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Startseite Urgent Actions 2015 08 Prominent academic arrested, risks torture
UA 183/15
Vereinigte Arabische Emirate
Abgeschlossen am 30. September 2015

Wirtschaftswissenschaftler festgenommen

AI-Index: MDE 25/2299/2015

Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Dozent Dr. Nasser bin Ghaith wurde am 18. August in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, Abu Dhabi, von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes des Landes festgenommen. Sein Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Dr. Nasser bin Ghaith drohen Folter und anderweitige Misshandlungen. Er ist ein ehemaliger gewaltloser politischer Gefangener.

Nach Informationen von Amnesty International wurde der Ökonom und bekannte Wissenschaftler Dr. Nasser bin Ghaith am 18. August 2015 um 14 Uhr Ortszeit an seinem Arbeitsplatz in Abu Dhabi von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes festgenommen. Dabei wurde eine Reihe von Gegenständen konfisziert. Anschliessend wurde er zu seinem Haus gebracht, das 13 Angehörige des Staatssicherheitsdienstes von 16 Uhr bis 20:30 Uhr durchsuchten und weitere Gegenstände konfiszierten. Der Wirtschaftswissenschaftler wurde anschliessend an einen unbekannten Ort gebracht. Angehörige des Staatssicherheitsdienstes haben die Familie von Dr. Nasser bin Ghaith weder über die Gründe der Festnahme informiert noch Auskunft darüber gegeben, wo er festgehalten werden wird. Seine Familie kennt den Aufenthaltsort des Wissenschaftlers nicht. Dr. Nasser bin Ghaith leidet an mehreren gesundheitlichen Problemen, darunter Bluthochdruck, und benötigt regelmässig Medikamente. Amnesty International geht davon aus, dass Dr. Nasser bin Ghaith in eine geheime Haftanstalt des Staatssicherheitsdienstes der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gebracht worden ist. Es deutet immer mehr darauf hin, dass Inhaftierte dort regelmässig gefoltert oder anderweitig misshandelt werden, häufig um «Geständnisse» zu erzwingen, die später als Beweise gegen sie vor Gericht verwendet werden können. Dr. Nasser bin Ghaith, ehemaliger Dozent der Zweigstelle der Pariser Universität Sorbonne in Abu Dhabi, hat öffentlich politische Reformen und Menschenrechte in den VAE gefordert. Im März 2011 hatte er zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlich engagierten BürgerInnen der VAE eine Petition unterzeichnet, in der zu politische Reformen, wie beispielsweise der Einführung des Wahlrechts bei Parlamentswahlen, aufgerufen worden war. Der Wirtschaftswissenschaftler ist bereits in der Vergangenheit aufgrund seines Engagements Ziel von Angriffen geworden. So wurde er am 10. April 2011 festgenommen und anschliessend unter der Anklage der «öffentlichen Beleidigung» des Präsidenten, Vizepräsidenten und Kronprinzen der VAE zusammen mit vier weiteren zivilgesellschaftlich engagierten Personen strafrechtlich verfolgt. Nach mehr als sieben Monat Haft sowie einem unfairen Gerichtsverfahren sprach die Staatssicherheitskammer des Obersten Gerichtshofs alle fünf Männer am 27. November 2011 für schuldig. Dr. Nasser bin Ghaith wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Männer wurden als die «VAE 5» bekannt. Sie sind einen Tag nach ihrer Verurteilung aufgrund internationalen Drucks im Rahmen einer Amnestie des Präsidenten freigekommen. Es ist jedoch nicht sicher, ob ihre Namen jemals aus dem Strafregister gestrichen wurden.