Unmittelbar drohende Hinrichtung eines Salvadorianers
Der salvadorianische Staatsangehörige Alfredo Prieto soll am 1. Oktober im US-Bundesstaat Virginia hingerichtet werden. Er wurde 2008 des zweifachen Mordes für schuldig befunden. Es gibt Beweise, wonach er an einer geistigen Behinderung leidet. Seine Hinrichtung wäre damit verfassungswidrig.
Rachael A. Raver und Warren H. Fulton III wurden im Dezember 1988 in der Nähe von Reston im US-Bundesstaat Virginia ermordet. 2005 wurde der salvadorianische Staatsangehörige Alfredo Prieto aufgrund von DNA-Spuren als Verdächtiger identifiziert. Sein erstes Verfahren endete 2007 wegen Fehlverhaltens eines Jurymitglieds in einem Fehlprozess. In dem Wiederaufnahmeverfahren 2008 wurde er des zweifachen Mordes für schuldig befunden. 2009 wurden die beiden Todesurteile aufgrund von Problemen mit den Urteilsformularen der Jury aufgehoben. Alfredo Prieto wurde 2010 erneut zum Tode verurteilt. Diese Urteile wurden während des Berufungsverfahrens aufrechterhalten.
Die geistigen Fähigkeiten von Alfredo Prieto waren Gegenstand des gesamten Verfahrens. 2002 verbot der Oberste US-Gerichtshof die Hinrichtung von Personen mit geistiger Behinderung (mental retardation / intellectual disability). Zum Zeitpunkt des Verfahrens von Alfredo Prieto sah das Gesetz von Virginia vor, dass Angeklagte eines Kapitalverbrechens einen Intelligenzquotienten (IQ) von höchstens 70 Punkten aufweisen dürfen, um als Person mit geistiger Behinderung zu gelten. Der IQ von Alfredo Prieto wurde insgesamt dreimal ermittelt. Zweimal lagen die Werte weit unter 70 Punkten (64 und 66 Punkte), ein dritter Wert lag jedoch bei 73 Punkten. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, die beiden Werte, die niedriger als 70 Punkte waren, seien ungültig. Die Jury folgte dieser Einschätzung und verurteilte Alfredo Prieto zum Tode, da eine geistige Behinderung nicht nachgewiesen worden war.
In seiner Entscheidung im Fall Hall gegen Florida urteilte der Oberste US-Gerichtshof, dass Bundesstaaten einen festgelegten IQ nicht als Bewertungsgrundlage dafür verwenden können, ob eine inhaftierte Person hingerichtet werden kann oder nicht. Geistige Behinderung, so das Gericht, «ist keine Zahl… Gerichte, genauso wie die medizinische Fachwelt, müssen anerkennen, dass der IQ-Test unpräzise ist.» Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der starre gesetzlich festgelegte Schwellenwert von 70 Punkten verfassungswidrig sei. Durch die Anwendung dieses Tests werde verhindert, dass andere Beweismittel ausser dem IQ zugelassen werden, durch die Beschränkungen der geistigen Fähigkeiten des oder der Angeklagten nachgewiesen werden könnten. Die Rechtsbeistände von Alfredo Prieto argumentieren, dass der US-Bundesstaat Virginia einen Fehler begangen habe, indem er sich lediglich auf die verfassungswidrige Definition berufen hat, um zurückzuweisen, dass er an einer geistigen Behinderung leidet. Zudem würden verfahrenstechnische Formalitäten sie davon abhalten, die geistige Behinderung von Alfredo Prieto zum Gegenstand einer ordnungsgemässen und fairen Anhörung vor den Gerichten in Virginia zu machen.
Hintergrundinformationen
In den USA wurden dieses Jahr bisher 20 Hinrichtungen vollzogen. Seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen in den USA im Jahr 1976, vier Jahre nachdem bestehende Gesetze aufgrund der willkürlichen Art und Weise, in der Todesurteile verhängt wurden, aufgehoben worden waren, wurden dort 1.414 Todesurteile vollstreckt, 110 davon in Virginia. Die letzte Hinrichtung wurde dort am 16. Januar 2013 durchgeführt. Weltweit haben 140 Staaten die Todesstrafe in Gesetz oder Praxis abgeschafft.
Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.
Weiter auf Englisch
In Hall v. Florida issued on 27 May 2014, the US Supreme Court wrote of Florida’s rigid IQ of 70 cut-off law: “Pursuant to this mandatory cut-off, sentencing courts cannot consider even substantial and weighty evidence of intellectual disability as measured and made manifest by the defendant’s failure or inability to adapt to his social and cultural environment, including medical histories, behavioral records, school tests and reports, and testimony regarding past behavior and family circumstances. This is so even though the medical community accepts that all of this evidence can be probative of intellectual disability, including for individuals who have an IQ test score above 70.” Hall v. Florida reiterated the Supreme Court’s view that dignity is the basic concept underlying the US constitutional ban on “cruel and unusual punishments”, and asserted that this “protection of dignity reflects the Nation we have been, the Nation we are, and the Nation we aspire to be.” Florida’s IQ cut-off law, it ruled, “contravenes our Nation’s commitment to dignity and to its duty to teach human decency as the mark of a civilized world”. The states of the USA, the Hall v. Florida ruling said, “are laboratories for experimentation, but those experiments may not deny the basic dignity the Constitution protects”.