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UA 248/15
Israel
Abgeschlossen am 15. Dezember 2015

Minderjährige in Verwaltungshaft

AI-Index: MDE 15/2792/2015

Das israelische Militär hat Verwaltungshaftanordnungen gegen drei palästinensische 17-Jährige aus Ost-Jerusalem erlassen, die es ermöglichen, sie ohne Anklage auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Seit die Jugendlichen zwischen dem 17. und 19. Oktober festgenommen wurden, haben zwei von ihnen keine Besuche von Familienangehörigen empfangen dürfen.

Mohammed Ghaith und Fadi Abbasi, aus dem Stadtteil Silwan, und Kathem Sbeih, aus Jabal Mukkaber, befinden sich derzeit in Verwaltungshaft. Laut der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Addameer beschuldigt das israelische Militär sie, «eine ernsthafte und schwerwiegende Bedrohung für die nationale Sicherheit darzustellen» und «gewalttätige Aktivisten» zu sein. Scheinbar wirft man ihnen vor, Steine auf Polizeifahrzeuge geworfen und auf Facebook zu Gewalt aufgerufen zu haben.

Das israelische Militär erliess am 20. und 21. Oktober eine jeweils dreimonatige Verwaltungshaftanordnung gegen Fadi Abbasi und Mohammed Ghaith. Das Bezirksgericht in Jerusalem bestätigte diese am 26. Oktober. Am 28. Oktober bestätigte ein israelisches Gericht eine dreimonatige Verwaltungshaftanordnung gegen Kathem Sbeih, die am 18. Oktober vom Militär erlassen worden war. Diese Form der Haft ermöglicht es den israelischen Behörden, Personen ohne Anklage auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Die Inhaftierten können sich nicht verteidigen oder effektiv gegen ihre Inhaftierung vorgehen, da die Behörden ihnen und ihren Rechtsbeiständen die vorliegenden «Beweise» weitgehend vorenthalten.

Nach Angaben seines Vaters kamen MitarbeiterInnen des israelischen Sicherheitsdiensts (Israel Security Agency – ISA) am 17. Oktober um 3 Uhr morgens zu ihnen nach Hause, als Kathem Sbeih noch schlief. Sie nahmen ihn fest und brachten ihn in das Hauptverhörzentrum der Polizei in Jerusalem, das auch als «Russisches Lager» bekannt ist. Er befindet sich nun im Megiddo-Gefängnis im Norden Israels, wo sein Vater ihn am 3. November endlich besuchen konnte. Mohammed Ghaith und Fadi Abbasi wurden in den frühen Morgenstunden des 19. Oktober ebenfalls in ihren Schlafzimmern festgenommen und auf eine Polizeiwache in der Siedlung Ost-Talpiot in Ost-Jerusalem gebracht. Mohammed Ghaiths Vater gab an, die Sicherheitskräfte hätten ihm während der Festnahme gesagt, dass er seinen Sohn dort besuchen könne. Als er dies jedoch versuchte, sei ihm der Zutritt verweigert worden. Beide Jugendlichen wurden in das «Russische Lager» gebracht. Laut der Nichtregierungsorganisation Defence for Children International – Palestine (DCIP), haben beide angegeben, vor ihrer Vernehmung nicht über das Schweigerecht informiert worden zu sein und keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand gehabt zu haben. Seit der Festnahme von Mohammed Ghaith und Fadi Abbasi haben die israelischen Behörden ihre Familienangehörigen weder über den Aufenthaltsort der beiden Jugendlichen in Kenntnis gesetzt, noch ihnen die Möglichkeit gegeben, sie zu besuchen. Alle drei Jugendlichen besitzen einen Jerusalem-Identitätsausweis, der es ihnen erlaubt, in Ost- und West-Jerusalem sowie in anderen Teilen Israels zu wohnen.

