Aktivistin zu Haftstrafe verurteilt
Die iranische Todesstrafengegnerin und zivilgesellschaftliche Aktivistin Atena Daemi ist wegen ihres friedlichen Engagements zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Sie befindet sich seit ihrer Festnahme im Oktober 2014 im Teheraner Evin-Gefängnis. Amnesty International betrachtet sie als gewaltlose politische Gefangene.
Die 27-jährige Atena Daemi, die sich aktiv gegen die Todesstrafe einsetzt, ist am 12. Mai in einem unfairen Gerichtsverfahren zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Das Verfahren dauerte lediglich etwa 15 Minuten und fand zeitgleich mit dem Prozess gegen drei weitere Personen statt. Atena Daemi wurde wegen «Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit», «Verbreitung von Propaganda gegen das System», «Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des Religionsführers» und Zurückhaltung von Beweisen für schuldig befunden.
Die Anklagen stehen mit ihrer auf Facebook und Twitter geäusserten Kritik an Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen im Iran in Zusammenhang. Zudem beziehen die Anklagen sich auf die Teilnahme von Atena Daemi an Versammlungen vor Gefängnissen, um sich mit den Familienangehörigen von zum Tode Verurteilten solidarisch zu zeigen, und auf die Verteilung von Flugblättern gegen die Todesstrafe. Die Anklagen gegen die Aktivistin hängen auch mit ihrer Verbindung zu MenschenrechtsverteidigerInnen und Familienangehörigen von nach den Wahlen 2009 getöteten Personen zusammen.
Atena Daemi wurde im Oktober 2014 festgenommen und musste 58 Tage in Einzelhaft verbringen. Danach wurde sie in eine Zelle verlegt, die sie sich mit einer anderen Gefangenen teilte. Sie erhielt aber keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.
Seit ihrer Festnahme leidet Atena Daemi immer wieder an Schwächegefühlen in Händen und Füssen. Zudem hat sie zeitweise Sehstörungen. Die Behörden lehnen bislang die Anträge ihrer Familie auf vorübergehende Haftentlassung ab, damit Atena Daemi ausserhalb des Gefängnisses fachärztlich behandelt werden kann. Die Behörden machen hingegen geltend, sie leide an stressbedingten Herzrhythmusstörungen, die im Gefängnis mit Beruhigungsmitteln behandelt werden können.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Atena Daemi wurde am 21. Oktober 2014 von neun Angehörigen der iranischen Revolutionsgarden festgenommen und in die Abteilung 2A des Evin-Gefängnisses in Teheran gebracht. Nach Angaben der Aktivistin wurde sie in den ersten 20 Tagen in einer von Insekten verseuchten Zelle ohne Toilette festgehalten. Die BeamtInnen sicherten ihr während des Verhörs einen einfacheren Zugang zu einer Toilette zu, wenn sie sich «kooperativ» zeige. Sie wurde über einen Zeitraum von 58 Tagen mehrfach verhört – oftmals mehrere Stunden lang. Während dieser langen Vernehmungen musste sie mit verbundenen Augen mit dem Gesicht zur Wand gedreht sitzen.
Die Anklage «Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des Religionsführers» bezieht sich offenbar auf die Facebook-Beiträge von Atena Daemi, in denen sie aus einer berühmten Aussage von Ayatollah Khomeini ein Wortspiel machte, um die hohe Zahl der Hinrichtungen im Iran in den vergangenen 30 Jahren zu verurteilen. In einem anderen Beitrag sagte sie, der Nachfolger von Ayatollah Khomeini, Ayatollah Khamenei, werde von vielen IranerInnen als Diktator betrachtet. Die Anklage «Zurückhaltung von Beweisen» bezieht sich offenbar darauf, dass sie den VerhörbeamtInnen keine Informationen über die Facebook-Seite oder E-Mail-Adresse eines Freundes lieferte.
Wenn das gegen Atena Daemi verhängte Urteil bestätigt wird, muss sie wegen «Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit» sieben Jahren und sechs Monate verbüssen. Grund dafür sind neue Richtlinien bezüglich der Strafzumessung im iranischen Strafgesetzbuch von 2013. Diese sehen vor, dass Personen, die wegen mehrerer Straftaten verurteilt worden sind, lediglich die längste der ihnen auferlegten Haftstrafe verbüssen müssen.
Die Artikel 19, 21 und 22 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten der Iran gehört, schreiben die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit fest. In Artikel 19 heisst es: «Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben». Artikel 21 besagt: «Das Recht sich friedlich zu versammeln, wird anerkannt». Und Artikel 22 schreibt fest: «Jedermann hat das Recht, sich mit anderen zusammenzuschliessen …».