Journalist angeklagt
Der Redakteur Aung Marm Oo ist untergetaucht, da man ihm vorwirft, gegen das repressive Vereinigungsgesetz von Myanmar verstossen zu haben, mit dem häufig ethnische Minderheiten ins Visier genommen werden. Er ist Chefredakteur einer Nachrichtenagentur, die über Menschenrechtsverstösse im Konflikt zwischen dem Militär und der bewaffneten Gruppe Arakan Army im Bundesstaat Rakhine berichtet. Bei einem Schuldspruch drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Amnesty International hält die Vorwürfe für haltlos und politisch motiviert.
Aung Marm Oo, Chefredakteur der im Bundesstaat Rakhine ansässigen Nachrichtenagentur Development Media Group (DMG), steht auf Grundlage des repressiven Vereinigungsgesetzes von Myanmar (Unlawful Associations Act) unter Anklage. Anfang Mai 2019 erfuhr er aus den Medien, dass er unter Paragraf 17(2) des Vereinigungsgesetzes angeklagt wurde. Daraufhin tauchte er unter, um einer politisch motivierten Festnahme und Inhaftierung zu entgehen. Paragraf 17(2) sieht bis zu fünf Jahre Gefängnis für Personen vor, die eine rechtswidrige Vereinigung leiten oder durch Werbung oder Beihilfe ermöglichen. Das Vereinigungsgesetz ist vage formuliert und wird von den Behörden seit Längerem eingesetzt, um in konfliktreichen Regionen Angehörige ethnischer Minderheiten festzunehmen und zu inhaftieren.
Die Anklage gegen Aung Marm Oo wurde am 1. Mai erhoben, er erfuhr allerdings erst aus den Medien davon. Er hat keine Kenntnis darüber, worauf sich die Vorwürfe konkret beziehen, geht aber davon aus, dass sie mit der Berichterstattung von DMG in Verbindung stehen. Falls dies der Fall ist, sollten die Anklagen umgehend fallengelassen werden, damit Aung Marm Oo seiner friedlichen journalistischen Arbeit ohne Furcht vor Festnahme, Strafverfolgung oder Einschüchterung nachgehen kann.
In Myanmar werden politisch motivierte Festnahmen und Inhaftierungen durch Gesetze ermöglicht, die es den Behörden erlauben, JournalistInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen und friedliche AktivistInnen festzunehmen, zu inhaftieren und strafrechtlich zu verfolgen. Diese Gesetze laufen internationalen Menschenrechtsnormen und -standards zuwider und schränken das Recht auf freie Meinungsäusserung über Gebühr ein.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Aung Marm Oo ist der Gründer und Chefredakteur der Development Media Group (DMG), einer 2012 gegründeten Nachrichtenagentur, die über Nachrichten und aktuelle Themen berichtet, insbesondere über Geschehnisse im Bundesstaat Rakhine im Westen von Myanmar. Seit Anfang 2019 berichtet DMG über den Konflikt zwischen dem Militär und der Arakan Army, einer bewaffneten Gruppe aus dem Bundesstaat Rakhine. Regelmässig berichtet die Nachrichtenagentur in diesem Zusammenhang über Menschenrechtsverstösse, insbesondere seitens des Militärs.
Am 5. und 6. Mai wurden in Sittwe, der Hauptstadt von Rakhine, zwei DMG-JournalistInnen polizeilich verhört. Man stellte ihnen Fragen zum Aufenthaltsort von Aung Marm Oo und zu der Berichterstattung von DMG über die Lage in dem Bundesstaat. Angehörige einer polizeilichen Sondereinheit haben zudem die Wohnung von Aung Marm Oo durchsucht und seine Familie vernommen. Er selbst ist seit Anfang Mai untergetaucht. Am 8. Mai bat Aung Marm Oo den unabhängigen Presserat Myanmar um Hilfe, hat jedoch noch keine Antwort erhalten.
Internationale Menschenrechtsnormen sehen vor, dass jede Person, der eine Straftat zur Last gelegt wird, das Recht hat, umgehend, detailliert und schriftlich über die Art und den Grund der Anklage informiert zu werden. Eine mündliche Mitteilung muss schriftlich bestätigt werden. Die myanmarischen Behörden verstossen gegen dieses Recht, indem sie Aung Marm Oo nicht über die Vorwürfe gegen ihn in Kenntnis setzen. Darüber hinaus gefährden sie sein Recht auf angemessene Vorbereitung seiner Verteidigung, welches ebenfalls völkerrechtlich verankert und ein wichtiger Schutzmechanismus gegen unfaire Gerichtsverfahren ist. Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben. Es schliesst die Freiheit ein, «über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.» Die kritische Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige darf nicht eingeschränkt und keinesfalls kriminalisiert werden.
Seit Januar 2019 haben sich die Kampfhandlungen zwischen dem myanmarischen Militär und der Arakan Army stark verschärft. Amnesty International hat schwere Verstösse des Militärs gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen dokumentiert. Hierzu zählen beispielsweise rechtswidrige Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt und getötet wurden, sowie willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen, aussergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Zwangsarbeit. Einige dieser Menschenrechtsverletzungen kommen Kriegsverbrechen gleich. Amnesty International hat auch Menschenrechtsverstösse durch die Arakan Army dokumentiert, so zum Beispiel Entführungen und willkürlichen Freiheitsentzug. Weitere Informationen finden Sie in dem englischsprachigen Amnesty-Bericht «No one can protect us»: War crimes and abuses in Myanmar’s Rakhine State, online unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asa16/0417/2019/en/.
Die myanmarischen Behörden haben internationalen JournalistInnen und Untersuchungskommissionen faktisch den Zutritt zu den Konfliktgebieten im Bundesstaat Rakhine untersagt. Mit zunehmender Eskalation des Konflikts sinkt zudem ihre Toleranz für die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige. Die myanmarischen Sicherheitskräfte greifen derweil auf bewährte Taktiken zur Einschränkung der Pressefreiheit zurück. In den vergangenen Monaten wurde in mindestens drei Fällen Strafanzeige gegen Personen erstattet, die für Medieneinrichtungen arbeiten, die über den Konflikt berichten. Anfang April gingen sowohl bei der Nachrichtenagentur DMG als auch bei anderen Nachrichtenmedien anonyme Drohbriefe ein, in denen die MitarbeiterInnen aufgefordert wurden, nicht mehr über die Lage im Bundesstaat Rakhine zu berichten. Einige dieser Briefe enthielten auch Morddrohungen. Amnesty International ist nicht bekannt, dass bisher irgendjemand für diese Drohbriefe zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Was zudem Anlass zur Sorge bereitet, sind Berichte, nach denen DMG Schwierigkeiten bei der Erneuerung ihrer Medienlizenz und der Lizenz zur Veröffentlichung des Development News Journal hat. Ohne diese Lizenzen kann die Organisation gemäss den Gesetzen des Landes nicht weiter operieren und muss möglicherweise geschlossen werden.