Weitere drohende Zwangsräumungen
Tausenden Personen im nigerianischen Bundesstaat Kaduna droht die rechtswidrige Zwangsräumung nachdem sie schriftlich angewiesen wurden, ihre eigenen Häuser innerhalb von 21 Tagen abzureissen. Andernfalls wird der Staat den Abriss vornehmen und die BewohnerInnen haften für die Erstattung der entstandenen Kosten. 92 Häuser sind bereits abgerissen worden, 267 weitere könnten folgen.
Die Behörde für Stadtplanung und -entwicklung des Bundesstaates Kaduna (Kaduna State Urban Planning and Development Authority, KASUPDA) hat schriftlich angeordnet, dass 267 Häuser in Gemeinden in Zaria innerhalb von 21 Tagen abgerissen werden müssen, unter anderem in den Gemeinden Kofan Doka, Kofan Kibo und Anguwan Alkali. Die schriftlichen Mitteilungen, die Amnesty International vorliegen, wurden am 12. August erstellt und die Frist zum Abriss der Häuser endet am 2. September. Den BewohnerInnen zufolge wurden sie weder bezüglich der Abrisse konsultiert, noch zahlte man ihnen eine Entschädigung und / oder stellte alternative Unterkünfte zur Verfügung. Laut den Mitteilungen haben die Betroffenen «ohne Zustimmung der Regierung Land in Anspruch genommen, das sich im Staatsbesitz befindet (Alhudda-hudda College)». Ibrahim Usman, Vorsitzender einer Vereinigung dreier betroffener Gemeinden, gab Amnesty International gegenüber an, dass einige BewohnerInnen bereits seit beinah 30 Jahren in diesen Gemeinden wohnen. Amnesty International hat Dokumente eingesehen, die den Verkauf von Land und die Bewohnbarkeit der Gebäude bescheinigen und somit das Recht der BewohnerInnen, in der Gegend zu leben, gesetzlich anerkennen. Diese Dokumente scheinen zu belegen, dass die lokalen und bundesstaatlichen Regierungsbehörden wussten, dass die Betroffenen in diesen Gemeinden leben, und dem zugestimmt haben.
Sollten die Häuser abgerissen werden, würden Tausende Personen obdachlos werden und weiteren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein. Von Amnesty International befragte BewohnerInnen gaben an, dass zwischen zehn und 42 Menschen in einem Haus leben. Hunderte Männer, Frauen und Kinder sind aufgrund der Zerstörung von 92 Häusern in der Gemeinde Bayan Alhudda-hudda in Zaria, bereits obdachlos. Einige von ihnen haben in einer Moschee, in behelfsmässigen Hütten und auf dem Marktplatz Zuflucht gefunden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Die Regierung des Bundesstaates Kaduna ist derzeit bemüht, durch den Abriss von Gebäuden Land zurückzuerlangen, das staatlichen Institutionen gehört. Die erste Phase der Abbrucharbeiten fand bei starken Regenfällen am 5. August zwischen 8 und 16 Uhr in der Gemeinde Bayan Alhudda-hudda in Zaria statt. Die BewohnerInnen der 92 betroffenen Häuser, die rechtswidrig zwangsgeräumt wurden, hatten nur 21 Tage zuvor von den bevorstehenden Abrissarbeiten erfahren. Viele der AnwohnerInnen teilten Amnesty International mit, dass es keine Konsultation, Entschädigung oder Umsiedlung gegeben hatte. Viele von ihnen sind arm und können sich keine alternative Unterkunft leisten. Sie mussten hilflos zusehen, wie ihre Häuser von den Bulldozern der Behörde für Stadtplanung und -entwicklung des Bundesstaates Kaduna (KASUPDA), begleitet von Männern in Polizei- und Militäruniformen, zerstört wurden. Die Regierung des Bundesstaates hat Berichten zufolge versprochen, diejenigen zu entschädigen, die von den Abrissarbeiten betroffen sind und ihren Rechtsanspruch nachweisen können.
Es läuft derzeit ein Verfahren in diesem Fall: die Rechtssache Alhaji Ibrahim Usman und 124 weiterer Personen gegen die Behörde für Stadtplanung und -entwicklung des Bundesstaates Kaduna (KASUPDA) und 4 weitere Institutionen, vor dem Hohen Gericht des Bundesstaates Kaduna. Das Gericht hat eine einstweilige Verfügung erlassen, die es der Regierung und ihren VertreterInnen untersagt, «bis zur Anhörung und zur Entscheidung über den Antrag… den Grundbesitz der Antragssteller abzureissen oder den Abriss fortzuführen.» Diese Verfügung wurde am 26. August erlassen, ist jedoch nur vorläufig und kann kurzfristig aufgehoben werden.
Nigeria ist aufgrund einer Reihe von Menschenrechtsabkommen wie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Afrikanischen Charta über Menschenrechte und Rechte der Völker dazu verpflichtet, rechtswidrige Zwangsräumungen zu unterlassen und ihre BürgerInnen davor zu schützen. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betont, dass Räumungen nur dann stattfinden dürfen, wenn alle anderen Alternativen ausgeschöpft wurden und angemessene verfahrenstechnische und rechtliche Schutzmassnahmen getroffen wurden. Dazu gehören die wirkliche Konsultation der Betroffenen, die angemessene und rechtzeitige Ankündigung, angemessene alternative Unterkünfte und Entschädigung für alle Verluste, Schutzmassnahmen hinsichtlich der Durchführung von Räumungen sowie der Zugang zu Rechtsschutz und rechtlichen Verfahren einschliesslich Prozesskostenhilfe, falls nötig. Die Regierung muss darüber hinaus sicherstellen, dass niemand obdachlos wird oder aufgrund der Räumung anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. Die Bestimmungen sind bei allen Räumungen einzuhalten, unabhängig vom Eigentumsstatus der BewohnerInnen.
Der UN-Sonderberichterstatter über angemessenes Wohnen, ein unabhängiger Experte, der dafür zuständig ist, Regierungen Bericht zu erstatten, sie zu beraten, und ihnen technische Unterstützung bezüglich des Rechts auf angemessenen Wohnraum zukommen zu lassen, hat die Grundsätze und Prinzipien zur Räumung und Umsiedlung im Rahmen von Entwicklungsprojekten entwickelt. Diese Prinzipien spiegeln existierende Standards und die bisherige Rechtsprechung im Zusammenhang mit Räumungen wider. Sie besagen, dass Behörden und ihre VertreterInnen von den Betroffenen nie verlangen oder sie gar zwingen dürfen, ihre eigenen Unterkünfte oder andere Gebäude selbst abzureissen. Diese Option muss ihnen jedoch offengelassen werden, da sie es erleichtert, Eigentum und Baumaterialien zu bergen.
Kapitel 2, Abschnitt 16 (2) (d) der nigerianischen Verfassung von 1999 fordert den Staat auf, für die Bereitstellung von angemessenen, adäquaten Unterkünften für alle BürgerInnen zu sorgen. Ebenso wie andere Bestimmungen über soziale und wirtschaftliche Rechte fällt diese Bestimmung unter die «leitenden Prinzipien» der Verfassung, die nicht justiziabel und somit vor Gericht nicht einklagbar sind.