myanmar eingesetzten Gesetz verurteilt werden, drohen ihm bis zu fünf Jahre Gefängnis. Amnesty International hält die Vorwürfe für haltlos und politisch motiviert.
Als Chefredakteur und Geschäftsführer der Development Media Group (DMG) im Bundesstaat Rakhine ist Aung Marm Oo vermutlich deswegen ins Visier der Behörden geraten, weil seine Nachrichtenagentur über den fortdauernden Konflikt zwischen dem myanmarischen Militär und der Arakan Army in den Bundesstaaten Rakhine und Chin berichtet. Das Recht auf freie Meinungsäusserung sowie die Medienfreiheit sind umfassend und wirksam zu achten, zu schützen und zu fördern. Medienschaffende müssen ihrer Arbeit ohne Furcht vor Einschüchterung, Schikane, Festnahme oder Strafverfolgung nachgehen können.
Die Tatsache, dass die Behörden mehr als ein Jahr, nachdem eine Sondereinheit der Polizei gemäss Paragraf 17(2) des Vereinigungsgesetzes Klage gegen Aung Marm Oo eingereicht hat, weder seiner Familie noch der Development Media Group eine schriftliche Begründung der Klage vorgelegt haben, gibt Anlass zur Sorge. Bisher gab es keinerlei Erklärung, warum die Behörden das Haus von Aung Marm Oo durchsucht, seine Angehörigen befragt und seine KollegInnen zu seinem Verbleib und der Berichterstattung von DMG über die Lage im Bundesstaat Rakhine verhört haben.
Internationale Menschenrechtsnormen sehen vor, dass jede Person, der eine Straftat zur Last gelegt wird, das Recht hat, umgehend, detailliert und schriftlich über die Art und den Grund der Anklage informiert zu werden Das Recht auf freie Meinungsäusserung schliesst das Recht ein, über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. Die kritische Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige darf nicht eingeschränkt und keinesfalls kriminalisiert werden.
Beunruhigend ist auch das fortdauernde harte Vorgehen gegen unabhängige Medien und friedliche AktivistInnen in Myanmar. Mindestens drei MitarbeiterInnen anderer Medienhäuser wurden in den vergangenen zwei Monaten beschuldigt, gegen Gesetze zur Terrorbekämpfung verstossen zu haben. Währenddessen hat die DMG Schwierigkeiten, ihre Medien- und Verlagslizenzen zu erneuern, was sie daran hindert, legal ihrer Arbeit nachzugehen. Ermöglicht wird dieses Vorgehen durch eine Reihe vage formulierter Gesetze, die es den Behörden erlauben, JournalistInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen und friedliche AktivistInnen festzunehmen, zu inhaftieren und strafrechtlich zu verfolgen.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Aung Marm Oo ist Gründer und Chefredakteur der Development Media Group (DMG), einer 2012 gegründeten Nachrichtenagentur, die über aktuelle Themen berichtet, insbesondere über Geschehnisse im Bundesstaat Rakhine im Westen von Myanmar. Seit Anfang 2019 berichtet die DMG über den Konflikt zwischen dem Militär und der Arakan Army, einer bewaffneten Gruppe aus dem Bundesstaat Rakhine. Im Fokus stehen dabei begangene Menschenrechtsverstösse, insbesondere des Militärs.
Am 1. Mai 2019 wurde Aung Marm Oo unter Paragraf 17(2) angeklagt. Dieser sieht bis zu fünf Jahre Gefängnis für Personen vor, die eine rechtswidrige Vereinigung leiten oder durch Werbung oder Beihilfe ermöglichen. Das Vereinigungsgesetz ist vage formuliert und wird von den Behörden seit Längerem eingesetzt, um in konfliktreichen Regionen Angehörige ethnischer Minderheiten festzunehmen und zu inhaftieren. Bis heute hat Augn Marm Oo keine Kenntnis darüber, worauf sich die Vorwürfe konkret beziehen, da die Behörden weder seinen Angehörigen noch DMG eine offizielle Begründung haben zukommen lassen. Aung Marm Oo geht davon aus, dass sie mit der Berichterstattung von DMG in Verbindung stehen. Aus Angst vor Festnahme und Inhaftierung ist er vor mehr als einem Jahr untergetaucht.
