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Tunesien
Abgeschlossen am 14. Januar 2016

Abdelfattah Said wegen Online-Video verurteilt

AI-Index: MDE 30/2977/2015

Der tunesische Lehrer Abdelfattah Said wurde zu einem Jahr Haft wegen Veröffentlichung eines Videos in sozialen Medien verurteilt. Seine Rechtsbeistände haben Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt und warten nun auf einen Verhandlungstermin.

Der Mathematiklehrer Abdelfattah Said wurde am 26. November zu einem Jahr Haft und einer Geldstrafe von 2.000 Tunesischen Dinar (etwa 900 Euro) verurteilt. Er war wegen «vorsätzlicher Verbreitung falscher Nachrichten» gemäss Paragraf 306 des tunesischen Strafgesetzbuchs schuldig gesprochen worden. Die Anklagen gegen ihn wegen terroristischer Straftaten wurden jedoch fallengelassen. Das Gericht sprach ihn der «Diffamierung eines Staatsbediensteten» frei.

Abdelfattah Said wurde am 7. Juli 2015 im Zusammenhang mit einem Video, das er auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hatte, von Angehörigen der Anti-Terror-Polizei festgenommen. In dem Video gibt er an, dass der Anschlag in Sousse, bei dem im Juni 2015 insgesamt 38 TouristInnen getötet wurden, von den Sicherheitskräften inszeniert worden sei, um die Regierungsopposition niederschlagen und Moscheen schliessen lassen zu können. Abdelfattah Said ist gemäss dem Anti-Terror-Gesetz von 2003 wegen «Beteiligung an oder Förderung von Terrorismus» angeklagt worden. Er wurde zudem gemäss den Paragrafen 128 und 306 (Absatz 3) des tunesischen Strafgesetzbuchs wegen «Diffamierung eines Staatsbediensteten» und «vorsätzlicher Verbreitung falscher Nachrichten mit dem Ziel andere Personen von dem Vorhandensein einer Straftat zu überzeugen» angeklagt. Wäre er in allen Punkten schuldig gesprochen worden, hätten ihm bis zu 19 Jahre Haft gedroht.

Seine Rechtsbeistände machen geltend, dass Abdelfattah Said lediglich einen Kommentar zu dem Anschlag in Sousse abgegeben und keine «falschen Nachrichten» verfasst oder vorsätzlich verbreitet habe. Sie haben Rechtmittel gegen das Urteil eingelegt und warten nun auf einen Verhandlungstermin vor einem Berufungsgericht. Abdelfattah Said befindet sich im Gefängnis von al-Mornaguia, wo er bisher keine Behandlung zur Linderung seiner Rückenbeschwerden erhalten hat.

Hintergrundinformationen

Abdelfattah Said ist Lehrer für Mathematik sowie Programmierer und Dichter. Er hat bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter auch den vom tunesischen Bildungsministerium vergebenen Preis für innovative Lehrerinnen und Lehrer 2009 und den Sheikh-Khalifa-Preis für die Bildung von Kindern in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2012.
Abdelfattah Said erschien am 15. Juli auf der Polizeistation in Al-Gorjani, einem Stadtteil der tunesischen Hauptstadt Tunis, nachdem die Anti-Terror-Polizei ihn für eine Befragung zu einem von ihm auf Facebook veröffentlichten Video vorgeladen hatte. Obwohl man dem Mathematiklehrer gesagt hatte, dass er noch am selben Abend wieder nach Hause gehen dürfe, wurde er dortbehalten und am 22. Juli in das Mornaguia-Gefängnis in Tunis gebracht.
Mitglieder der Tunesischen Liga für Menschenrechte, welche Teil des Tunesischen Quartetts für den nationalen Dialog ist, das 2015 den Friedensnobelpreis erhalten hat, besuchten Abdelfattah Said am 7. Oktober im Gefängnis.
Gegen Abdelfattah Said ist Anklage gemäss Paragraf 18 des tunesischen Anti-Terror-Gesetzes von 2003 erhoben worden. Darin heisst es: «Jede Person, die Mitgliedern einer Organisation oder Einzelpersonen in Verbindung mit terroristischen Straftaten einen Versammlungsort bietet, hilft, sie unterzubringen oder zu verstecken, ihre Flucht unterstützt oder sie bei sich aufnimmt, ihre Straffreiheit sicherstellt oder von dem Ergebnis ihrer Straftaten profitiert, wird zu einer Haftstrafe von zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt und mit einer Geldstrafe von zwischen 5.000 und 12.000 Dinar belegt.» Gegen Abdelfattah Said ist zudem gemäss Paragraf 128 des tunesischen Strafgesetzbuchs Anklage erhoben worden wegen «Verantwortlichmachens eines Staatsbediensteten für illegale Handlungen in Verbindung mit dessen Arbeit durch Nutzung der Medien oder über andere Wege, ohne Beweise vorlegen zu können» und gemäss Paragraf 306 des Strafgesetzbuchs wegen «Verbreitung falscher Nachrichten mit dem Ziel andere Personen von dem Vorhandensein einer Straftat zu überzeugen».
Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist in Artikel 31 der neuen tunesischen Verfassung sowie in Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), zu dessen Vertragsstaaten Tunesien gehört, festgeschrieben. Das Recht auf freie Meinungsäusserung beinhaltet auch das Recht, öffentlich Kritik an Staatsbediensteten und staatlichen Einrichtungen zu üben. Laut dem UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des IPbpR überwacht, sollten öffentliche FunktionsträgerInnen sowie öffentliche Einrichtungen bereit sein, ein höheres Mass an Kritik hinzunehmen als «NormalbürgerInnen». Bestimmungen oder Gesetze, die Staatsbediensteten besonderen Schutz vor Kritik zusprechen, sind mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung nicht vereinbar. Gewisse Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung können zulässig sein, wenn sie zum Schutz des öffentlichen Interesses oder zum Schutz der Rechte anderer nachweislich erforderlich und verhältnismässig sind. Die «Verbreitung falscher Nachrichten» sollte jedoch nicht als Straftat angesehen werden, wenn keine vorsätzliche böswillige Absicht und nachteilige Auswirkungen vorliegen. Inhaftierungen stellen in diesem Zusammenhang eine unverhältnismässige Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäusserung dar. Amnesty International hat die Behörden in Tunesien wiederholt dafür kritisiert, dass sie Anklagen wegen «Diffamierung» gegen RegierungskritikerInnen, JournalistInnen, BloggerInnen und KünstlerInnen einsetzen, und eine Überprüfung und Überarbeitung der Rechtsvorschriften gefordert, mit denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Dies umfasst auch die entsprechenden Vorschriften des tunesischen Strafgesetzbuchs.

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