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Startseite Urgent Actions 2015 05 Military police attack protesting teachers
UA 104/15
Brasilien
Abgeschlossen am 12. Mai 2015

Militärpolizei greift Protestierende an

AI-Index: AMR 19/1611/2015

Am 29. April protestierten zahlreiche Personen gegen Änderungen im Bereich der Sozialversicherung und der Rente im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná. Die Militärpolizei reagierte auf den Protest mit unnötiger und unverhältnismässiger Gewalt und setzte u.a. Tränengas und Gummigeschosse ein. Mehr als 200 Demonstrierende wurden verletzt und mindestens sieben befinden sich in Haft.

Am 29. April versammelten sich ungefähr 20.000 Menschen, die meisten von ihnen LehrerInnen an öffentlichen Schulen, vor dem Parlamentsgebäude in Paranás Hauptstadt Curitiba. Sie wollten gegen die Änderungen der staatlichen Regelungen bezüglich der Sozialversicherung und des Rentenanspruchs von Angestellten des öffentlichen Dienstes protestieren. Seit dem 25. April befanden sich die LehrerInnen im Streik, um gegen diese Änderungen zu demonstrieren und hatten sich seit dem 28. April immer wieder vor dem Parlamentsgebäude versammelt, da dort eine Entscheidung über die neuen staatlichen Regelungen erwartet wurde. Am 29. April gegen 16.00 Uhr erhielten Angehörige der Militär- und Bereitschaftspolizei den Befehl, den Protest aufzulösen. Sie trieben die Demonstrierenden daraufhin mit Hilfe von Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken auseinander.

Das Gesundheitsamt der Stadt gab an, dass 213 Demonstrierende verletzt wurden, einige von ihnen schwer. Viele von ihnen wurden von Gummigeschossen im Gesicht getroffen. Mindestens ein Journalist wurde von einem Hund der Militärpolizei angriffen und verletzt. Der Minister für öffentliche Sicherheit gab in einer öffentlichen Stellungnahme an, dass sieben Protestierende auf Grund der Anschuldigung „Mitglieder radikaler Gruppen zu sein“ inhaftiert wurden.

Nach der gewaltsamen Unterdrückung des Protests rechtfertigte der Gouverneur von Paraná am 30. April das Vorgehen der Polizei. Seine Ausführungen enthielten keinen Hinweis darauf, dass dass man die Berichte über den Missbrauch von Polizeigewalt untersuchen werde. Um Solidarität mit den LehrerInnen zum Ausdruck zu bringen, sind mindestens zwei weitere Proteste organisiert worden. Bei diesen Protesten verurteilten die Demonstrierenden die Verstösse der Polizei und forderten Gerechtigkeit. Der erste Protest fand am 1. Mai mit ungefähr 10.000 TeilnehmerInnen statt. Vier Tage später beteiligten sich etwa 20.000 TeilnehmerInnen an einem weiteren Protest.

