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Startseite Urgent Actions 2018 08 Prisoner must remain hospitalised post-surgery
UA 138/18
Russland
Abgeschlossen am 12. September 2018

Häftling muss im Krankenhaus bleiben dürfen

AI-Index: EUR 46/8846/2018

Der 24-jährige Häftling Ibragim Yangulbaev ist schwer krank. Ihm ist nach einer Operation die notwendige medizinische Versorgung verweigert worden. Erst am 28. Juli wurde er erneut ins Krankenhaus eingeliefert. Dort muss er bis zu seiner vollständigen Genesung bleiben dürfen.

Mit starken Bauchschmerzen und schon in einem kritischen Zustand wurde der 24-jährige Untersuchungshäftling Ibragim Yangulbaev vor das Zavodskoy-Gericht im tschetschenischen Grosny gebracht. Ein Krankenwagen wurde zum Gericht gerufen und Ibragim Yangulbaev mit einer «akuten Blinddarmentzündung» diagnostiziert, die eine sofortige Einlieferung ins Krankenhaus erforderte. Das Gericht setzte sich für die Einlieferung ein, doch die GerichtsdienerInnen weigerten sich, dem Befehl Folge zu leisten und brachten Ibragim Yangulbaev zurück in die Untersuchungshafteinrichtung SIZO 1. Dort wird er seit Mai 2017 wegen Vorwürfen des «Schürens von Hass oder Feindschaft» nach Paragraf 282 des russischen Strafgesetzbuches festgehalten.

Erst mehrere Stunden später wurde Ibragim Yangulbaev ins Krankenhaus eingeliefert und musste notoperiert werden. Nach Aussagen der ÄrztInnen hätte eine Verzögerung von nur einem weiteren Tag sein Leben kosten können. Er hatte inzwischen eine gangränöse Blinddarmentzündung mit Abszessbildung entwickelt, nachdem es versäumt worden war, ihn rechtzeitig angemessen medizinisch zu versorgen. Die ÄrztInnen warnten ausserdem vor weiteren Komplikationen, die nach dem schwierigen Eingriff folgen könnten. Trotz dieser Warnung wurde Ibragim Yangulbaev am 20. Juli nicht nur in seine Zelle zurückgebracht, ihm wurde darüber hinaus der Zugang zu den verschriebenen Antibiotika, Infusionen und einer speziellen Diät verwehrt. All das wäre jedoch laut der ÄrztInnen für seine Genesung notwendig. Er war zudem stark dehydriert, da das Leitungswasser in der Hafteinrichtung SIZO nicht trinkbar ist und ihm kein Trinkwasser bereitgestellt wurde. Die einzige Versorgung bestand in dem Wechseln seiner Verbände.

Am 27. Juli berichtete die unabhängige russische Zeitung Novaya Gazeta über den kritischen Gesundheitszustand von Ibragim Yangulbaev. Kurz nachdem der Artikel veröffentlicht wurde, kontaktierte die russische Ombudsperson Tatiana Moskalkova den Leiter der tschetschenischen Strafvollzugsanstalt. In der Nacht des 28. Juli wurde Ibragim Yangulbaev zurück ins Krankenhaus verlegt. Tatiana Moskalkova wurde zugesichert, dass er bis zu seiner vollständigen Genesung im Krankenhaus bleiben werde. Berichten zufolge wurde Ibragim Yangulbaev jedoch gesagt, dass er lediglich bis zum 30. Juli dort bleiben werde, danach würde er zurück in die Hafteinrichtung SIZO gebracht werden. Als dieser Text verfasst wurde, befand er sich noch im Krankenhaus. Amnesty International befürchtet, dass SIZO nicht entsprechend ausgestattet ist, um die notwendige Versorgung von Ibragim Yangulbaev zu gewährleisten. Die Richtlinien der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) verlangen, dass «kranke Gefangene, die fachärztlicher oder chirurgischer Behandlung bedürfen, in spezialisierte Einrichtungen oder öffentliche Krankenhäuser zu verlegen sind» (Regel 27 [1]).

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 2. Juli teilte Ibragim Yangulbaev dem Leiter der medizinischen Abteilung von SIZO zum ersten Mal mit, dass er unter starken Bauchschmerzen leide. Seine Beschwerden wurden jedoch ignoriert und sein Zustand verschlechterte sich in den darauffolgenden Tagen. Als schliesslich ein Krankenwagen gerufen wurde, diagnostizierten die ÄrztInnen eine Blinddarmentzündung und empfahlen die sofortige Einlieferung ins Krankenhaus. Die SIZO-Behörden und die Leitung von SIZO kamen dieser Empfehlung jedoch nicht nach und behaupteten, Ibragim Yangulbaev würde lediglich «simulieren».
Ibragim Yangulbaev wird nach dem Paragraf 282 des russischen Strafgesetzbuches wegen des «Schürens von Hass oder Feindschaft» gegen das russische Militär angeklagt, nachdem er Fotos von Zivilpersonen, die während des Ersten und Zweiten Tschetschenienkrieges getötet worden waren, auf seinem Profil des sozialen Netzwerkes VKontakte veröffentlicht hatte. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch bis heute keine glaubwürdigen Beweise für sein mutmassliches Vergehen vorgelegt. Stattdessen soll die Staatsanwaltschaft Ibragim Yangulbaev in jeder Anhörung beschuldigt haben, die tschetschenischen Behörden zu kritisieren und zu Protestveranstaltungen in Tschetschenien aufgerufen zu haben, ähnlich derer, die vom russischen Oppositionsführer Alexey Navalny organisiert worden waren.
Tschetschenische Behörden haben in Tschetschenien eine Atmosphäre der Angst geschaffen. Jede kritische Bemerkung oder Handlung kann als Kritik an der tschetschenischen Führung aufgefasst werden und einer Person ihre Freiheit oder sogar ihr Leben kosten. Dies geschieht weitgehend ohne strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen in den Behörden. Darüber hinaus berichtete die Zeitung Novaya Gazeta, dass die tschetschenische Führung eine inoffizielle Anordnung erlassen habe, um bei Anklagen wegen terrorismusbezogener Straftaten, Extremismus, Drogenbesitz und gefährlicher Fahrweise mit Todesfolge härter durchzugreifen.
Die nach wie vor unzureichende gesundheitliche Versorgung in russischen Hafteinrichtungen wurde wiederholt von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen und zwischenstaatlichen Gremien kritisiert, unter anderem kürzlich während der 64. Sitzung des UN-Ausschusses gegen Folter. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass die Regierungen verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass «Gefangene unter Bedingungen festgehalten werden, die mit der Achtung ihrer Menschenwürde vereinbar sind» und dass «ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen auch durch die erforderliche medizinische Versorgung angemessen geschützt sind» (Kudła v. Polen, §94). Der Gerichtshof entschied ausserdem, dass je nach den Umständen des Falles ein Mangel an angemessener medizinischer Versorgung inhaftierter Personen nach Paragraf 3 («Folter») der Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unter die Zuständigkeit des Staates fallen kann.

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