Sänger festgenommen
Der Folksänger und Aktivist S Sivadas, welcher der Kaste der Dalit angehört und auch unter dem Künstlernamen «Kovan» bekannt ist, wurde am 30. Oktober festgenommen. Grund für die Festnahme sind zwei satirische Lieder, in denen er die Regierung und die Ministerpräsidentin des Bundestaates Tamil Nadu kritisiert. Die Anklagen gegen Kovan lauten unter anderem auf «Volksverhetzung» und «Provokation mit der Absicht, einen Aufstand zu verursachen». Bei einer Verurteilung droht ihm als Höchststrafe lebenslange Haft.
Kovan wurde am 30. Oktober in seinem Haus im südöstlichen Bundesstaat Tamil Nadu von PolizeibeamtInnen aufgrund der Texte seiner beiden Lieder«Moodu Tasmac Moodu» und «Ooruku oru Sarayam» festgenommen. In den Liedern, die seit August im Internet zu finden sind, wird die Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu zur Schliessung staatlicher Geschäfte, in denen Alkohol verkauft wird, aufgefordert. In einer Liedzeile wird beschrieben, dass die Ministerpräsidentin von Tamil Nadu sich freue, während Menschen aufgrund von Alkoholsucht sterben. Ein örtliches Gericht hat entschieden, Kovan bis zum 6. November in Untersuchungshaft zu behalten.
Kovan ist Leiter der kulturellen Abteilung des Kunst- und Literaturvereins Makkal Kalai Ilakkiya Kazhagam, eine 30 Jahre alte Organisation im Bundesstaat Tamil Nadu, die Folkmusik und Strassenspiele zu sozioökonomischen Themen aufführt.
Ein Sprecher der Organisation erklärte: «Die Regierung schikaniert uns und schüchtert uns ein, damit wir unsere Arbeit beenden. Kovan wollte nur zeigen, wie Alkohol das Leben vieler Menschen in unserem Bundesstaat zerstört. Wir werden gegen die Festnahme vorgehen und sicherstellen, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können.»
Unter Indiens veraltetem Gesetz gegen Volksverhetzung gilt jegliche Handlung oder jeglicher Versuch «Hass oder Verachtung zu schüren oder zu Unzufriedenheit gegenüber der Regierung anzustiften» als Straftat. Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurden bereits mehrfach JournalistInnen und AktivistInnen von Regierungen der Bundesstaaten schikaniert. Das Gesetz verstösst gegen internationale Standards bezüglich des Rechts auf freie Meinungsäusserung.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Auf der Grundlage des veralteten indischen Gesetzes gegen Volksverhetzung werden AktivistInnen und andere Menschen, die friedlich Gebrauch von ihrem Recht auf freie Meinungsäusserung machen, häufig schikaniert und strafrechtlich verfolgt. Laut Paragraf 124A des indischen Strafgesetzbuchs gelten Worte, Zeichen oder sichtbare Darstellungen, mit denen eine Person „Hass oder Verachtung schürt oder zu schüren versucht oder zu Unzufriedenheit gegenüber der rechtmässigen Regierung Indiens anstiftet oder anzustiften versucht“ als Volksverhetzung.
Laut Artikel 19(2) der indischen Verfassung können der Schutz der öffentlichen Ordnung und Anstiftungen zu Straftaten „angemessene Einschränkungen“ des Rechts auf freie Meinungsäusserung rechtfertigen. Der Oberste Gerichtshof Indiens hat jedoch festgelegt, dass solche Einschränkungen gesetzlich zulässig sein müssen und nicht unverhältnismässig sein dürfen. 2014 erklärte der Gerichtshof im Fall von Shreya Singhal, dass diese Einschränkungen nur dann zulässig seien, wenn die Auseinandersetzung mit einem speziellen Anliegen oder das Eintreten für ein spezielles Anliegen, „ein Ausmass erreicht, das Aufhetzung gleichkommt“.
Gemäss dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Indien gehört, muss jede Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäusserung eine gesetzliche Grundlage haben und von der Regierung als notwendig und rechtmässig dargelegt werden. Zudem dürfen derartige Einschränkungen nicht grösser sein, als unbedingt erforderlich, um das verfolgte Ziel zu erreichen.
Im August 2015 gab die Regierung des indischen Bundesstaates Maharashtra mittels Rundschreiben bekannt, dass Kritik gegen Angehörige der Regierung Volksverhetzung gleichkomme. Nach weit verbreiteter Kritik wurde das Rundschreiben im Oktober wieder zurückgezogen.
Mahatma Gandhi nannte das Gesetz gegen Volksverhetzung „den Prinzen unter den politischen Paragrafen des indischen Strafgesetzbuchs, die dazu dienen, die Freiheit der BürgerInnen zu unterdrücken.“