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Startseite Urgent Actions 2015 09 Journalists’ appeal to be heard in October
UA 203/15
Ägypten
Abgeschlossen am 3. November 2015

Berufungsverfahren ab Oktober

AI-Index: MDE 12/2485/2015

Am 1. Oktober beginnt das Berufungsverfahren von 14 Journalisten, die zu jeweils lebenslanger Haft verurteilt worden sind, sowie von einem weiteren Journalisten, der zum Tode verurteilt worden ist. Die Männer waren auf der Grundlage politisch motivierter Anklagen der «Verbreitung falscher Informationen» für schuldig befunden worden.

Am 11. April sind 14 Journalisten von einem Strafgericht in Kairo wegen der «Verbreitung falscher Informationen» zu lebenslanger Haft (25 Jahre) verurteilt worden, was nach dem Völkerrecht keinen Straftatbestand darstellt. Ausserdem wurden sie der «Anstiftung zur Gewalt gegen Sicherheitskräfte, die zu Angriffen auf staatliche Institutionen geführt hat» für schuldig befunden. Ein weiterer Journalist wurde von dem Gericht wegen der «Schaffung eines Medienkomitees mit dem Ziel, falsche Informationen über die Situation im Land zu verbreiten» sowie des «Anführens und der Finanzierung einer verbotenen Gruppe» (Muslimbruderschaft) zum Tode verurteilt. Die 15 Männer waren Teil einer Gruppe von 51 Angeklagten, denen das Betreiben einer „Operationszentrale“ während des Sitzstreiks auf dem Rabaa al-Adawiya-Platzes in Kairo vorgeworfen wird. An der Protestkundgebung hatten auch führende Vertreter der Muslimbruderschaft teilgenommen. Der Protest war von AnhängerInnen des ehemaligen Präsidenten Mursi nach dessen Sturz im Juli 2013 durchgeführt worden. Der Sitzstreik wurde am 14. August gewaltsam von Sicherheitskräften aufgelöst, dabei wurden Hunderte Protestierende getötet.

Laut Fallakte haben die Journalisten während ihrer Befragung durch die Staatsanwaltschaft sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Die einzigen Beweismittel gegen sie waren Bücher von islamischen politischen Persönlichkeiten, Pläne zu friedlichen Protestkundgebungen nach der gewaltsamen Auflösung des Sitzstreiks auf dem Rabaa al-Adaweya-Platz sowie einige Visitenkarten mit dem Logo der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der politischen Partei der Muslimbruderschaft. Das Gericht berief sich ausschliesslich auf Untersuchungen der Abteilung für nationale Sicherheit des Innenministeriums, die für sämtliche Ermittlungen in Fällen in Ägypten verantwortlich ist, die mit Terrorismus in Verbindung stehen. Der Nationale Sicherheitsdienst ist bekannt dafür, Geständnisse unter Folter von Personen zu erzwingen, die unter Bedingungen festgehalten werden, die dem Verschwindenlassen gleichkommen.

Viele der Journalisten wurden ohne Haftbefehl festgenommen und nicht innerhalb von 24 Stunden einem oder einer HaftrichterIn zum Verhör vorgeführt, wie es das Gesetz vorsieht. Ausserdem fand ihr Verfahren in einem Gericht innerhalb des Gefängnisses statt, was gegen die Unschuldsvermutung verstösst. Sie wurden in Abwesenheit ihrer Rechtsbeistände von VertreterInnen der Abteilung für nationale Sicherheit sowie der Staatsanwaltschaft verhört. Ihre Rechtsbeistände haben ein Rechtsmittel eingelegt, das am 1. Oktober vom höchsten Gericht in Ägypten, dem Kassationsgericht, gehört werden wird.

