Hinrichtung trotz geistiger Einschränkung?
Clifton Williams soll am 21. Juni im US-Bundesstaat Texas wegen eines 2005 begangenen Mordes hingerichtet werden. Die Gerichte haben das Argument zurückgewiesen, dass er eine geistige Einschränkung hat. Seine Rechtsbeistände ersuchen um eine weitere Prüfung dieser Frage und verfolgen gleichzeitig ein Gnadengesuch.
Als am 9. Juli 2005 bei der 93-jährigen Cecilia Schneider eingebrochen wurde, wurde sie geschlagen, erstochen und ihr Leichnam in Brand gesetzt. Der damals 21-jährige Clifton Williams wurde dieses Mordes angeklagt und im Oktober 2006 schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Beim Gerichtsverfahren und im Berufungsverfahren wiesen die Rechtsbeistände darauf hin, dass er geistig eingeschränkt ist und seine Hinrichtung gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs Atkins gegen Virginia verstossen würde, das die Hinrichtung von Menschen mit geistiger Einschränkung untersagt. Zwei Fachleute der Verteidigung legten seinen IQ bei weniger als 70 fest, während ein Experte der Staatsanwaltschaft ihn in einem Test auf 70, in einem zweiten auf 71 und in weiteren auf 73, 78 und 83 bezifferte. Ein IQ von 70-75 wird herkömmlich als Anzeichen für eine mögliche intellektuelle Einschränkung gewertet. Seine Rechtsbeistände argumentieren, dass unter Berücksichtigung von Fehleinschätzungen sein IQ bei 65 liegen könnte, zusätzlich zu seinen nachweislichen Anpassungsschwierigkeiten.
Das Atkins-Urteil überlässt es den Bundesstaaten, in welcher Form sie auf das Verbot reagieren. Da es kein entsprechendes Gesetz gibt, hat das texanische Berufungsgericht 2004 einen Rahmen für RichterInnen und AnwältInnen geschaffen, um das Vorliegen einer geistigen Einschränkung bei Tötungsdelikten einstufen zu können. Sie sind als «Briseño-Faktoren» bekannt. Von Anfang an gab es Vorbehalte, dass dieses Regelwerk nicht wissenschaftlich sei und dass es die Personen, die das Atkins-Urteil von einer Hinrichtung ausschliessen soll, nicht ausreichend schützt. Erst 2017, im Verfahren Moore gegen Texas urteilte der Oberste Gerichtshof, dass die Briseño-Faktoren «eine Erfindung des texanischen Berufungsgerichts sind und jeder anerkannten Quelle entbehren» und den im Verfahren Hall gegen Florida 2014 geäusserten Vorschrift zuwiderliefen, dass Zuschreibungen einer intellektuellen Einschränkung «durch die Ansicht von medizinischen Fachkräften begründet sein müssen».
Zu diesem Zeitpunkt hatten die texanischen Gerichte bereits entschieden, dass bei Clifton Williams keine geistige Einschränkung vorliegt. 2013 stimmte ein Bundesrichter dieser Einschätzung zu und benutzte einen Differenzierungsstandard des Gesetzes zu Antiterror und wirksamer Todesstrafe von 1996 zur Prüfung von bundesstaatlichen Urteilen durch die Bundesjustiz. Er schrieb, «eine andere Methode hätte zwar zu einem anderen Schluss kommen können», ob bei Clifton Williams eine geistige Einschränkung vorliegt, doch gemäss dem Gesetz zu Antiterror und wirksamer Todesstrafe hatten seine Rechtsbeistände es nicht geschafft, «die Annahme» ins Wanken zu bringen, «dass die Einschätzung des bundesstaatlichen Gerichts richtig war». Da das Berufungsgericht des Fünften Bezirks zuvor angeführt hatte, dass «die Briseño-Faktoren dem Atkins-Urteil nicht widersprechen», musste Clifton Williams‘ Infragestellung des Anlegens der Briseño-Faktoren durch das texanische Berufungsgericht scheitern. Der Fünfte Bezirk hielt dies 2014 aufrecht und betonte, dass es die Briseño-Faktoren zuvor als «ein angemessenes Instrument zur Umsetzung des Atkins-Verbots von Hinrichtungen bei geistig eingeschränkten Angeklagten» bestätigt habe. 2015 weigerte sich der Oberste Gerichtshof, den Fall aufzunehmen.
Die Hinrichtung wurde auf den 21. Juni terminiert. Clifton Williams‘ Rechtsbeistände versuchen unter Berufung auf das Moore gegen Texas-Urteil, erneut vor Gericht zu gehen, um zu erwirken, dass ihr Geltendmachen einer geistigen Einschränkung berücksichtigt wird.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN – AUF ENGLISCH
In its Atkins ruling the US Supreme Court ruled that executing individuals with «mental retardation» ran counter to a «national consensus» against such use of the death penalty. The Court did not define intellectual disability but pointed to definitions used by professional bodies, which referred to significantly sub-average intellectual functioning (usually assessed by IQ); related limitations in adaptive functioning; and onset before the age of 18. In Hall v. Florida in 2014, it ruled that a determination as to whether a person had intellectual disability in this context must be «informed by the medical community’s diagnostic framework».
In its Briseño ruling in 2004, the Texas CCA showed some scepticism to Atkins and indicated that it viewed expert definitions used in the social services field (as pointed to in Atkins) as not being appropriate for use in deciding whether someone might be exempt from execution. The CCA claimed its task was to define the «level and degree of mental retardation at which a consensus of Texas citizens would agree that a person should be exempted from the death penalty», and suggested that «most Texas citizens might agree» that the fictional character of Lennie in John Steinbeck’s novel Of Mice and Men would be exempt. In other words, the Briseño factors were based on a misreading of Atkins which, while leaving states to decide how to comply with the constitutional rule it set out, did not leave it to them to decide that certain people with intellectual disability were not protected – all were.
Describing the adaptive functioning prong of the definition as «exceedingly subjective», the CCA developed seven «evidentiary factors» to be used in assessing whether an offender had intellectual disability (framed around such questions as whether the person had «formulated plans» or acted impulsively; whether their conduct showed «leadership»; or whether they could «hide facts or lie effectively»). The CCA suggested that even if experts could agree that a defendant had intellectual disability, a judge or a jury could still decide that he or she was not exempt from the death penalty. The use of the Briseño factors has contributed to a low rate of success in Atkins claims in Texas compared to other death penalty states (a 2014 study showed that the national average success rate was 55% compared to 17% in Texas). In Moore v. Texas in 2017, the US Supreme Court stated that the CCA’s «attachment to the seven Briseño evidentiary factors further impeded its assessment of… adaptive functioning», and «by design and in operation…create an unacceptable risk that persons with intellectual disability will be executed».
In the Fifth Circuit’s 2014 ruling in Clifton Williams’s case (three years before Moore v Texas), one of the judges noted he had long been concerned that the Briseño factors might «run afoul of Atkins», but did not think it mattered in Clifton Williams’s case because neither the jury nor the CCA had relied on the factors in dismissing his intellectual disability claim. Clifton Williams’s lawyers have said that this is «demonstrably false» and that at the trial the prosecution followed the Briseño factors in urging jurors to dismiss the intellectual disability claim, and that the CCA’s opinion rejecting the intellectual disability claim on appeal was itself «shaped and formed» by the Briseño framework.
Amnesty International opposes the death penalty unconditionally. Today there are 142 countries that are abolitionist in law or practice. There have been 1,475 executions in the USA since 1976 when the US Supreme Court approved new capital statutes. Texas accounts for 550 of these executions, or 37 per cent of the national total.