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Seit 2011 gehen die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) auf beispiellose Art und Weise gegen freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit in dem Land vor. Der Raum für Kritik ist kleiner geworden. Viele KritikerInnen der Regierung der VAE, der Politik oder der Menschenrechtslage sind Opfer von Einschüchterungen und Drangsalierungen, Folter, unfairen Gerichtsverfahren und Inhaftierungen geworden. Die Behörden haben mehr als 100 AktivistInnen und RegierungskritikerInnen festgenommen, inhaftiert und auf Grundlage weit gefasster und pauschaler Anklagepunkte, die die nationale Sicherheit oder Cyberkriminalität betreffen und in Gerichtsverfahren, die nicht den Standards für ein faires Verfahren entsprechen, unter Anklage gestellt. Betroffen sind unter anderem bekannte AnwältInnen, RichterInnen und WissenschaftlerInnen. Dr. Nasser bin Ghaith und die anderen Aktivisten der „VAE 5“ wurden 2011 gemäss den Paragrafen 176 und 8 des Strafgesetzbuches der VAE wegen Äusserungen angeklagt, die sie zuvor auf der Webseite Hewar, einem politischen Online-Diskussionsforum, getätigt hatten. Die Männer wurden wegen der „öffentlichen Beleidigung“ des Präsidenten, des Vizepräsidenten sowie des Kronprinzen der VAE in dem Internetforum, das die Behörden ein Jahr zuvor verboten hatten, unter Anklage gestellt. Erst knapp zwei Monate nach ihrer Festnahme wurde Anklage gegen die Männer erhoben. Ihnen wurde von der Staatsanwaltschaft sowie dem Gericht jegliche angemessene Gelegenheit verwehrt, Einsicht in die Anklageprotokolle und die Beweise gegen sie zu erhalten, obwohl dies ihre Rechtsbeistände mehrfach gefordert hatten. Das Gerichtsverfahren, das am 14. Juni 2011 begonnen hatte, fand grösstenteils im Geheimen statt. Die Behörden verwehrten der Öffentlichkeit, JournalistInnen, unabhängigen internationalen BeobachterInnen sowie den Familien der Angeklagten ohne Erklärung den Zutritt zu dem Verfahren. Drei Monate nach Verhandlungsbeginn weigerten sich die RichterInnen zu Beginn einer Anhörung den Forderungen nach einem fairen Verfahren, darunter auch der Forderung nach Freilassung gegen Kaution, nachzukommen. Daraufhin verliessen vier der Angeklagten aus Protest den Gerichtssaal. Sie boykottierten anschliessend den nächsten Anhörungstermin. Das Gericht gewährte den Aktivisten keine Einsicht in die Anklageprotokolle oder Beweise gegen sie, auch nicht in die Beweise, die während der Ermittlungsphase von der Anklagebehörde des Staatssicherheitsdienstes erhoben worden waren. Das Gericht verweigerte den Rechtsbeiständen zudem die Möglichkeit, einen Zeugen der Staatsanwaltschaft ins Kreuzverhör zu nehmen und gewährte nicht ausreichend Zeit, andere ZeugInnen zu befragen. Die fünf Männer, ihre Familien sowie ihre Rechtsbeistände erhielten zahlreiche Morddrohungen. Diese stehen im Zusammenhang mit einer andauernden Einschüchterungskampagne durch einige BürgerInnen der VAE, die der herrschenden Elite nahe stehen. Die Behörden haben bis heute diesbezüglich keine Ermittlungen angestellt oder die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt. Im August 2011 wurde ein Brief aus dem Gefängnis geschmuggelt, der von Dr. Nasser bin Ghaith und den anderen vier Männern unterzeichnet worden war. Darin hatten sie geschrieben, dass sie aufgrund der bisherigen Verfahrensmängel nicht davon ausgingen, ein faires Verfahren zu erhalten. In dem Brief forderten die Aktivisten ein Ende der geheimen Verhandlungen sowie Zutritt für BeobachterInnen und die Öffentlichkeit zu den Anhörungen. Sie verlangten vom Gericht ausserdem eine Freilassung gegen Kaution, Einblick in die Anklageprotokolle sowie die Möglichkeit für ihre Rechtsbeistände, ZeugInnen der Staatsanwaltschaft zu verhören. Nach der Veröffentlichung des Briefes gab Dr. Nasser bin Ghaith an, dass die Gefängnisbehörden andere Inhaftierte dazu aufgefordert hätten, ihn zu drangsalieren. Nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Gefangenen wurde Dr. Nasser bin Ghaith trotz der hohen Temperaturen von 40 Grad Celsius in Einzelhaft in einer Zelle ohne Klimaanlage festgekettet.

13 Briefe verschickt  
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