Menschenrechtsanwalt ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft
Der Pekinger Anwalt Yu Wensheng ist seit zwei Monaten ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl inhaftiert. Das Büro für Öffentliche Sicherheit der Provinz Jiangsu hat zwar zugegeben, ihn festzuhalten, doch sein genauer Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Ihm drohen Folter und andere Misshandlungen.
Die Rechtsbeistände von Yu Wensheng dürfen ihn seit seiner Festnahme durch die Polizei am 19. Januar 2018 in Peking, als er seinen Sohn zur Schule brachte, nicht treffen. Die Behörde für öffentliche Sicherheit des Bezirks Tongshan in Xuzhou in der Provinz Jiangsu teilte der Familie von Yu Wensheng am 27. Januar schriftlich mit, dass er «an einem dafür vorgesehenen Ort unter Überwachung» gestellt worden sei. Seither gibt es keine Informationen zu seiner Lage.
Am 5. Februar, eine Woche nachdem die Benachrichtigung ausgestellt wurde, begaben sich AnwältInnen zum Büro für Öffentliche Sicherheit des Bezirks Tongshan und fragten, ob sie Yu Wensheng sehen könnten. Die BeamtInnen lehnten dies mit der Begründung ab, der Fall beinhalte eine «Gefährdung der nationalen Sicherheit». Eine weitere Anfrage der Rechtsbeistände vom 23. Februar wurde ebenfalls abgelehnt.
Am 24. Februar wurde Xu Yan, die Ehefrau von Yu Wensheng, daran gehindert, die Grenze am Übergang Lowu in Shenzhen nach Hongkong zu überqueren. Die Polizei sagte ihr, dass dies auf Anordnung des Büros für Öffentliche Sicherheit in Peking geschehe und befürchtet werde, dass es die nationale Sicherheit gefährde, sie ausser Landes reisen zu lassen.
Das Strafprozessrecht der Volksrepublik China erlaubt es der Polizei, den Zugang zu Rechtsbeiständen für bis zu sechs Monate zu unterbinden, falls der Fall als «Gefährdung der nationalen Sicherheit» eingestuft ist. Dies erhöht die Gefahr von Folter und anderweitiger Misshandlung. Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Am 15. Januar 2018, vier Tage bevor er von der Polizei abgeholt und an seinen derzeitigen Haftort gebracht wurde, erhielt Yu Wensheng einen Brief des Büros für Justiz in Peking, dass ihm die Anwaltslizenz entzogen würde, da er seit über sechs Monaten nicht bei einer registrierten Anwaltskanzlei beschäftigt sei. Ihn erreichte ein weiterer Brief des Büros, der auf den 12. Januar datiert war, in dem stand, dass sein Antrag auf die Eröffnung einer Anwaltskanzlei abgelehnt worden sei, weil er sich wiederholt gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei ausgesprochen und den «sozialistischen Rechtsstaat» angegriffen hatte.
Yu Wensheng ist ein bekannter Menschenrechtsverteidiger in Peking. Er war Rechtsbeistand bei vielen öffentlichkeitswirksamen Menschenrechtsfällen. So vertrat er unter anderem Falun-Gong-AnhängerInnen und den Menschenrechtsanwalt Wang Quanzhang, der während des harten staatlichen Vorgehens gegen AnwältInnen und AktivistInnen im Juli 2015 wegen «Untergrabung der Staatsmacht» angeklagt worden war und dessen Aufenthaltsort weiterhin unbekannt ist.
Yu Wensheng im Jahr 2014 insgesamt 99 Tage in Haft und wurde seinen Angaben zufolge während dieser Zeit gefoltert. Am 13. Oktober 2014 wurde er vom Büro für öffentliche Sicherheit Daxing in Peking festgenommen, nachdem er seine Unterstützung für die pro-demokratischen Proteste in Hong Kong ausgedrückt hatte. Er wurde 61 Tage lang zusammen mit Häftlingen, die zum Tode verurteilt worden waren, festgehalten und etwa 200 Mal verhört. Yu Wensheng wurde der Zugang zu einem Rechtsbeistand in Haft verweigert und zehn BeamtInnen der öffentlichen Sicherheit waren dazu abgestellt, ihn in drei Schichten täglich zu verhören. Zunächst misshandelten diese ihn nur verbal. Später wurden ihm die Hände mit Handschellen an der Rückseite seines Eisenstuhls befestigt, wodurch seine Muskeln und Gelenke stark überdehnt wurden. Yu Wensheng sagt, dass zwei BeamtInnen immer wieder ruckartig an seinen Handschellen zogen und er jedes Mal aufschrie.
Im Oktober 2017 wurde Yu Wensheng erneut für eine kurze Zeit inhaftiert, nachdem er einen Offenen Brief geschrieben hatte, in dem er Präsident Xi Jinping kritisierte und sagte, dieser sei wegen seiner immer stärker werdenden „totalitären“ Herrschaft ungeeignet, um China zu regieren. Angehörige und FreundInnen von Yu Wensheng glauben, dass er sich momentan aufgrund dieses Briefes in Haft befindet.
Am 23. Januar 2018 veröffentlichte die in Shanghai ansässige Nachrichtenwebsite The Paper einen Bericht mit einem deutlich und abrupt geschnittenen Video in dem behauptet wurde, dass ein Anwalt mit dem Familiennamen Yu bei seiner Festnahme am 19. Januar zwei PolizistInnen gewaltsam angegriffen habe. Der Bericth zirkulierte auf Nachrichtensuchportalen und in den Sozialen Medien in China und der Name Yu Wensheng wurde in Twitternachrichten und Posts auf anonymen Präsenzen in den Sozialen Medien genannt. Dies scheint der Versuch zu sein, den Anwalt in Verruf zu bringen. Ähnliche Vorgehensweisen gab es in anderen Fällen inhaftierter Rechtsbeistände und AktivistInnen.
The Inhaftierung der Anwältin Wang Yu und ihrer Familienangehörigen am 9. Juli 2015 markiert den Beginn eines nie dagewesenen scharfen Vorgehens gegen MenschenrechtsanwältInnen und andere AktivistInnen. In den darauffolgenden Wochen wurden fast 250 AnwältInnen und AktivistInnen von StaatssicherheitsbeamtInnen befragt oder inhaftiert und viele ihrer Büros und Wohnungen wurden durchsucht. Bis Dezember 2017 waren neun Personen wegen «Untergrabung der Staatsgewalt», «Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt» oder weil sie «Streit angefangen und Ärger provoziert» hatten verurteilt worden. Fünf befinden sich immer noch in Haft, drei haben Bewährungsstrafen erhalten und eine wurde nicht verurteilt, steht aber weiterhin unter Überwachung. Der Anwalt Wang Quanzhang wurde angeklagt und wartet auf sein Verfahren. Er wird ohne Kontakt zur Aussenwelt und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand in Haft gehalten und ist in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.