Folter stoppen!
Der gewaltlose politische Gefangene Dr. Mohammed al-Roken ist am 11. November in seiner Gefängniszelle im al-Razeen-Gefängnis in Abu Dhabi ohnmächtig geworden. Zuvor hatten die Gefängnisbehörden extrem laute Musik abgespielt, was von den Gefangenen als Folter empfunden werden kann.
Am 11. November wurde Mohammed al-Roken durch überlaute Musik geweckt, die über die Lautsprecher des al-Razeen-Gefängnisses in die Zellen drang. Der gewaltlose politische Gefangene betätige die Notklingel in seiner verschlossenen Zelle, aber niemand reagierte darauf. Kurz darauf verlor er das Bewusstsein. Bei der Prüfung der Überwachungskameras in den Zellen bemerkten Sicherheitsleute, dass er am Boden lag. Als sie Mohammed al-Roken bewusstlos vorfanden, brachten sie ihn in einem Rollstuhl auf die Krankenstation des Gefängnisses. Dort diagnostizierte man Bluthochdruck bei ihm und brachte ihn in seine Zelle zurück, die von 22 Uhr abends bis 5 Uhr morgens abgeschlossen ist. Am Morgen beschallten die Gefängnisbehörden die Zellen erneut mit extrem lauter Musik. Mohammed al-Roken klagte über Ohrenschmerzen und wurde erneut auf die Krankenstation gebracht. Dort stellte das medizinische Personal eine Ohrenentzündung fest, die sich durch die laute Musik verschlimmert hatte.
Mohammed al-Roken verbüsst eine zehnjährige Haftstrafe wegen des «Versuchs, die Regierung zu stürzen». Das Urteil erging nach einem in höchstem Masse unfairen und politisch motivierten Verfahren, das als «VAE 94» bekannt wurde. Mehrere Mitangeklagte erhoben Folter- oder Misshandlungsvorwürfe und legten entsprechende Beweise vor. Kein einziger der Vorwürfe ist jedoch bislang unabhängig untersucht worden. Auch die Anträge des UN-Sonderberichterstatters über Folter auf einen Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind bislang nicht beantwortet worden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Mohammed al-Roken ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt aus dem Emirat Dubai und der ehemalige Vorsitzende der Juristenvereinigung der Vereinigten Arabischen Emirate. Angehörige des Staatssicherheitsdienstes nahmen ihn in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 2012 fest, als er sich gerade auf dem Weg zu einer Polizeiwache in Dubai befand. Dort wollte er melden, dass sein Sohn Rashid Mohammed al-Roken und sein Schwiegersohn Abdullah al-Hajri nach ihrer Festnahme mehrere Stunden zuvor verschwunden waren. 17 BeamtInnen des Staatssicherheitsdienstes brachten Mohammed al-Roken am nächsten Tag zurück und durchsuchten das Haus. Sie beschlagnahmten die Computer, iPads, Bücher, Zeitschriften, Fotoalben und DVDs der Familie – sogar die der Kinder. In den darauffolgenden drei Monaten war Mohammed al-Roken verschwunden, er wurde in Einzelhaft an einem geheimen Ort festgehalten. Er wurde im Juli 2013 in einem unfairen Verfahren, in dem insgesamt 94 Reformaktivisten vor Gericht standen und das als «VAE 94»-Prozess bekannt ist, zu zehn Jahren Haft mit anschliessend drei Jahren Bewährung verurteilt.
Viele der Angeklagten im «VAE 94»-Prozess und weitere Angeklagte in Verfahren vor der Staatsschutzkammer des Bundesgerichtshofs in Abu Dhabi haben vor Gericht angegeben, in der Untersuchungshaft gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. Sie waren oft monatelang ohne Kontakt zur Aussenwelt in Hafteinrichtungen des Staatssicherheitsdienstes festgehalten worden. Die Staatsschutzkammer des Bundesgerichtshofs hat diese Vorwürfe jedoch nicht angemessen untersucht, obwohl immer mehr Beweise vorliegen, die darauf hindeuten, dass Gefangene im Gewahrsam des Staatssicherheitsdienstes misshandelt werden.
Im März 2013 hat die Arbeitsgruppe für die Allgemeine Regelmässige Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat die Vereinigten Arabischen Emirate aufgefordert, «umgehend und unparteiisch alle Foltervorwürfe zu untersuchen und diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die für die Anordnung, Ausführung oder stillschweigende Duldung von Folter und anderen Misshandlungen verantwortlich sind». Die Arbeitsgruppe empfahl ausserdem, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, «eine offene Einladung an den Sonderberichterstatter über Folter aussprechen».
In ihrem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat erklärte die Sonderberichterstatterin über die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, dass sie glaubwürdige Beweise über Folter und andere Misshandlungen an Gefangenen, die ohne Kontakt zur Aussenwelt in geheimen Hafteinrichtungen gehalten werden, erhalten habe. Die Sonderberichterstatterin machte zudem deutlich, dass Informationen, die unter Folter oder anderen Formen der Misshandlung erlangt wurden, nicht als Beweis vor Gericht verwendet werden dürfen, allerdings zur strafrechtlichen Verfolgung der für Folter Verantwortlichen verwendet werden müssen.
Über die Lautsprecher, die vor kurzem im al-Razeen-Gefängnis angebracht wurden, wird ununterbrochen von 22 Uhr bis 2 Uhr nachts laute Musik, darunter die Nationalhymne des Landes und der Treueeid, in extremer Lautstärke abgespielt. Alle Gefangenen, die im selben Verfahren wie Mohammed al-Roken verurteilt wurden, befinden sich in diesem Gefängnis.
Im August 2013 traten 18 Insassen des al-Razeen-Gefängnisses aus Protest gegen Misshandlungen durch die Gefängnisbehörden in den Hungerstreik. Zu den Misshandlungen sollen Schläge durch GefängniswärterInnen und Einschränkungen des Besuchsrechts für ihre Angehörigen gezählt haben. Sie klagten zudem über Lichtentzug und gaben an, die Gefängnisbehörden hätten die Klimaanlage bei hohen Temperaturen absichtlich abgeschaltet. Am 31. Juli 2013 traten zunächst sechs Insassen in den Hungerstreik; drei von ihnen brachen zwischen dem 21. und dem 28. August zusammen (s. UA-238/2013 http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-238-2013/gefangene-im-hungerstreik). Mindestens zehn gewaltlose politische Gefangene wurden im Juni 2014 im al-Razeen-Gefängnis misshandelt (s. UA-149/2014 http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-149-2014/haft-misshandelt).
Der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Juan Mendez, hat im Oktober 2015 eine Besuchserlaubnis für die erste Jahreshälfte 2016 in den Vereinigten Arabischen Emiraten beantragt, um Vorwürfe über Folter durch den Sicherheitsdienst zu untersuchen. Die Regierung hat jedoch die Anträge ebenso wie die von vier weiteren Sonderberichterstattern abschlägig beschieden.
Amnesty International hat den «VAE 94»-Prozess im November 2014 in dem Bericht «There is no freedom here» – Silencing dissent in the United Arab Emirates (http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE25/018/2014/en) dokumentiert.