Roma-Familien droht Obdachlosigkeit
In der serbischen Hauptstadt Belgrad droht 53 Roma-Familien die rechtswidrige Zwangsräumung. Bei den Familien handelt es sich um Binnenvertriebene aus dem Kosovo, die sich zwischen 1999 und 2000 in der Siedlung Ratko Mitrović im Stadtbezirk Zemun niedergelassen haben. Sie erhielten zwischen dem 7. und 10. Juli die Anweisung, ihre Häuser abzureissen. Alternativunterkünfte wurden den BewohnerInnen nicht zur Verfügung gestellt. Ihnen droht nun die Obdachlosigkeit.
Bei der Siedlung Ratko Mitrović, auch bekannt unter dem Namen Grmeč, handelt es sich um eine informelle Siedlung im Stadtbezirk Zemun im Nordwesten Belgrads. Die Siedlung befindet sich zwischen zwei Bahnlinien auf einem kleinen Streifen Land, der sich im Besitz der serbischen Bahn befindet. Am 26. Juni erteilten die Bauinspektoren des Stadtbezirks Zemun schriftliche Anordnungen zum Gebäudeabriss, mit der Begründung, die Häuser seien ohne Baugenehmigung erbaut worden. Mit den schriftlichen Anordnungen, die den Roma-Familien zwischen dem 7. und 10. Juli zugingen, wurden sie angewiesen, ihre Häuser innerhalb eines Tages nach Erhalt der Anordnung abzureissen. Zuvor gab es weder eine Konsultation mit den BewohnerInnen noch eine Ankündigung, dass die Anordnungen erteilt werden würden.
Bisher haben die BewohnerInnen ihre Unterkünfte jedoch nicht abgerissen. Den Familien wurde gedroht, dass die Behörden dies übernehmen würden, sollten sie es nicht selbst tun. Es steht nicht fest, wann die Behörden damit beginnen werden. Bisher wurde den BewohnerInnen von Grmeč kein alternativer Wohnraum zur Verfügung gestellt. Sollten die Anordnungen zum Gebäudeabriss umgesetzt werden, würden sie dadurch obdachlos.
Internationale Menschenrechtsnormen und -standards, denen Serbien verpflichtet ist, verlangen, dass die Behörden die Anordnungen zum Gebäudeabriss unverzüglich aufheben. Vor jeden weiteren Massnahmen sollte eine wirkliche Konsultation mit den betroffenen Familien im Hinblick auf mögliche Alternativen stattfinden. Ausserdem sollten ihnen effektive rechtliche und verfahrenstechnische Schutzmassnahmen gegen die Zerstörung ihrer Häuser sowie der rechtswidrigen Zwangsräumung zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen unter anderem ein ordnungsgemässer Räumungsbescheid sowie angemessene Alternativunterkünfte, für diejenigen, die sie benötigen.
Amnesty International hat den Bürgermeister von Belgrad, der die Arbeit der Stadtbezirke innerhalb der Stadt beaufsichtigt, wiederholt dazu aufgefordert, sicherzustellen, dass niemand Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen wird. Rechtswidrige Zwangsräumungen verstossen gegen Völkerrecht.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Die Roma-Familien leben seit etwa 1999/2000 in der Siedlung. Damals mussten sie nach Ende des internen bewaffneten Konflikts zwischen SerbInnen und AlbanerInnen 1999 aus dem Kosovo fliehen. Nach Ende dieses Konflikts wurden Roma im Kosovo Opfer systematischer und weit verbreiteter Menschenrechtsverstösse durch Kosovo-AlbanerInnen, wie beispielsweise Entführungen, Morde, Vergewaltigungen und der Zerstörung von Eigentum. Grund dafür war die Tatsache, dass sie bisher hauptsächlich in serbischen Siedlungen gelebt hatten und grösstenteils Serbisch sprachen. (Weitere Informationen dazu finden Sie online in dem englischsprachigen Bericht Serbia (Kosovo): Time for EULEX to prioritize war crimes: https://www.amnesty.org/en/documents/EUR70/004/2012/en/)
Nur wenige der vielen Tausend aus dem Kosovo geflohenen Roma konnten dauerhafte Lösungen finden. Als Binnenvertriebene sind sie extrem gefährdet und unterschiedlichen Formen von Diskriminierung ausgesetzt. Dies beeinträchtigt ihre Möglichkeiten, eine Reihe von Grundrechten gleichberechtigt wahrzunehmen, wie beispielsweise das Recht auf angemessenen Wohnraum. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks gelten heute rund ein Drittel der binnenvertriebenen Roma in Serbien als bedürftig. Armut und hohe Arbeitslosenzahlen beeinträchtigen die Gemeinden.
Bei rechtswidrigen Zwangsräumungen, die gegen Völkerrecht verstossen, handelt es sich um Zwangsräumungen, die durchgeführt werden, ohne dass die Betroffenen darüber angemessen im Voraus in Kenntnis gesetzt wurden und ohne dass eine wirkliche Konsultation stattgefunden hat. Zudem werden dabei keinerlei angemessene rechtliche Schutzmassnahmen getroffen oder Garantien für angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt. Nach Völkerrecht, das für Serbien bindend ist und zu dem unter anderem der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zählt, der das Recht auf angemessenen Wohnraum garantiert, ist es den Behörden verboten, rechtswidrige Zwangsräumungen durchzuführen. Sie sind dazu verpflichtet, die Menschen davor zu schützen.
Serbien muss gewährleisten, dass den betroffenen Familien angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt und sie nicht obdachlos werden. Das Völkerrecht schreibt vor, dass Räumungen lediglich als letztes Mittel durchgeführt werden dürfen, wenn bereits alle anderen Alternativen in tatsächlicher Konsultation mit den Betroffenen ausgeschöpft wurden. Zwangsräumungen dürfen erst erfolgen, wenn angemessene verfahrenstechnische und rechtliche Schutzmassnahmen getroffen wurden. Internationale Standards schreiben vor, dass selbst in Fällen, in denen eine Zwangsräumung gerechtfertigt ist, diese nur unter strikter Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen durchgeführt werden darf.
Regierungen müssen zudem gewährleisten, dass niemand auf Grund einer Zwangsräumung obdachlos oder anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. Opfer von Rechtsverletzungen müssen angemessene Rechtsbehelfe zugestanden werden, einschliesslich der Bereitstellung von Entschädigungen für sämtliche Verluste sowie von angemessenen Alternativunterkünften für all diejenigen, die nicht selbst dafür aufkommen können. Diese Verpflichtungen gelten auf allen Regierungsebenen, auch für Stadtbehörden.
Die UN-Grundsätze und Leitlinien zu Räumungen und Umsiedlungen im Rahmen von Entwicklungsprojekten zielen darauf ab, Staaten bei der Erarbeitung von Politiken, Gesetzen, Verfahren sowie Präventivmassnahmen zu unterstützen, um sicherzustellen, dass keine rechtswidrigen Zwangsräumungen erfolgen. Ausserdem dienen sie der Ausarbeitung von Standards im Hinblick darauf, wie Zwangsräumungen durchzuführen sind sowie der Bereitstellung angemessener Rechtsbehelfe für diejenigen, deren Menschenrechte verletzt wurden, sollten Präventionsmassnahmen nicht gegriffen haben.
Die Ministerin für Bauwesen ist zugleich stellvertretende Ministerpräsidentin der aktuellen Regierung. Diese ist mit der Koordinierung der Situation der Roma in dem Land beauftragt.