Hintergrundinformationen

Der Einsatz der Verwaltungshaft nimmt in Israel typischerweise zu, wenn die Gewalt in den besetzten palästinensischen Gebieten zunimmt. Die Praxis wurde angeblich als Sondermassnahme zur Inhaftierung von Personen eingeführt, die eine grosse und unmittelbare Gefahr für die Sicherheit darstellen. Seit Jahren setzt Israel diese Form der Haft jedoch auch gegen Personen ein, die in einem ordentlichen Gerichtsverfahren vor Gericht gestellt werden sollten oder für deren Festnahme keinerlei Gründe vorliegen. (Weitere Informationen zum Einsatz der Verwaltungshaft in Israel finden Sie im englischsprachigen Bericht Starved of Justice: Palestinians Detained Without Trial by Israel» unter https://www.amnesty.org/en/documents/MDE15/026/2012/en/.)
Die gegen Mohammed Ghaith, Fadi Abbasi und Kathem Sbeih erlassenen Verwaltungshaftanordnungen sind besorgniserregend, da sie darauf hindeuten, dass die israelischen Behörden die Inhaftierung von Minderjährigen ohne Gerichtsverfahren wieder einzuführen scheinen. Gemäss internationalen Menschenrechtsnormen darf die Inhaftierung von Kindern (Personen unter 18 Jahren) lediglich als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden. Zudem muss es angemessene Alternativen zur Inhaftierung geben. Das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes besagt, dass «keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen» werden darf und dass der Freiheitsentzug bei Personen unter 18 Jahren «nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden» darf. Das Übereinkommen legt ausserdem fest, dass Kinder «das Recht [haben], mit ihren Familie durch Briefwechsel und Besuche in Verbindung zu bleiben, sofern keine aussergewöhnlichen Umstände vorliegen». Inhaftierte Kinder haben darüber hinaus das Recht, «die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Behörde anzufechten, sowie das Recht auf alsbaldige Entscheidung in einem solchen Verfahren» und «das Recht, zu diesem Zweck Zugang zu einem Rechtsbeistand zu bekommen».
Zwischen 2004 und 2008 befanden sich Dutzende palästinensische Minderjährige in Verwaltungshaft. Danach gingen die Zahlen kontinuierlich zurück, bis sich im Dezember 2011 nur noch ein Kind in Verwaltungshaft befand. Mohammed Ghaith, Fadi Abbasi und Kathem Sbeih sind die ersten Minderjährigen, die seit Dezember 2011 in Verwaltungshaft genommen wurden. Seit dem 1. Oktober ist es zu einer Eskalation der Gewalt in Israel und den besetzen palästinensischen Gebieten gekommen. Seitdem hat auch der Einsatz von scheinbaren Strafmassnahmen durch Israel gegen die palästinensische Bevölkerung immer weiter zugenommen. Zu diesen Massnahmen zählen – neben Massenverhaftungen und der willkürlichen Inhaftierung von PalästinenserInnen, unter anderem auch im Rahmen der Verwaltungshaft – der Abriss der Häuser von Familienangehörigen von PalästinenserInnen, denen vorgeworfen wird, Anschläge auf Israelis verübt zu haben, und die verschärfte, willkürliche Einschränkung der Freizügigkeit von PalästinenserInnen. Seit Oktober setzen die israelischen Sicherheitskräfte verstärkt unverhältnismässige und zum Teil tödliche Gewalt gegen PalästinenserInnen im besetzten Westjordanland, darunter auch in Ost-Jerusalem, ein. Israel hat es versäumt, die PalästinenserInnen vor einer Welle von Angriffen durch SiedlerInnen, insbesondere in Hebron und Ost-Jerusalem, zu schützen. Immer häufiger greifen PalästinenserInnen israelische Sicherheitskräfte und Zivilpersonen mit Stich- und Schusswaffen an. Acht israelische Zivilpersonen sind von PalästinenserInnen bereits erstochen bzw. erschossen worden. Dem palästinensischen Gesundheitsministerium zufolge sind 65 PalästinenserInnen in Israel, dem Westjordanland und Gaza durch israelische Streitkräfte getötet worden. In Jerusalem ist die Gewaltrate besonders hoch, denn hier kommt es seit dem Mord an Muhammad Abu Khdeir im Jahr 2014 beinah täglich zu Zusammenstössen zwischen der israelischen Polizei und PalästinenserInnen. Der 16-jährige Palästinenser war aus Rache für die Tötung von drei israelischen Jugendlichen im Juni 2014 entführt und getötet worden. Laut Addameer verhängte Israel nach der Tötung der drei israelischen Schüler Verwaltungshaftanordnungen gegen neun Personen, die sich im Besitz eines Jerusalem-Identitätsausweises befanden. Der letzte davor bekannte Fall, bei dem einer Person mit Jerusalem-Identitätsausweis in Verwaltungshaft genommen wurde, hatte sich im Jahr 2004 ereignet. Im Oktober 2015 befanden sich 23 Personen mit Jerusalem-Identitätsausweis und eine Palästinenserin mit israelischer Staatsbürgerschaft, die 19-jährige Asma Hamdan, in Verwaltungshaft. Ihre Inhaftierungen sollen mit angeblichen Aktivitäten in den sozialen Medien im Zusammenhang stehen. Abed Abu Ghazaleh, ebenfalls im Besitz eines Jerusalem-Identitätsausweises, wurde im Oktober in Verwaltungshaft genommen. Seine Inhaftierung stand mit Aussagen im Zusammenhang, die er gegenüber den Medien bezüglich der Tötung seines Sohnes Thaer durch die israelischen Sicherheitskräfte gemacht hatte. Sein Sohn hatte am 9. Oktober in Tel Aviv fünf Israelis angegriffen und verletzt, bevor er erschossen wurde. Abed Abu Ghazaleh hatte gegen die Weigerung der Behörden, Thaers Leiche an seine Familie zu überstellen, protestiert und wurde kurz darauf festgenommen. Laut der israelischen Zeitung Haaretz hat Abed Abu Ghazaleh keine Vorstrafen. Das erstinstanzliche Gericht in Jerusalem (Jerusalem Magistrates Court) soll die Polizei angewiesen haben, ihn freizulassen. Das israelische Militär legte ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein, welches jedoch abgewiesen wurde. Kurz darauf wurde Abed Abu Ghazaleh in Verwaltungshaft genommen.

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