Flüchtling unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten
Ein syrischer Flüchtling, bekannt als F.M., befindet sich seit fast neun Monaten unter unmenschlichen Bedingungen im Flughafen Istanbul-Atatürk willkürlich in Haft. Ihm steht weder ein Bett zur Verfügung, noch hat er Zugang zu Tageslicht. Die Bedingungen sind so schlecht, dass F.M. bereits in Erwägung gezogen hat, einer Rückkehr nach Syrien zuzustimmen, um freigelassen zu werden.
Der Syrer F.M. ist im August 2012 aus Syrien in den Libanon geflohen, um dem Wehrdienst zu entgehen. Er erklärte, dass er den Libanon jedoch verlassen habe, nachdem er entführt und von einer örtlichen Bande als Geisel gehalten worden war. Daraufhin war er zunächst in die Türkei und nach ungefähr einem Monat dann nach Malaysia geflüchtet. Die malaysischen Behörden schoben ihn jedoch im März 2015 in die Türkei ab, wo ihm die Einreise verweigert wurde. Stattdessen wird er seit fast neun Monaten in einem «Raum für problematische Passagiere» im Flughafen Istanbul-Atatürk festgehalten. Die Einrichtungen dort sind nicht dafür geeignet, Personen in Haft zu halten. Aufgrund der Haftbedingungen und des Angriffs durch einen Mitgefangenen, bei dem F.M. verletzt wurde, hat er darum gebeten, in den Libanon reisen zu dürfen. Am 20. November wurde ihm jedoch auch die Einreise in den Libanon verwehrt. Die libanesischen Behörden schoben ihn am 21. November nach Istanbul ab. Als er dort ankam, wurde er erneut in den «Raum für problematische Passagiere» gebracht, wo er sich nach wie vor befindet. Die Person, die F.M. angegriffen hatte, befindet sich ebenfalls weiterhin in dieser Einrichtung.
In dem «Raum für problematische Passagiere» gibt es lediglich künstliches Licht, das 24 Stunden am Tag eingeschaltet ist. Zudem gibt es keine Betten und keine Privatsphäre. Die Bedingungen entsprechen einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung und es verstösst gegen die Rechtsprechung des Landes und das Völkerrecht, wenn Personen in solchen Einrichtungen für einen längeren Zeitraum – in diesem Fall über acht Monate – festgehalten werden.
Die Inhaftierung von F.M. zwischen März und dem 20. November und seit seiner Rückkehr aus dem Libanon am 21. November scheint willkürlich zu sein und jeglicher rechtlichen Grundlage zu entbehren. F.M. wurden keine Gründe für seine Inhaftierung genannt. Als syrischer Flüchtling sollte ihm gemäss dem türkischen Recht vorübergehender Schutzstatus gewährt werden. Der Rechtsbeistand von F.M. hat bei den zuständigen türkischen Gerichten einen Antrag eingereicht, um seine Freilassung zu erwirken. Bisher wurde jedoch keine Entscheidung gefällt.
F.M. hat sogar bereits in Erwägung gezogen, einer Rückkehr nach Syrien zuzustimmen, da dies der einzige Weg zu sein scheint, freigelassen zu werden. Es ist bekannt, dass die türkischen Behörden «freiwillige» Rückführungen von Flüchtlingen nach Syrien durchführen, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Es stellt einen Verstoss gegen den für die Türkei bindenden Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) gemäss dem nationalen Recht und dem Völkerrecht dar, wenn Flüchtling unter Druck gesetzt werden, in ihr Heimatland zurückzukehren, indem man ihnen mit einer unbefristeten Inhaftierung droht.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlungen oder Strafen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen oder Strafen sind gemäss zahlreicher Richtlinien der internationalen Menschenrechtsnormen verboten, darunter das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Dieses Verbot ist zudem in der türkischen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben.
Verbot willkürlicher Inhaftierung
Willkürliche Inhaftierungen sind gemäss Völkerrecht verboten. Dieses Verbot ist in Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben, zu dessen Vertragsstaaten die Türkei gehört. Der Begriff „willkürlich“ ist hierbei im weitesten Sinne zu verstehen und umfasst auch Aspekte wie Unangemessenheit, Ungerechtigkeit, fehlende Vorhersehbarkeit und fehlendes ordentliches Verfahren sowie Zumutbarkeit, Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit. Darüber hinaus berechtigt das Prinzip habeas corpus, wie es beispielsweise in Artikel 9 (4) des IPbpR enthalten ist, jeden, dem die Freiheit entzogen wird, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen. Das Gericht muss unverzüglich über die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und kann eine Freilassung anordnen, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmässig ist. Die Inhaftierung von F.M. scheint ohne rechtliche Grundlage erfolgt zu sein. SyrerInnen, die sich in der Türkei befinden, sind Gegenstand der im Oktober 2014 verabschiedeten Verordnung zum vorübergehenden Schutzstatus (Temporary Protection Regulation – TPR). Darin ist in Artikel 5 festgeschrieben, dass SyrerInnen nicht wegen der Einreise ohne Erlaubnis in die Türkei oder des dortigen Aufenthalts ohne Erlaubnis bestraft werden sollten. Weitere Richtlinien des im April 2013 verabschiedeten Ausländer- und Asylgesetzes der Türkei schreiben vor, dass die Verwaltungshaft nur während der Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz zugelassen ist (Paragraf 68) oder bei einer geplanten Abschiebung (Paragraf 57). Keiner dieser Paragrafen sollte jedoch bei syrischen Flüchtlingen angewandt werden, da diese unter dem türkischen Recht keine AntragstellerInnen für „internationalen Schutz“ sind und nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden sollten, weil ihnen dort schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen (TPR Artikel 6).
Grundsatz der Nichtzurückweisung
Der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Dieser Grundsatz verbietet es, Personen in irgendeiner Weise in Gebiete zurückzuweisen, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen – wie es bei Menschen aus Syrien der Fall ist. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist in der Genfer Flüchtlingskonvention und in zahlreichen weiteren Menschenrechtsinstrumenten verankert, zu deren Einhaltung die Türkei verpflichtet ist. Verstösse gegen diesen Grundsatz können auf verschiedene Weise erfolgen. Einen direkten Verstoss stellt beispielsweise eine Abschiebung in das Herkunftsland dar. Ein indirekter Verstoss liegt vor, wenn Flüchtlingen z. B. der Zugang zu einem Gebiet oder zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren verwehrt wird. Auch das Ausüben von Druck auf Flüchtlinge, um diese zu einer Rückkehr in ein Gebiet zu zwingen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheiten gefährdet sind, stellt einen indirekten Verstoss gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Dieses Vorgehen ist als faktisches Refoulement bekannt und gemäss Völkerrecht verboten, welches bindend für die Türkei ist.