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Startseite Urgent Actions 2015 07 Hundreds of Roma at risk of forced eviction
UA 169/15
Bulgarien
Abgeschlossen am 26. August 2015

Drohende Zwangsräumung

AI-Index: EUR 15/2199/2015

126 Roma-Familien droht in der Gemeinde Garmen in Bulgarien die rechtswidrige Zwangsräumung. Acht Familien sind bereits obdachlos. Die bulgarischen Behörden müssen grundlegende internationale Massnahmen zum Schutz der Menschenrechte einführen und sicherstellen, dass niemand Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen wird.

Das Ministerium für regionale Entwicklung plant, 126 Häuser in dem Viertel Kremikovtzi des Dorfes Marchevo in der südwestlich gelegenen Gemeinde Garmen rechtswidrig zwangsräumen zu lassen. Rund 850 Roma, darunter 350 Kinder, wären von der Räumung betroffen. Die Häuser von acht Roma-Familien wurden bereits im Juni abgerissen. Seitdem sind die Familien obdachlos. Vier dieser Häuser wurden von den Behörden abgerissen, vier weitere von den Familien selbst, nachdem ihnen mit Geldstrafen gedroht worden war. Nach einer Inspektion waren die meisten der 126 Häuser für unrechtmässig erbaut erklärt worden. An die BewohnerInnen ergingen daraufhin Abrissanordnungen. Zwei der Häuser sollten bereits am 13. Juli abgerissen werden. Dies ist bisher allerdings noch nicht geschehen. Für den 31. Juli war der Abriss 22 weiterer Häuser geplant.

Am 10. Juli forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die bulgarischen Behörden dazu auf, den Abriss von Häusern zu stoppen, es sei denn den betroffenen Familien wurden bereits Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt. Die bulgarische Regierung informierte den EGMR, dass den Familien keine Zwangsräumung drohe, sollten keine geeigneten Alternativunterkünfte zur Verfügung stehen. Trotzdem wies das Ministerium für regionale Entwicklung die Gemeinde Garmen in einem Brief darauf hin, dass am 31. Juli 22 Häuser abgerissen werden sollten. Nach Angaben von NGOs vor Ort, die mit der Gemeinde zusammenarbeiten, haben soziale Dienste den betroffenen Familien erklärt, dass die Kinder in gesonderten Einrichtungen unterkommen und die Eltern in Notunterkünften untergebracht werden sollten. Dies würde bedeuten, dass die Kinder von den Eltern getrennt werden. Keine der betroffenen Familien wurde über mögliche Alternativunterkünfte informiert. Darüber hinaus gab es auch keine Konsultationen im Hinblick auf Alternativen zu den geplanten Zwangsräumungen und Umsiedlungsmöglichkeiten. Das Versäumnis, rechtliche und verfahrenstechnische notwendige Schutzmassnahmen umzusetzen, wird vielfache rechtswidrige Zwangsräumungen zur Folge haben, welche gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Bulgariens verstossen.

Hintergrundinformationen

Die Roma-Familien leben seit Jahrzehnten in Garmen, einige von ihnen seit 1969. Damals mussten sie sich auf Grundlage einer Verordnung des Ministerrats dort niederlassen. Die Häuser wurden auf Agrarland erbaut. Zwischen November 2010 und Juli 2011 wurden für alle 134 Häuser in dem Viertel von der Gemeinde Duldungsurkunden ausgestellt. Darin wurden insbesondere die langandauernde Besetzung durch die Gemeinschaft sowie der Schutz der Häuser vor Abriss anerkannt. Nachdem die Gemeinde Garmen 2013/2014 ein öffentliches Angebot erstellt hatte, kauften 24 Roma-Familien die Häuser, in denen sie wohnten. Im Zeitraum von 2013 bis 2014 führte die Gemeinde Garmen eine öffentliche Ausschreibung durch, an deren Ende 24 Roma-Familien zu EigentümerInnen der Häuser wurden, in denen sie wohnten. 2012 widerrief die regionale Behörde für unrechtmässigen Bau 104 dieser Duldungsurkunden. Dies geschah trotz der Tatsache, dass es sich bei der ausstellenden Behörde um die Gemeinde Garmen gehandelt hatte und es kein Verfahren gibt, das den Widerruf solcher Urkunden durch eine andere Behörde ermöglichen würde. Die Gründe für den Widerruf wurden den BewohnerInnen der Häuser nicht mitgeteilt. Die regionale Behörde für unrechtmässigen Bau erklärte nach Inspektionen ausserdem 124 Häuser für unrechtmässig erbaut und erteilte Anordnungen zum Gebäudeabriss. Zehn Häuser wurden als rechtmässig erbaut erachtet und müssen laut der Behörde nicht abgerissen werden. Gegen manche der Anordnungen wurden bei Verwaltungsgerichten Rechtsmittel eingelegt. Die Gerichte bestätigten die Anordnungen allerdings, so dass diese nun ausgeführt werden können. Amnesty International befürchtet, dass die Räumung von Roma-Familien in der Gemeinde Garmen ohne angemessene Schutzmassnahmen rechtswidrigen Zwangsräumungen gleichkommen wird, die laut Völkerrecht verboten sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 24. April 2012 in einer wegweisenden Entscheidung erklärt, dass die Behörden gegen eine Gemeinschaft, die bereits seit einigen Jahren und mit de facto Duldung der Behörden auf einem Grundstück wohnt, nicht in der gleichen Weise vorgehen darf „wie in Fällen routinemässiger Räumung ... von rechtwidrig besetztem Eigentum“. Dabei müssten die Behörden das Risiko der Zerstreuung der Gemeinschaft sowie die Gefahren für sozial benachteiligte Menschen sorgfältig abwägen, denen durch die Zwangsräumungen die Obdachlosigkeit drohen könnte (Yordanova et al v. Bulgaria). Bulgarien hat sich darüber hinaus zur Einhaltung einer Reihe weiterer internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen verpflichtet, welche rechtswidrige Zwangsräumungen untersagen und deren Verhinderung verlangen. Zu diesen Verträgen zählen unter anderem der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes sowie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 betont, dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel und nach wirklicher Konsultation mit den betroffenen Gemeinschaften durchgeführt werden dürfen, wenn alle anderen möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden. Selbst wenn eine Räumung als gerechtfertigt betrachtet wird, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn angemessene Verfahrensschutzmassnahmen in Kraft sind und Entschädigung für alle erlittenen Verluste und angemessene alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

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