Aktivisten droht Folter
Im Jemen wurden im Oktober zwei Aktivisten von Angehörigen der bewaffneten Huthi-Gruppe festgenommen. Ihr Verbleib ist unbekannt und sie sind in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.
Die Aktivisten Ameen al-Shafaq und Antar al-Mabarazi wurden am 13. Oktober von bewaffneten Männern in der Stadt Ibb im Südwesten des Jemen festgenommen. Antar al-Mabarazi ist seitdem nicht mehr gesehen worden. Familienangehörige von Ameen al-Shafaq konnten ihn am 26. Oktober im politischen Sicherheitszentrum in Ibb besuchen. Die beiden Aktivisten werden unter Bedingungen festgehalten, die dem Verschwindenlassen gleichkommen. Sie sind in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.
Familienangehörige haben mehrfach darum gebeten, die beiden zu sehen, dies wurde ihnen jedoch verwehrt. Ende Oktober, als sie versuchten, die Männer zu besuchen, erklärte ihnen das Gefängnispersonal, dass sie sich nicht mehr dort befänden. Ihr neuer Aufenthaltsort wurde den Familienangehörigen jedoch nicht mitgeteilt.
Eine Gruppe von unter anderem politischen VertreterInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen traf sich am 13. Oktober im IBB Garden-Hotel zu einer Diskussion darüber, wie Wasser zu der nahegelegenen Stadt Ta’iz geliefert werden kann, um die dortige humanitäre Krise zu lindern. Etwa 30 bewaffnete Männer in Zivil kamen gegen 17:15 Uhr in das Hotel und nahmen mindestens 25 Personen dieser Gruppe fest. Die bewaffneten Männer gaben an, der Ansarullah- Gruppierung, auch als Huthi-Gruppierung bekannt, anzugehören. Sie nannten jedoch keine Gründe für die Festnahmen. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge wusste der Ansarullah Revolutionsrat von diesem Einsatz und war zu einer Kooperation bereit. Man brachte alle Männer in die Hafteinrichtung des politischen Sicherheitszentrums in IBB, wo einige von ihnen gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden. Alle, ausser Ameen al-Shafaq und Antar al-Mabarazi, wurden bereits freigelassen. Es ist jedoch nicht bekannt, wieso nur die beiden Aktivisten noch gefangen gehalten werden.
Amnesty International hat bereits zweimal an VertreterInnen der Ansarullah-Gruppierung und Angehörige des politischen Sicherheitszentrums in IBB geschrieben, bisher jedoch keine Antwort erhalten. Amnesty International ist der Ansicht, dass beide Männer aufgrund ihres Aktivismus und Engagements zur Bereitstellung humanitärer Hilfe inhaftiert worden sind.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Im September 2014 nahm die Huthi-Gruppierung, die grösstenteils aus Angehörigen der zaiditisch-schiitischen Minderheit im Norden des Jemen besteht, einige Militär- und Sicherheitsposten in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt, ein. In der dritten Januarwoche 2015 griffen sie Militärposten, den Präsidentenpalast und Regierungsgebäude an. Dies führte zum Rücktritt von Präsident Abd Rabbu Mansour Hadi und seiner Regierung. Die Huthis wurden infolgedessen die faktischen Machthaber der Hauptstadt und anderer Teile des Landes.
Seit Januar 2015 festigen die Huthis zunehmend ihre Macht in Sanaa und dem Rest des Landes. Am 6. Februar lösten sie das Parlament auf und gaben eine verfassungsrechtliche Erklärung ab, in der die Gründung eines vorübergehenden Präsidialrats angeordnet wurde, der für eine Übergangszeit von zwei Jahren als Regierung fungieren soll. Am 23. März verstärkte sich im Süden Jemens, der bis dahin nicht unter Kontrolle der Huthi-Gruppierung stand, der Konflikt zwischen den Huthis, unterstützt von Militäreinheiten sowie einigen Sicherheitskräften, die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Ali ‘Abdallah Saleh sind, und den Militäreinheiten unter Präsident Hadi, unterstützt von Volksstämmen und Milizen.
Eine von Saudi-Arabien geführte militärische Koalition, die mindestens zehn Länder umfasst, hat am 26. März eine Reihe von Luftangriffen gegen die Huthi-Gruppierung gestartet, um Präsident Hadi zu unterstützen. Bei den ersten Luftangriffen trafen Huthi-Ziele und Militäreinrichtungen überwiegend in Sanaa und Sa'da im Norden Jemens, später auch in der Stadt Aden und an anderen Orten. Beide Konfliktparteien haben unter anderem mit Kriegsverbrechen gegen die Menschenrechte verstossen. Über 5.700 Menschen sind in Jemen seit Beginn des Konflikts getötet worden. Wahllose Bombenangriffe Saudi-Arabiens haben zum Tod zahlreicher Zivilpersonen geführt. Der Konflikt hat die bereits verheerende humanitäre Situation nochmals verschlimmert. Über zwei Millionen Menschen wurden vertrieben und 82% der Bevölkerung benötigt humanitäre Hilfe.
Seit Beginn der saudi-arabischen Luftangriffe ist die Zahl der willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und Verschleppungen durch die bewaffnete Huthi-Gruppierung und alliierte Truppen, die den ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh unterstützen, gestiegen. Zahlreiche AktivistInnen und Personen unterschiedlicher politischer Hintergründe, von denen die Huthis annehmen, dass diese sich ihnen widersetzen, wurden willkürlich festgenommen, inhaftiert und einige von ihnen gefoltert oder anderweitig misshandelt. Bei der Mehrheit handelt es sich um SprecherInnen, Mitglieder oder Anhänger der sunnitisch-islamistischen Partei al-Islah. Diese Partei verurteilt die Gewalttaten der Huthi-Gruppierung, seit diese die Hauptstadt Sanaa im September 2014 eingenommen hat, und sollen die Luftangriffe der saudi-arabischen Koalition unterstützt haben. Die meisten Festnahmen haben in den Städten Sanaa, IBB und al-Hudaida stattgefunden. Auch JournalistInnen und AktivistInnen, die Widerstand gegen die Übernahme der Regierungsinstitutionen durch die Huthis geleistet haben, wurden ebenfalls zu ihrer Zielscheibe und festgenommen oder drangsaliert.
Amnesty International hat Dutzende ehemalige Gefangene, die in Sanaa und IBB willkürlich ohne Haftbefehl festgenommen und ohne Kontakt zur Aussenwelt und Zugang zu Familienangehörigen an unbekannten Orten festgehalten wurden, und ihre Familien interviewt. Viele von ihnen wurden von Huthis und Anhängern des Präsidenten Ali ‘Abdallah Saleh aus ihren Häusern verschleppt. Sie wurden an zahlreichen Orten, darunter auch in inoffiziellen Hafteinrichtungen, wie beispielsweise in Privathäusern, gefangen gehalten, ohne die Rechtmässigkeit ihrer Inhaftierung anfechten zu können oder Gründe für ihre Inhaftierung zu erfahren.
Einer der 25 Gefangenen, die am 13. Oktober in IBB festgenommen worden waren, und der später freigelassen wurde, berichtete Amnesty International, dass er über das Treffen im IBB Garden-Hotel 90 Minuten befragt und dabei gefoltert worden war. Er erzählte, dass ihm die Augen verbunden und die Hände zusammengebunden worden seien. Anschliessend sei er immer wieder mit einem Stock auf die Schultern, Oberschenkel und den Rücken geschlagen worden. Er teilte Researchern zudem mit, dass man ihn mit Elektroschocks an Brust, Hals, Unterarmen und Unterleib gefoltert habe.