Unmittelbar drohende Hinrichtung trotz Unschuldsbezeugungen
Am 6. Oktober soll der Afroamerikaner Kimber Edwards im US-Bundesstaat Missouri hingerichtet werden. Er war 2002 zum Tode verurteilt worden, weil er den Mord an seiner Ex-Frau in Auftrag gegeben haben soll. Der Mann, der des Mordes für schuldig befunden wurde und derzeit eine lebenslange Haftstrafe verbüsst, bestreitet mittlerweile, dass Kimber Edwards etwas mit der Ermordung zu tun hatte.
Kimberly Cantrell wurde am 23. August 2000 mit einer Schusswunde im Kopf tot in ihrem Apartment in University City im US-Bundesstaat Missouri aufgefunden. Sie war zuletzt am Tag zuvor gesehen worden. Kimberly Cantrell befand sich in einem anhaltenden Disput mit ihrem Ex-Mann Kimber Edwards über Kindesunterhaltszahlungen. Die Polizei nahm einen Mann namens Orthell Wilson fest, da ZeugInnen bestätigen konnten, dass er am 22. August vor der Wohnung von Kimberly Cantrell gesehen worden war. Er wurde des Mordes angeklagt und belastete in einer Stellungnahme auch Kimber Edwards. Kimber Edwards stritt jegliche Beteiligung an dem Mord ab. Nachdem die Polizei ihm jedoch mitteilte, dass man seine Frau und Kinder befragen würde, gab Kimber Edwards an, einem Mann namens Michael 1.600 USD (etwa 1.400 EUR) gezahlt zu haben, um Kimberly Cantrell umzubringen. Orthell Wilson bestritt nach Angaben der Polizei jedoch die Existenz von «Michael». Kimber Edwards sagte der Polizei daraufhin, Orthell Wilson habe eine Bezahlung für seine Beteiligung an der Tötung gefordert.
Kimber Edwards hat seither abgestritten, in den Mord involviert zu sein, und angegeben, er habe die Aussage nur gemacht, damit die Polizei seine Familie in Ruhe lasse. Orthell Wilson sagte nicht unter Eid aus, doch die Angaben, die er vor der Polizei gemacht hatte, wurden den Geschworenen vorgetragen. Die Geschworenen befanden Kimber Edwards des Mordes für schuldig und sprachen sich in einer Anhörung, die kaum einen Tag dauerte, für ein Todesurteil aus. Orthell Wilson plädierte auf schuldig, um der Todesstrafe zu entgehen. Er erhielt eine lebenslange Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung.
Am 8. Mai 2015 unterzeichnete Orthell Wilson eine eidesstattliche Erklärung, in der er die belastende Stellungnahme gegen Kimber Edwards zurücknahm. Er gab an, die Angaben gemacht zu haben, weil er von der Polizei unter Druck gesetzt wurde und befürchtete, zum Tode verurteilt zu werden. Orthell Wilson sagte: «Ich allein habe Kimberly Cantrell getötet … Kimber Edwards ist vollkommen unschuldig und hat mit dem Mord nichts zu tun.» Seinen Angaben zufolge befand er sich im Jahr 2000 in einer «geheimen romantischen Beziehung» mit Kimberly Cantrell. Er habe sie erschossen, weil sie sich über seine «Drogenabhängigkeit und ständige Geldnot» gestritten hätten. Drei seiner damaligen NachbarInnen haben eidesstattliche Erklärungen unterzeichnet, in denen sie angaben, von der Beziehung zwischen Orthell Wilson und Kimberly Cantrell gewusst zu haben. Im Jahr 2004 wurde Kimber Edwards von einem Psychiater mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert. Nach Angaben des Psychiaters hat dies «negative Auswirkungen auf die Verlässlichkeit seiner Aussage gegenüber den KriminalbeamtInnen während des Verhörs und beeinträchtigt auch seine Fähigkeit, wissentlich auf seine Rechte zu verzichten». Nach Ansicht des Psychiaters könnte auch die «seltsame» Reaktion von Kimber Edwards auf die Nachricht des Todes seiner Ex-Frau auf das Asperger-Syndrom zurückgeführt werden. Die Geschworenen hatten seine Reaktion als «nonchalant», «entspannt» und «unbekümmert» beschrieben. Den Geschworenen wurde die Erklärung des Psychiaters für das «abträgliche» Verhalten von Kimber Edwards vorenthalten.
In den USA wurden dieses Jahr bisher 20 Hinrichtungen vollzogen, sechs davon in Missouri. Seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen in den USA im Jahr 1976 wurden dort 1.414 Todesurteile vollstreckt, 86 davon in Missouri. Im selben Zeitraum wurden nachweislich in 140 Mordfällen Fehlurteile gefällt. Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt. Weltweit haben 140 Staaten die Todesstrafe in Gesetz oder Praxis abgeschafft.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Bei der Auswahl der Geschworenen hat die Staatsanwaltschaft in den USA die Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl an Geschworenen mit oder ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Bei der Auswahl der Geschworenen für das Verfahren gegen Kimber Edwards lehnte die Staatsanwaltschaft alle drei afroamerikanischen KandidatInnen ohne Angabe von Gründen ab. Die Verteidigung legte Einspruch gegen zwei dieser Ablehnungen ein und machte geltend, dass die Staatsanwaltschaft diese Geschworenen allein auf der Grundlage ihrer Hautfarbe abgelehnt habe. Dies würde gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall Batson v. Kentucky von 1986 verstossen. Im ersten angefochtenen Fall führte die Staatsanwaltschaft an, dass die Kandidatin abgelehnt wurde, weil sie «erwähnt hatte, dass ihre Nichte unfair von der Polizei behandelt worden war» und «sie Gerichten und Staatsanwälten scheinbar misstraute». Die Verteidigung argumentierte, dass im Gegensatz dazu eine weisse Kandidatin nicht von der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde, obwohl diese angegeben hatte, dass ihr Neffe ihrer Ansicht nach in der Vergangenheit im Strafjustizsystem zu hart bestraft worden sei. Das Gericht wies den Einspruch jedoch zurück und erkannte die Argumentation der Staatsanwaltschaft an, die Ablehnung sei nicht aus Gründen der Hautfarbe erfolgt. Im zweiten angefochtenen Fall gab die Staatsanwaltschaft an, den Kandidaten abgelehnt zu haben, weil er bei der Post angestellt sei und die Staatsanwaltschaft «Postangestellte immer ablehne». Man sei der Ansicht, dass PostmitarbeiterInnen als Angestellte bei «einer der grössten bürokratischen Einrichtungen», die stets Regeln zu befolgen hatten, die Geschworenentätigkeit als willkommene Möglichkeit ansähen, einmal «die Regeln nicht zu befolgen». Im Berufungsverfahren wurde darauf hingewiesen, dass dieses bestimmte staatsanwaltschaftliche Büro dafür bekannt ist, schwarze GeschworenenkandidatInnen ohne Angabe von Gründen abzulehnen. In diesem Zusammenhang wurde auch aufgezeigt, dass über 50 Prozent der Postangestellten in St Louis County AfroamerikanerInnen sind. Daher könne die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, Postangestellte ohne Angabe von Gründen als Geschworene in Mordfällen abzulehnen, nicht als unabhängig von der Hautfarbe der Betroffenen angesehen werden. Diese Argumente wurden jedoch zurückgewiesen und der Einspruch abgelehnt.