Lokalbüros von Amnesty und Greenpeace im Visier
In Indien sind die lokalen Vertretungen von Greenpeace und Amnesty International ins Visier der Behörden geraten. Die Büros der Organisationen wurden durchsucht und ihre Bankkonten eingefroren, was ihre Arbeit effektiv zum Erliegen gebracht hat. Die Übergriffe sind allem Anschein nach politisch motiviert. Dies ist das jüngste Beispiel für den harten Kurs der indischen Regierung gegen die Zivilgesellschaft.
Am 25. Oktober wurden die Büros von Amnesty International in Indien zehn Stunden lang durchsucht. Einige Angehörige der Agentur für Finanzdelikte (Enforcement Directorate), die dem Finanzministerium untersteht, verschafften sich Zutritt zu dem Bürogelände und riegelten alle Zugänge ab. MitarbeiterInnen wurden angewiesen, keine Laptops oder Mobiltelefone zu verwenden und das Gebäude nicht zu verlassen. Anfang Oktober hatte in den Büros von Greenpeace Indien eine ähnliche Razzia stattgefunden.
Obwohl die lokale Geschäftstätigkeit von Amnesty International und Greenpeace im Einklang mit der indischen Gesetzgebung steht, wurden im Anschluss an die separaten Razzien die Konten beider Organisationen eingefroren. Die beiden Organisationen haben vor dem Hohen Gericht des Bundesstaates Karnataka Rechtsmittel eingelegt. Die indischen Behörden werfen Amnesty International und Greenpeace vor, gegen die Regeln über ausländische Finanzierung verstossen zu haben. Das Innenministerium hat eine Untersuchung der von Amnesty International in Indien erhaltenen Finanzmittel eingeleitet. Eines der repressiven Gesetze über ausländische Finanzierung, auf das die Behörden häufig zurückgreifen, um die Arbeit von NGOs einzuschränken, ist das Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland (FCRA). Die Behörden führen finanzielle «Unregelmässigkeiten» und Aktivitäten gegen das «öffentliche Interesse» bzw. «nationale Interesse» als Grund dafür an, um NGOs gemäss dem FCRA ihre Genehmigung zum Erhalt von ausländischen Finanzmitteln zu entziehen. Weitere Organisationen, deren Genehmigungen ebenfalls im Rahmen dieses Gesetzes entweder ausgesetzt oder entzogen wurden, sind beispielsweise Lawyers Collective, People’s Watch, Sabrang Trust und Navsarjan Trust.
Die Razzia in den Büros von Amnesty Indien fand nur wenige Tage nach der Wahl Indiens in den UN-Menschenrechtsrat statt. Als Mitglied des Menschenrechtsrats ist Indien zur Einhaltung der höchsten Menschenrechtsstandards verpflichtet. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Vorgehensweise der indischen Behörden gegen die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verstösst, die sowohl in der indischen Verfassung als auch in internationalen Menschenrechtsnormen festgeschrieben sind.
Das scharfe Vorgehen gegen die indischen Büros von Amnesty International und Greenpeace ist das jüngste Beispiel für den harten Kurs, den die Regierung gegen die Zivilgesellschaft fährt. Von Juni bis August 2018 konnte man in Indien eine besonders harte Linie gegen MenschenrechtsverteidigerInnen beobachten: zehn bekannte AktivistInnen wurden unter einem repressiven Antiterrorgesetz festgenommen, das häufig dazu genutzt wird, um RegierungskritikerInnen zum Schweigen zu bringen.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
In Indien wird regelmässig auf repressive Gesetze zurückgegriffen, um die Rechte auf freie Meinungsäusserung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung zu unterdrücken. Das Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland (FCRA) wurde bereits von mehreren aufeinanderfolgenden Regierungen als Politikinstrument genutzt, um Gruppen zu schikanieren, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. Die Bestimmungen des FCRA erschweren es nichtstaatlichen Organisationen erheblich, auf Finanzmittel aus dem Ausland zuzugreifen. Das Gesetz enthält weit gefasste und vage Begriffe wie «öffentliches Interesse» und «nationales Interesse» und wird daher oft missbräuchlich angewendet. Es entspricht nicht den internationalen Standards und leistet Verstössen gegen die Rechte auf Vereinigungs- und Meinungsfreiheit Vorschub.
Im Bundesstaat Maharashtra nahm die Polizei im Rahmen eines landesweiten scharfen Vorgehens gegen MenschenrechtsverteidigerInnen am 6. Juni die AktivistInnen Surendra Gadling, Rona Wilson, Sudhir Dhawale, Shoma Sen und Mahesh Raut fest. Am 28. August durchsuchte die Polizei von Maharashtra die Wohnungen einiger AktivistInnen und nahm Sudha Bharadwaj, Gautam Navlakha, Vernon Gonsalves, Arun Ferreira und Varavara Rao unter dem Gesetz zur Verhütung von Straftaten (UAPA) fest. Die Behörden warfen diesen MenschenrechtlerInnen vor, bei einer grossen Protestveranstaltung am 31. Dezember 2017 eine Gruppe Dalits aufgewiegelt zu haben, was zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt haben soll, bei denen tags darauf mehrere Personen verletzt wurden und ein Mensch ums Leben kam.
Am 1. Januar 2018 versammelten sich Hunderte Dalits in Bhima Koregaon im Bundesstaat Maharashtra, um den 200. Jahrestag einer Schlacht zu begehen, in der Dalits als SoldatInnen der britischen Armee dienten und die Peshwa (Herrscher) besiegten. Das UAPA wird immer wieder missbräuchlich angewendet, um Menschen zu inhaftieren, die friedlich von ihren Rechten auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit Gebrauch machen. Teile des UAPA entsprechen nicht den internationalen Menschenrechtsstandards und führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Menschenrechtsverletzungen. Acht der oben genannten zehn AktivistInnen befinden sich derzeit im Gefängnis. Am 25. Oktober verlängerte ein Gericht in Hyderabad den Hausarrest von Varavara Rao. Der Hausarrest von Gautam Navlakha wurde am 1. Oktober vor dem Hohen Gericht in Delhi aufgehoben.