Internationale Menschenrechtsnormen sehen vor, dass jede Person, der eine Straftat zur Last gelegt wird, das Recht hat, umgehend, detailliert und schriftlich über die Art und den Grund der Anklage informiert zu werden. Eine mündliche Mitteilung muss schriftlich bestätigt werden. Die myanmarischen Behörden verstossen gegen dieses Recht, indem sie Aung Marm Oo nicht über die Vorwürfe gegen ihn in Kenntnis setzen. Darüber hinaus gefährden sie sein Recht auf angemessene Vorbereitung seiner Verteidigung, welches ebenfalls völkerrechtlich verankert und ein wichtiger Schutzmechanismus gegen unfaire Gerichtsverfahren ist. Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben. Es schliesst die Freiheit ein, „über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“. Die kritische Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige darf nicht eingeschränkt und keinesfalls kriminalisiert werden.
Amnesty International und andere Organisationen haben schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Kriegsverbrechen, durch das myanmarische Militär sowie Menschenrechtsverstösse durch die Arakan Army (AA) in den Bundesstaaten Rakhine und Chin dokumentiert. Die Kämpfe zwischen den beiden Seiten dauern an, und es wird auch weiterhin über Verstösse berichtet. Noch immer gelten in acht Townships in den beiden Staaten, in denen der bewaffnete Konflikt andauert, Einschränkungen des Internetzugangs. Während die Kämpfe zwischen den beiden Seiten mit Berichten über neue Menschenrechtsverletzungen eskalieren, nehmen die Behörden Nachrichtenagenturen und JournalistInnen ins Visier, die über den Konflikt berichten. Mindestens drei Medienschaffende wurden beschuldigt, gegen Antiterrorgesetze verstossen zu haben, nachdem sie Interviews mit Khine Thu Kha, einem Sprecher der AA, ausgestrahlt oder Kommentare von ihm eingeholt hatten. Die AA wurde am 23. März 2020 zu einer verbotenen Vereinigung erklärt.
Zu den beschuldigten Personen gehört Nay Myo Lin, Chefredakteur der Nachrichtenseite Voice of Myanmar mit Sitz in Mandalay, Myanmars zweitgrösster Stadt. Er wurde mehr als eine Woche lang inhaftiert und gemäss Paragraf 50(a) und 52(a) des Antiterrorgesetzes angeklagt, weil er ein Interview mit dem Sprecher der Arakan Army veröffentlicht hatte. Nay Myo Lin wurde zwar freigelassen, nachdem das Gericht die Klage fallen gelassen hatte, doch hätte ihm im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe gedroht. Auch Hline Thit Zin Wai (auch Tha Lun Zaung Htet), Chefredakteur und Gründer von Khit Thit Media, einem Nachrichtenorgan, das häufig über die Menschenrechtslage im Bundesstaat Rakhine berichtet, sieht sich mit einer Klage konfrontiert. Er wurde ebenfalls beschuldigt, gegen das Antiterrorgesetz verstossen zu haben, bisher jedoch noch nicht festgenommen. Der dritte betroffene Medienschaffende ist Mrat Kyaw, Herausgeber des Nachrichtenorgans Narinjara aus der Hauptstadt Sittwe des Bundesstaats Rakhine. Gegen ihn wurde wegen terrorismusbezogener Vorwürfe Anklage erhoben, weil er im Zusammenhang mit einem Bericht den Sprecher der Arakan Army um eine Stellungnahme gebeten hatte. Mrat Kyaw hält sich derzeit versteckt.
Das harte Vorgehen gegen die Medienfreiheit wurde im Zuge des COVID-19-Ausbruchs ausgeweitet, indem die Behörden unabhängige Medien-Websites sperrten. Im März 2020 erliessen die Behörden drei Direktiven zur Sperrung von insgesamt 2.147 Websites, darunter auch Medien ethnischer Minderheiten, gemäss Paragraf 77 des Telekommunikationsgesetzes, das der Regierung weitreichende und willkürliche Befugnisse zur Stilllegung von Telekommunikationsnetzen einräumt.