Hintergrundinformationen

2014 gingen in Brasilien Tausende Demonstrierende auf die Strasse, als im Land Vorbereitungen für die Ausrichtung der Fussball-Weltmeisterschaft im Juni des gleichen Jahres getroffen wurden. Die Proteste waren der Nachhall der grossen Demonstrationen, die im Vorjahr stattgefunden hatten und bei denen die BrasilianerInnen ihren Unmut über die wachsenden Kosten für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, die hohen Ausgaben für die Weltmeisterschaft und die unzureichenden Investitionen im öffentlichen Bereich ausdrückten. Die Proteste im Jahr 2013, die in São Paulo im Mai bzw. Juni begonnen hatten, erreichten ein Ausmass, wie es das Land noch nie gesehen hatte. Hunderttausende nahmen an Massendemonstrationen in Dutzenden Städten teil. Die Polizei reagierte auf die Protestwelle in vielen Fällen mit Gewalt. Die Einheiten der Militärpolizei setzten willkürlich Tränengas gegen Protestierende ein, in einem Fall sogar in einem Krankenhaus. Sie feuerten Gummigeschosse auf Personen ab, die keine Gefahr darstellten und schlugen mit Schlagstöcken auf Demonstrierende ein. Hunderte wurden verletzt, unter ihnen ein Fotograf, der sein Auge verlor, nachdem er von einem Gummigeschoss getroffen worden war. Hunderte weitere Personen wurden willkürlich zusammengetrieben und inhaftiert. Einige von ihnen wurden auf Grundlage von Gesetzen gegen die organisierte Kriminalität festgenommen, ohne dass es Hinweise darauf gab, dass sie in kriminelle Aktivitäten verwickelt waren. In der englischsprachigen Kampagnen-Broschüre: They use a strategy of fear: protecting the right to protest in Brazil (AMR 19/005/2014) berichtet Amnesty International von einigen Vorfällen, bei denen Proteste in den Städten Rio de Janeiro und São Paulo durch die Polizei unterdrückt wurden. Nach der Weltmeisterschaft wurde ein ebenfalls englischsprachiger Bericht unter dem Namen Protests during the World Cup 2014: final overview (AMR 19/008/201) veröffentlicht, der die Fälle von exzessiver Gewalt, Missbrauch von nichttödlichen Waffen, willkürliche Inhaftierungen, Unterdrückung von JournalistInnen und AnwältInnen in verschiedenen Städten, in denen die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, aufzeigt. Am 30. April 2015 gab Amnesty International Brasilien eine öffentliche Stellungnahme heraus, in der Bedenken über die Unterdrückung der Proteste von LehrerInnen durch die Polizei in Curitiba geäussert und eine umfassende und unabhängige Ermittlung zu den Anschuldigungen des Gewaltmissbrauchs gefordert wurde. „Es ist unerlässlich, dass der Gewalteinsatz von gestern [29. April] unverzüglich und unabhängig untersucht wird und dass hochrangige BeamtInnen für das, was geschehen ist, zur Verantwortung gezogen werden. Die Polizei handelt nicht selbstständig, und öffentliche Stellungnahmen von den Behörden deuten darauf hin, dass sie zu dem Schluss gekommen sind, das Verhalten der Polizei sei angemessen gewesen. Dies ist ein Angriff auf die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit“, sagte Atila Roque, Generalsekretär von Amnesty International Brasilien. („É fundamental que a violência de ontem [dia 29 de abril] seja investigada, de forma célere e independente, e que as autoridades do alto escalão também sejam responsabilizadas pelo que ocorreu. A polícia não age por conta própria e as falas das autoridades mostram que para o governo a ação policial foi adequada. Isso é um agressão à liberdade de expressão e ao direito à manifestação pacífica“.). Die komplette Stellungnahme in Portugiesisch finden Sie unter: https://anistia.org.br/noticias/autoridades-precisam-assumir-responsabilidade-pela-violencia-contra-professores-parana/. Die Kommission des Senats für Menschenrechte und partizipatorischen Gesetzgebung veröffentlichte am 30. April eine öffentliche Stellungnahme, in der sie die Polizeigewalt und die Unterdrückung des Protests der LehrerInnen in Curitiba verurteilte. „Diese Szenen des Grauens sind das Ergebnis der Unfähigkeit der Befehlsgewalt der Militärpolizei und ihres obersten Befehlshabers, des Gouverneur des Staats Paraná, Beto Richa, die Situation zu bewältigen.“, heisst es in der Stellungnahme. („Foram cenas de horror que aconteceram em virtude da incapacidade de gerenciamento da situação por parte do comando da Polícia Militar local, e de seu comandante maior, o governador do estado do Paraná, Beto Richa”). Die Kommission setzte eine öffentliche Anhörung zu dem Fall vor dem brasilianischen Senat für den 6. Mai an.

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