16 Angehörige der Zeugen Jehovas verurteilt
16 Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas wurde wegen der friedlichen Ausübung ihres Glaubens «religiöser Extremismus» vorgeworfen. Ein Gericht befand sie für schuldig und verurteilte sie zu Bewährungsstrafen.
Am 30. November befand ein Gericht in Taganrog in der Oblast Rostow im Süden Russlands 16 Angehörige der örtlichen Gemeinde der Zeugen Jehovas des Organisierens von und der Teilnahme an Aktivitäten einer verbotenen «extremistischen Organisation» für schuldig.
Drei der Gemeindeältesten, Nikolai Trotsiuk, Yuri Baklushin und Aleksandr Skvortsov, wurden jeweils zu fünfeinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Aleksei Koptev, ein weiteres führendes Gemeindemitglied, wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Weitere verurteilte Männer und Frauen erhielten hohe Geldstrafen, die sie laut dem zuständigen Gericht jedoch nicht zahlen müssen, da die Verjährungsfrist für die ihnen vorgeworfene Straftat bereits abgelaufen ist. Alle Angeklagten wurden gemäss Paragraf 282.2 des russischen Strafgesetzbuchs wegen des «Organisierens von Aktivitäten einer extremistischen Organisation» schuldig gesprochen. Die vier Ältesten wurden zudem für schuldig befunden, Minderjährige in kriminelle Aktivitäten verwickelt zu haben (Paragraf 150 des russischen Strafgesetzbuchs).
2009 befand ein Gericht in Rostow am Don, dem Verwaltungssitz der Oblast Rostow, dass die örtlich eingetragene religiöse Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Taganrog eine «extremistische Organisation» sei und löste diese auf. Seitdem ist es den Zeugen Jehovas in Taganrog untersagt, sich zu versammeln, Gottesdienste abzuhalten und ihre Publikationen zu verbreiten, von denen viele in Russland als «extremistisch» eingestuft und verboten worden sind.
Die Auflagen, an die die Bewährungsstrafen von Nikolai Trotsiuk, Yuri Baklushin, Aleksandr Skvortsov und Aleksei Koptev geknüpft sind, beinhalten, dass sie keine Gottesdienste mit anderen Zeugen Jehovas abhalten dürfen. Sollten sie dagegen verstossen, droht ihnen die Inhaftierung.
Während des Prozesses haben einige der Angeklagten ihre Arbeit verloren, weil sie als «extremistisch» angesehen werden und zu zahlreichen Anhörungen vor Gericht während ihrer Arbeitszeiten erscheinen mussten.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Russische Gerichte haben mehrere örtliche Gemeinschaften der Zeugen Jehovas als «extremistisch» eingestuft. 2010 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Behörden gegen das Recht auf Religions- und Vereinigungsfreiheit von Zeugen Jehovas in Moskau verstossen haben, als sie die dortige Gemeinschaft als «extremistisch» einstuft haben.
Dennoch wurden weitere örtliche Gemeinschaften als «extremistisch» eingestuft und gerichtlich verboten. Zudem wurden Dutzende Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas in das Register des russischen Justizministers für «extremistisches» Material aufgenommen. Die Verbreitung solcher Materialien ist in Russland verboten. Im Dezember 2014 ordnete der Oberste Gerichtshof die Sperrung der Internetseite der Zeugen Jehovas in Russland an, weil auch diese «extremistisch» sei.
In den Gerichtsbeschlüssen, in welchen die örtlichen Gemeinschaften der Zeugen Jehovas für «extremistisch» erklärt wurden, warf man den Angehörigen der Glaubensgemeinschaft vor, sich gegen Bluttransfusionen und den Militärdienst einzusetzen, Kritik an anderen Glaubensrichtungen auszuüben und ihren eigenen Glauben als überlegen darzustellen. Damit würden sie zu «religiösem Hass und der Verbreitung einer feindlichen Einstellung gegen andere Religionen» anstiften. Das Bezirksgericht in Rostow am Don bezog sich beispielsweise auf 68 Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas, die als «extremistisch» eingestuft worden waren, als es beschloss, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Taganrog eine extremistische Organisation sei. Das Gericht zitierte Sätze wie «Jesus hat nicht erlaubt, Gottes Gesetz mit menschlichen Traditionen zu ersetzen», oder «im Fall eines Krieges sollten wir darauf vorbereitet sein, ins Gefängnis zu gehen oder zu sterben, nicht aber Waffen gegen andere erheben» und legte diese als einen Aufruf zum Ungehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes aus. Sätze wie, «diejenigen, die Gott eine Freude machen wollen, feiern weder Weihnachten noch andere Feiertage, die ihre Wurzeln im Heidentum haben oder Teil falscher Religionen sind», wurden vom Gericht als Anstiftung zu religiösem Hass vorgebracht.
Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas, die in Russland aufgrund ihres «extremistischen» Inhalts verboten worden sind, wurden an anderen Orten verfasst und von Zeugen Jehovas auf der ganzen Welt gelesen und verbreitet.
2011 beschloss der Oberste Gerichtshof, dass es nicht als «extremistisch» gilt, wenn man die eigene Religion über andere stellt. Trotzdem verbieten örtliche Gerichte in Russland nach wie vor Literatur der Zeugen Jehovas und stellen Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft wegen «Anstiftung zu Hass» oder der Mitgliedschaft in einer «extremistischen Organisation» in Strafverfahren vor Gericht.
Die jüngste dieser Entscheidungen wurde im August 2015 gefällt, als der Oberste Gerichtshof einen Beschluss des Bezirksgerichts in Krasnodar aufrechterhalten hat, in dem die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Abinsk in der Region Krasnodar als «extremtistisch» erachtet und verboten worden war.