Flüchtlingen droht Rückführung nach Syrien
Etwa 150 syrische Flüchtlinge werden in einem Lager in der türkischen Provinz Osmaniye nahe der syrischen Grenze festgehalten. Ihnen droht die Rückführung nach Syrien durch die türkischen Behörden. Eine kleinere Gruppe irakischer Flüchtlinge wurde aus dem Lager freigelassen, unter der Bedingung, dass sie innerhalb eines Monats in den Irak zurückkehren. Die Flüchtlinge befanden sich in einem Boot auf dem Weg nach Griechenland, als es laut Berichten der Flüchtlinge nach Beschuss durch die türkische Küstenwache am 15. September sank. Dabei sind mindestens 22 Menschen, darunter auch Kinder, ums Leben gekommen.
Die 150 Flüchtlinge waren Teil einer Gruppe von über 250 Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak, die sich am 15. September in einem Boot auf dem Weg von Bodrum im Westen der Türkei zu der griechischen Insel Kos befand. Nach Angaben der Flüchtlinge feuerte die türkische Küstenwache mehrere Schüsse auf ihr Boot ab, das in der Folge sank. Die türkische Küstenwache hat bestätigt, dass 249 Flüchtlinge gerettet und die Leichname von 22 Personen, darunter auch Kinder, geborgen worden seien. Ein Grossteil der Flüchtlinge wurde zunächst in Bodrum oder der umliegenden Gegend festgehalten. Anschliessend wurden sie am 17. September in ein Lager in Düziçi in der Provinz Osmaniye verlegt. Dies geschah gegen ihren Willen und ohne ihnen mitzuteilen, wo sie hingebracht würden. In dem Lager in Düziçi könnten sich bis zu 700 Flüchtlinge befinden.
Berichten von Flüchtlingen zufolge, die in dem Lager festgehalten werden, haben die Behörden ihnen mitgeteilt, dass sie so lange dort bleiben müssten, bis sie einer Rückführung nach Syrien über die Grenzübergänge Bab al-Hawa oder Bab al-Salam zustimmenwürden. Diese Grenzübergänge werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Zudem haben Menschen, die sich in dem Lager befinden, berichtet, dass die meisten der irakischen Flüchtlinge freigelassen worden seien, unter der Bedingung, innerhalb eines Monats in den Irak zurückzukehren. Die Flüchtlinge seien dazu gezwungen worden, Dokumente in türkischer Sprache zu unterzeichnen, deren Inhalt sie nicht verstehen konnten. Amnesty International hat mit einem irakischen Flüchtling gesprochen, der in den Irak zurückgekehrt ist und sich aus Angst um sein Leben derzeit versteckt hält.
Aufgrund der andauernden Konflikte sowohl in Syrien als auch im Irak sollten weder syrische noch irakische Flüchtlinge in diese Länder abgeschoben werden, da sie dort dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Dies ist als Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) bekannt. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung gilt für Fälle allgemeiner Gewalttätigkeiten aufgrund bewaffneter Konflikte (so wie im Falle von Syrien und dem Irak) und ist bindend für alle Staaten. Es würde ebenfalls gegen diesen Grundsatz verstossen, Flüchtlinge mit der Drohung zeitlich unbegrenzter Inhaftierung zur Rückkehr in ihr Heimtland zu zwingen.
Das Festhalten von Flüchtlingen in einem Lager, das sie nicht verlassen können, kommt Inhaftierung gleich. Jegliche Massnahme, die das Recht auf Freiheit von Flüchtlingen und Asylsuchenden einschränkt, darf nur in Ausnahmefällen und auf der Grundlage einer jeweils individuellen Bewertung angewandt werden. In diesem Fall ist die Inhaftierung offenbar willkürlich und in der Folge nach internationalen Menschenrechtsnormen verboten.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Das Recht auf Asyl
Das Recht, Asyl zu beantragen und zu geniessen, ist ein grundlegendes Menschenrecht, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben ist und durch das Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) geschützt wird. Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert. Amnesty International betrachtet Syrien und den Irak als Länder, in denen Personen bei ihrer Rückkehr dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären.
Grundsatz der Nichtzurückweisung
Der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Dieser Grundsatz verbietet es, Personen in irgendeiner Weise in Gebiete zurückzuweisen, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen – wie es bei Menschen aus Syrien der Fall ist. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist in der Genfer Flüchtlingskonvention und in zahlreichen weiteren Menschenrechtsinstrumenten verankert, zu deren Einhaltung die Türkei verpflichtet ist. Verstösse gegen diesen Grundsatz können auf verschiedene Weise erfolgen. Einen direkten Verstoss stellt beispielsweise eine Abschiebung in das Herkunftsland dar. Ein indirekter Verstoss liegt vor, wenn Flüchtlingen z. B. der Zugang zu einem Gebiet oder zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren verwehrt wird. Auch das Ausüben von Druck auf Flüchtlinge, um diese zu einer Rückkehr in ein Gebiet zu zwingen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheiten gefährdet sind, stellt einen indirekten Verstoss gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Dieses Vorgehen ist als faktisches Refoulement bekannt und gemäss Völkerrecht verboten, welches bindend für die Türkei ist.
Verbot willkürlicher Inhaftierung
Willkürliche Inhaftierungen sind gemäss Völkerrecht verboten. Dieses Verbot ist in Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben, zu dessen Vertragsstaaten die Türkei gehört. Der Begriff „willkürlich“ ist hierbei im weitesten Sinne zu verstehen und umfasst auch Aspekte wie Unangemessenheit, Ungerechtigkeit, fehlende Vorhersehbarkeit und fehlendes ordentliches Verfahren sowie Zumutbarkeit, Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit. Darüber hinaus berechtigt das Prinzip habeas corpus, wie es beispielsweise in Artikel 9 (4) des IPbpR enthalten ist, jeden, dem seine Freiheit entzogen ist, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen. Das Gericht muss unverzüglich über die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und die Freilassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmässig ist.