Flüchtlinge auf dem Meer weiter in Lebensgefahr
Obwohl Malaysia mittlerweile Such- und Rettungseinsätze eingeleitet hat, befinden sich weiterhin Tausende Flüchtlinge und MigrantInnen vor den Küsten von Thailand, Malaysia und Indonesien in Lebensgefahr. Malaysia und Indonesien haben zugestimmt, Notunterkünfte für die Betroffenen zur Verfügung zu stellen.
Bis zu 4.000 Menschen befinden sich noch immer in Booten auf offener See. Malaysia hat am 21. Mai Such- und Rettungseinsätze eingeleitet, doch es ist bislang das einzige Land in der Region, das diese Massnahmen ergriffen hat. Am 20. Mai kündigten Malaysia und Indonesien an, Notunterkünfte für bis zu 7.000 Flüchtlinge und schutzbedürftige MigrantInnen zur Verfügung stellen zu wollen. Thailand schloss sich dem nicht an und nannte als Grund Bestimmungen des inländischen Rechts. Jedoch versprach das Land, den Menschen auf den Booten humanitäre Hilfe zukommen zu lassen und MigrantInnen in thailändischen Gewässern nicht zurückzuschicken.
Dies sind positive Entwicklungen. Es ist jedoch unklar, wie die Länder diese neuen Massnahmen umsetzen und sicherstellen wollen, dass sie mit internationalen Menschenrechtsnormen vereinbar sind.
Sollten keine Such- und Rettungseinsätze zur Bergung von MigrantInnen auf Booten durchgeführt werden, würden Tausende weiterhin in Lebensgefahr schweben. Viele befinden sich seit mehr als zwei Monaten auf offener See und benötigen dringend Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung. Mindestens 2.800 Personen haben in diesem Monat bereits Indonesien und Malaysia erreicht. Einige von ihnen sind direkt nach ihrer Ankunft in Haft genommen worden. Sie könnten entgegen internationalen Menschenrechtsnormen in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihr Leben oder ihre Rechte in Gefahr sind.
Unter den Tausenden, die aus Myanmar und Bangladesch geflüchtet sind, befinden sich schutzbedürftige MigrantInnen, Opfer des Menschenhandels und Flüchtlinge, zu denen auch Angehörige der muslimischen Rohingya gehören, die in Myanmar unter schwierigen Umständen leben und diskriminiert werden. Die Rechte dieser Menschen müssen ungeachtet ihres Rechtsstatus, ihres Einreiseweges oder ihres Herkunftslandes geschützt werden. Niemand darf allein wegen der Art der Einreise inhaftiert, verfolgt oder anderweitig bestraft werden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) geht davon aus, dass noch immer 4.000 Menschen in Booten vor den Küsten von Thailand, Malaysia und Indonesien treiben. Während einer Krisensitzung am 20. Mai, die infolge des starken internationalen Drucks abgehalten wurde, kündigten Malaysia und Indonesien an, Notunterkünfte für bis zu 7.000 Flüchtlinge und MigrantInnen zur Verfügung zu stellen, falls die internationale Gemeinschaft «Verantwortung dafür übernimmt, dass MigrantInnen ohne regulären Aufenthaltsstatus innerhalb eines Jahres in ihre Herkunftsländer zurückgeführt oder in Drittländer überführt werden.» Mitte Mai hatten die malaysischen Behörden erklärt, sie würden Strafmassnahmen ergreifen, um die Ankunft weiterer Personen zu verhindern, darunter auch die Zurückweisung von Booten und die Abschiebung von Flüchtlingen und schutzbedürftigen MigrantInnen. Am 12. Mai wiesen die indonesischen Behörden ein Boot mit etwa 400 Menschen ab. Sie seien mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt worden und man habe ihnen den Weg nach Malaysia gewiesen. Die thailändischen Behörden hatten Mitte Mai ebenfalls angekündigt, sie würden Boote daran hindern, in Thailand anzulegen, und MigrantInnen wegen illegaler Einreise strafrechtlich verfolgen.