Hintergrundinformationen

Waleed Shalaby ist Journalist bei der offiziellen Zeitung der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Er wurde vom Strafgericht wegen der Schaffung und Beaufsichtigung von Medienkomitees während des Sitzstreiks auf dem Rabaa al-Adawiya-Platz mit dem Ziel, „falsche Informationen“ zu verbreiten, die zu Angriffen auf staatliche Institutionen geführt haben, zum Tode verurteilt. Zudem wurde er des „Anführens und der Finanzierung einer verbotenen Gruppe“ (Muslimbruderschaft) für schuldig befunden. Unter denjenigen, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, befinden sich unter anderem der Fernsehmoderator Mohamed Eladly von Amgad TV sowie die Journalisten Abdallah Alfakhrany und Samhi Mostafa vom Nachrichtennetzwerk Rassd News. Die drei Männer wurden am 25. August 2013 im Rahmen einer Durchsuchung des Hauses von Salah Soltan, einem bekannten Mitglied der Muslimbruderschaft, von Sicherheitskräften festgenommen. Die Journalisten hatten den Sohn von Salah Soltan, Mohamed Soltan, besucht, der ebenfalls festgenommen wurde. Die Angehörigen der Sicherheitskräfte legten weder einen Durchsuchungsbefehl noch Haftbefehle der Staatsanwaltschaft vor, nahmen die vier Männer jedoch trotzdem fest und brachten sie zur Basateen-Polizeistation in Kairo. Als sie nach dem Grund ihrer Festnahmen fragten, erklärte ein Sicherheitsbeamter: „Bleibt hier und wir werden ein paar Anschuldigungen gegen euch finden.“ Nachdem die Männer in verschiedene Polizeistationen und Gefängnisse überstellt worden waren, schlugen die Sicherheitskräfte auf sie ein und bezeichneten dies als „Willkommensparty“. Die Gefangenen befinden sich derzeit im Gefängnis Wadi al-Natrun (92 km nördlich von Kairo). Der Leiter des Fernsehsenders Al-Aqsa, Ahmed Sebeh, wurde ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt. Er war am 4. Oktober 2013 in seinem Haus festgenommen und zur Helwan-Polizeistation im Grossraum Kairo gebracht worden. Dort wurde er 13 Monate lang festgehalten, während die Staatsanwaltschaft seine Haftanordnung ohne Anklageerhebung wiederholt verlängerte. Während dieser Zeit wurde er von VertreterInnen der Staatsanwaltschaft verhört und Sicherheitskräfte durchsuchten das Büro von Al-Aqsa in Kairo. Dabei beschlagnahmten sie Ausrüstung, Kameras sowie Film- und Tonbänder. Der Rechtsbeistand von Ahmed Sebeh gab gegenüber Amnesty International an, die Staatsanwaltschaft sei später zu dem Schluss gekommen, dass durch das konfiszierte Material keinerlei Verbindung zur Muslimbruderschaft nachgewiesen werden konnte und darin keine Erwähnungen zur politischen Situation in Ägypten zu finden gewesen seien. Mosaad Elbarbary, Leiter des Fernsehsenders Ahrar 25, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Libanesische Sicherheitskräfte nahmen ihn am 2. April 2014, offenbar auf Anordnung der ägyptischen Behörden, fest und hielten ihn fünf Tage lang in der Hafteinrichtung des Allgemeinen Sicherheitsdienstes in Beirut fest. Danach brachten ihn Angehörige der libanesischen und ägyptischen Sicherheitskräfte zum Flughafen und setzten ihn in ein Flugzeug nach Ägypten. Bei seiner Ankunft wurde er von Sicherheitskräften in Empfang genommen, die ihn ins Tarhelat al-Giza-Gefängnis brachten. Dort verhörten ihn Angehörige der Abteilung für nationale Sicherheit zu dem Fall, der später unter dem Namen „Operationszentrale Rabaa“ bekannt wurde. Mosaad Elbarbary befindet sich derzeit im Gefängnis Wadi al-Natrun. Am 28. November 2014 wurde der ehemalige Leiter der Nachrichtenwebseite Youm7 und Mitglied des Ägyptischen Pressesyndikats, Hani Salah Eldin, am Flughafen von Kairo von Sicherheitskräften festgenommen. Angehörige der Polizei verhörten ihn auf der Polizeistation von Nasr City, bevor er in das al-Aqrab-Gefängnis verlegt wurde. Dort verbrachte er fünf Monate in Einzelhaft, anschliessend wurde er in das Tora Liman-Gefängnis überstellt. Nach Angaben seiner Familie wurde er erst 21 Tage nach seiner Festnahme von der Staatsanwaltschaft verhört, obwohl die ägyptische Verfassung vorsieht, dass Inhaftierte innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Festnahme der Staatsanwaltschaft vorgeführt werden müssen. Das Gericht inhaftierte ausserdem den Journalisten Hassan Al Kabany von der Tageszeitung Al-Karama, den Journalisten Khaled Hamza von Ikhwanweb und den Leiter von Ikhwanweb, Abdo Mostafa Desouky, sowie den Fernsehmoderator Youssef Talaat. Zahlreiche Journalisten wurden von dem Gericht in Abwesenheit verurteilt: Amr Farag, Leiter der Nachrichtenwebseite Rassd, Magdy Abdelatif, Journalist bei Ikhwan Online, Ibrahim Eltaher, freiberuflicher Journalist, und Gamal Nassar, Online-Journalist bei al-Mokhtar al-Islamy. Seit dem Sturz von Mohamed Mursi im Juli 2013, sind JournalistInnen und Medienschaffende in Ägypten aufgrund ihrer unabhängigen Berichterstattung oder weil sie die Darstellung der Behörden in Frage stellen, festgenommen oder angeklagt worden. Die Behörden haben JournalistInnen, die Kritik üben oder mit der Opposition in Verbindung stehen, auf der Grundlage erfundener Anklagepunkte wie beispielsweise der Verbreitung „falscher Nachrichten, Informationen oder Gerüchte“ oder auch staatsgefährdender Aktivitäten und des Aufrufs zu Gewalt strafrechtlich verfolgt. Nach Recherchen von Amnesty International sind in Ägypten derzeit mindestens 20 JournalistInnen und andere Medienschaffende inhaftiert. Die meisten von ihnen hatten über Menschenrechtsverletzungen berichtet, die Sicherheitskräfte oder Regierung kritisiert oder einfach nur die Polizei oder Armee fotografiert. Einige von ihnen hatten für Medien gearbeitet, von denen bekannt ist, dass sie die inzwischen verbotene Muslimbruderschaft unterstützen. Andere sind offenbar zwischen die Fronten von Ägypten und Katar geraten. Katar war ein grosser Unterstützer der Regierung von Mohamed Mursi.

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