Jugendlicher Straftäter erneut zum Tode verurteilt
Hamid Ahmadi wurde 2009 für schuldig befunden, im Alter von 17 Jahren während einer Auseinandersetzung zwischen fünf Jugendlichen einem der jungen Männer tödliche Stichverletzungen zugefügt zu haben. Der heute 24-Jährige ist nun erneut zum Tode verurteilt worden.
Hamid Ahmadi, gegen den 2009 die Todesstrafe verhängt worden war, weil er einem jungen Mann tödliche Stichverletzungen zugefügt haben soll, ist in einem Wiederaufnahmeverfahren vom Strafgericht der Provinz Gilan zum zweiten Mal zum Tode verurteilt worden. Er erhielt das schriftliche Urteil am 17. Dezember. Hamid Ahmadi plant, erneut Rechtsmittel gegen seine Verurteilung einzulegen.
Im Juni 2015 gewährte man Hamid Ahmadi ein Wiederaufnahmeverfahren. Zuvor hatte die Abteilung 35 des Obersten Gerichtshofs einem «Antrag auf ein Wiederaufnahmeverfahren» stattgegeben, den er auf Grundlage der ins Strafgesetzbuch von 2013 aufgenommenen neuen Leitlinien für strafrechtliche Sanktionen bei Minderjährigen eingereicht hatte. Diesen neuen Richtlinien zufolge kann das Gericht die Todesstrafe nach eigenem Ermessen in eine andere Strafe umwandeln, falls es zu der Ansicht gelangt, dass jugendliche StraftäterInnen die Art ihrer Straftat oder deren Folgen nicht begreifen oder Zweifel an ihrer «geistigen Reife und ihrem Entwicklungsstand» zum Zeitpunkt der Tat bestehen.
Hamid Ahmadi war ursprünglich im August 2009 zum Tode verurteilt worden, nachdem die Abteilung 11 des Provinzgerichts für Strafsachen von Gilan ihn des Mordes für schuldig befunden hatte. Der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil dann im November 2009 zunächst wieder auf, weil es Zweifel an den Aussagen mehrerer HauptzeugInnen gab. Im November 2010 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Todesurteil dann jedoch.
Das Verfahren gegen Hamid Ahmadi entsprach nicht internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren, da sich das Gericht auf Aussagen stützte, die er auf einer Polizeistation machte, als er keinen Zugang zu seinem Rechtsbeistand oder seiner Familie hatte. Da Hamid Ahmadi zu dieser Zeit noch minderjährig war, ist es wahrscheinlich, dass er die möglichen Konsequenzen seiner Aussagen nicht absehen konnte. Er hat zudem angegeben, dass man ihn mit Folter und anderweitiger Misshandlung zu seinen «Geständnissen» gezwungen habe. Es ist nicht bekannt, dass Untersuchungen zu seinen Vorwürfen eingeleitet wurden.
Hintergrundinformationen
Hamid Ahmadi wurde am 5. Mai 2008 festgenommen, nachdem er die Polizei kontaktiert hatte, um die Messerstecherei zu melden. Er gab an, selbst nicht direkt an dieser beteiligt gewesen zu sein. Man hielt Hamid Ahmadi drei Tage in einer Zelle der Siaklak-Polizeistation fest, die schmutzig und voller Urinrückstände gewesen sein soll. Während dieser Zeit hatte er keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder seiner Familie. Hamid Ahmadi gab an, dass die PolizistInnen ihn mit dem Kopf nach unten in das übelriechende Wasser auf dem Zellenboden drückten, seine Hände und Füsse auf schmerzhafte Weise fesselten, ihn an einen Pfeiler auf dem Hof der Hafteinrichtung festbanden, ihm in die Genitalien traten und ihm Essen und Wasser verweigerten. Einer der Beamten soll ihm gesagt haben, dass er keine Angst vor einer möglichen Hinrichtung haben müsse, sondern einfach gestehen solle, damit die Untersuchungen so schnell wie möglich abgeschlossen werden könnten. Hamid Ahmadi erklärte, dass man ihm so grosse Schmerzen zufügte, dass er alles «gestanden» hätte.
Zwischen Mai 2014 und Februar 2015 beantragte Hamid Ahmadi zweimal beim Obersten Gerichtshof die Aufhebung seines Urteils und die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Den ersten Antrag reichte er ein, nachdem ein Zeuge seine Aussage zurückgezogen hatte. Den zweiten Antrag stellte er, als sich ein neuer Zeuge gemeldet hatte. Beide Anträge wurden abgelehnt. Im Mai 2015 brachte man Hamid Ahmadi zu der Iranischen Rechtsmedizinischen Organisation, um seine geistige Reife zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Straftat ermitteln zu lassen.
Die Untersuchung war anscheinend von seiner Familie veranlasst worden, nachdem die Verwaltung des Gefängnisses in Rascht den JugendstraftäterInnen im Todestrakt gesagt hatte, sie sollen ihre Familien kontaktieren und sie darum bitten, einen Termin mit der Rechtsmedizinischen Organisation zu vereinbaren. Die Organisation kam zu dem Schluss, dass eine Bestimmung der geistigen Reife von Hamid Ahmadi zum sieben Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkt nicht möglich sei.
Nach diesem Ergebnis beantragte Hamid Ahmadi beim Obersten Gerichtshof ein Wiederaufnahmeverfahren gemäss Paragraf 91 des islamischen Strafgesetzbuchs von 2013. Im Juni 2015 gab der Gerichtshof diesem Antrag dann statt.
Der Iran ist Vertragsstaat des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Beide verbieten ausnahmslos die Verhängung der Todesstrafe gegen Personen, die zur Tatzeit unter 18 Jahre alt waren. Im Iran werden jugendliche StraftäterInnen jedoch auch weiterhin zum Tode verurteilt. Die Hinrichtungen werden dabei häufig solange verschoben, bis die Betroffenen 18 Jahre alt sind.
Bei der Beurteilung der geistigen Reife von jugendlichen StraftäterInnen konzentrieren sich die Gerichte, vor denen die Wiederaufnahmeverfahren stattfinden, häufig darauf, ob die Angeklagten zur Tatzeit richtig von falsch unterscheiden konnten und sich zum Beispiel bewusst waren, dass es falsch ist, einen Menschen zu töten. Manchmal stellen die Gerichte die verringerte Schuldfähigkeit von Jugendlichen aufgrund ihrer fehlenden Reife mit der verringerten Verantwortlichkeit von Personen mit geistigen Behinderungen oder Erkrankungen fälschlicherweise gleich. In der Folge kommen sie oftmals zu dem Schluss, dass der jugendliche Straftäter oder die jugendliche Straftäterin nicht «geisteskrank» sei und deswegen die Todesstrafe verdiene.
Am 11. und 12. Januar 2016 soll eine Überprüfung des Iran durch den UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes stattfinden. Der Ausschuss hat bereits grosse Bedenken hinsichtlich der Anwendung der Todesstrafe gegen jugendliche StraftäterInnen geäussert und den Iran aufgefordert, Informationen zum Ausgang und Fortschritt von Fällen gegen jugendliche StraftäterInnen zu übermitteln.