Mindestens 1.800 Menschen haben in den vergangenen zwei Wochen mit Booten die indonesischen Provinzen Aceh und Nordsumatra erreicht. Sie wurden in Notunterkünften untergebracht, mit Nahrung versorgt und medizinisch behandelt. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge registriert das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) diejenigen Personen, die Asyl beantragen. In Malaysia gingen am 11. Mai mehr als 1.000 Menschen auf der Insel Langkawi an Land. Unter ihnen befanden sich auch Angehörige der muslimischen Rohingya und Menschen aus Bangladesch. Sie wurden in einer behelfsmässigen Haftanstalt festgehalten und werden nun in ein Flüchtlingslager im malaysischen Bundesstaat Kedah gebracht. Ein weiteres Boot mit 500 Menschen an Bord wurde am 13. Mai vor dem nördlichen Bundesstaat Penang von der malaysischen Marine aufgegriffen. Man versorgte sie mit Treibstoff und Nahrungsmitteln und schickte sie wieder zurück auf hohe See. Ein drittes Boot, mit 300 Menschen an Bord, soll am 14. Mai von den Behörden in der Nähe der Insel Langkawi zurückgeschickt worden sein. Viele Menschen sind so verzweifelt, dass sie sich in Lebensgefahr begeben, indem sie gefährliche Seefahrten antreten, um den unerträglichen Lebensbedingungen in ihren Heimatländern zu entkommen.
Viele der Menschen an Bord der Boote sind Angehörige der Rohingya, einer Minderheit aus Myanmar, die seit Jahrzehnten Diskriminierung erfahren. Auf Grundlage des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1982 werden sie nicht offiziell als ethnische Gruppe anerkannt. Vielmehr verwehrt man ihnen den gleichberechtigten Zugang zu Bürgerrechten. Ihre Freizügigkeit ist stark eingeschränkt. Zum Beispiel dürfen sie ohne Erlaubnis nicht von einem Dorf ins andere reisen. Dies hat erhebliche Konsequenzen für ihren Lebensunterhalt und ihre Nahrungsmittelsicherheit, da sie oftmals ohne Erlaubnis weder ausserhalb ihres Dorfes einer Arbeit nachgehen noch Handel treiben dürfen. Andere Rechte – wie die Rechte auf Bildung, Arbeit, Religionsfreiheit und Gesundheitsversorgung sowie das Recht zu heiraten – sind alle in irgendeiner Weise eingeschränkt. Im Jahr 2012 wurden Zehntausende aus dem myanmarischen Bundesstaat Rakhine vertrieben, nachdem zwischen den dortigen buddhistischen und muslimischen Gemeinden Gewalt ausgebrochen war. Heute befinden sich 139.000 Menschen, hauptsächlich Angehörige der Rohingya, weiterhin unter elenden Bedingungen in Lagern für Binnenflüchtlinge im Bundesstaat Rakhine.
Laut Angaben des UNHCR haben sich zwischen Januar und März 2015 bereits 25.000 Menschen aus Bangladesch sowie Angehörige der Rohingya vom Golf von Bengalen aus in Booten aufgemacht. Dies sind fast doppelt so viele wie im selben Zeitraum in den vergangenen beiden Jahren. Berichten zufolge sollen in diesem Jahr bereits mehr als 300 Menschen auf den Booten gestorben sein. Ihr Ziel ist meist Malaysia. Viele reisen illegal ein, nachdem sie nach ihrer Ankunft in Thailand oftmals unter schlechten Bedingungen in Lagern von SchlepperInnen und MenschenhändlerInnen festgehalten wurden. Hunderte Rohingya, die vom Golf von Bengalen aus mit dem Boot nach Malaysia gekommen waren, haben in den vergangenen Jahren weitere Versuche unternommen, auf dem Seeweg über die Strasse von Malakka nach Indonesien zu gelangen.
Auch wenn Indonesien, Malaysia und Thailand die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet haben und es sowohl in Thailand als auch in Malaysia an formellen rechtlichen und administrativen Richtlinien zum Umgang mit Flüchtlingen fehlt, müssen die drei Länder die im Völkergewohnheitsrecht verankerten Prinzipien einhalten. Dies schliesst sowohl das Non-Refoulement-Prinzip, nach dem es verboten ist, Menschen in ein Gebiet zurückzuweisen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit in Gefahr sein könnten, als auch das absolute Verbot von Folter und anderweitiger grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung ein. Weitere verbindliche Prinzipien des Völkerrechts finden sich in den Bestimmungen des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982, zu dessen Vertragsstaaten Malaysia, Indonesien und Thailand gehören. Unter anderem schreibt dieses Übereinkommen die Durchführung von Such- und Rettungseinsätzen vor. Zudem haben ASEAN-Länder gemäss Artikel 1 (7) der ASEAN-Menschenrechtserklärung die Verantwortung, Menschenrechte und grundlegende Freiheiten zu fördern und zu schützen. Am 29. Mai wird eine von Thailand einberufene Regionaltagung stattfinden, auf der man sich mit der «irregulären Migration auf dem Seeweg» befassen will.