Hunderte Familien von Zwangsräumung bedroht
Die Behörden setzen im Norden der turkmenischen Hauptstadt Ashgabat trotz zahlreicher Beschwerden betroffener BewohnerInnen massive Abrissarbeiten fort. Hunderten Familien droht die rechtswidrige Zwangsräumung.
In und um Ashgabat droht Hunderten Familien die rechtswidrige Zwangsräumung. Am schlimmsten betroffen ist das Viertel Choganly. Im März und April dieses Jahres haben BeamtInnen den BewohnerInnen mitgeteilt, dass sie selbst für den Abriss ihrer Häuser sorgen sollen, ansonsten würden die Behörden dies übernehmen. Die Behörden behaupten, dass einige der betroffenen Häuser als Ferienhäuser (Datschen) gedacht und andere illegal errichtet worden seien. Daher würden den EigentümerInnen und BewohnerInnen weder Entschädigungsleistungen noch Alternativunterkünfte oder –grundstücke zustehen.
Laut Medienberichten haben viele der betroffenen Familien ihre Häuser als Hauptwohnsitz oder einzigen Wohnsitz genutzt. Einige Familien waren bereits zuvor im Rahmen der Stadtentwicklung vertrieben worden. Sie erhielten unbebaute Landparzellen und Plastikzelte in Choganly. Dort errichteten sie neue Häuser und bauten Getreide an. Andere waren auf der Suche nach Arbeit aus anderen Provinzen in die Hauptstadt gezogen und hatten Häuser mit möglichst niedrigen Mieten angemietet. Die Anzahl der Häuser, die von den aktuellen Abrissplänen betroffen sind, wird auf zwischen 13.000 und 18.000 geschätzt.
Laut der Nachrichtenagentur Alternative Turkmenistan News ist die Hälfte der Häuser in den betroffenen Gebieten bereits in den vergangenen Wochen abgerissen worden. Turkmenistan-ExpertInnen sehen eine Verbindung zwischen den aktuellen Zwangsräumungen und dem Bau von Einrichtungen für die 2017 stattfindende Multisportveranstaltung Asian Indoor and Martial Arts Games sowie einem Stadtentwicklungsprojekt, im Rahmen dessen bestehende Häuser durch moderne Wohnblöcke ersetzt werden sollen.
Der Abriss der Häuser verstösst gegen internationale Menschenrechtsnormen zu Räumungen. Die BewohnerInnen in den betroffenen Gebieten sind nicht rechtzeitig im Voraus über die Räumungspläne in Kenntnis gesetzt worden. Zudem hat keine Konsultation über mögliche Alternativen zu den Räumungen stattgefunden, und es wurden keine alternativen Unterkünfte bereitgestellt. Laut Turkmen Initiative for Human Rights, einer NGO mit Hauptsitz in Wien, werden die Personen, die sich gegen die Räumungen aussprechen, von den Behörden drangsaliert und eingeschüchtert.
Turkmenistan ist Vertragsstaat mehrerer internationaler Menschenrechtsabkommen, einschliesslich des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, laut dem ein Staat rechtswidrige Zwangsräumungen verhindern und unterlassen muss.
Hintergrundinformationen
Die Menschenrechtslage in Turkmenistan ist sehr schlecht. Andersdenkende, JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen werden systematisch drangsaliert, und es gibt immer wieder Berichte über Folter und anderweitige Misshandlungen von Gefangenen durch Sicherheitskräfte. Zudem werden die Rechte auf freie Meinungsäusserung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit im ganzen Land verletzt.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist es den turkmenischen Behörden erfolgreich gelungen, zu verhindern, dass Berichte über die im Land begangenen Menschenrechtsverletzungen die internationale Gemeinschaft erreichen. Es gibt nur sehr wenige Informationen zu den tatsächlichen Lebensbedingungen in Turkmenistan. Unabhängige BeobachterInnen dürfen das Land nicht betreten und der Informationsfluss aus dem Land selbst wird extrem eingeschränkt. Es gibt keine wirkliche politische Opposition, keine unabhängigen Medien und nicht eine einzige Menschenrechtsorganisation, die in Turkmenistan uneingeschränkt arbeiten kann. Dissens wird brutal unterdrückt, und ein Klima der Angst herrscht selbst weit über die Grenzen des Landes hinaus. Weitere Informationen finden Sie in dem englischsprachigen Amnesty-Bericht: Turkmenistan: An «Era of Happiness» or more of the same repression? unter www.amnesty.org/en/documents/eur61/005/2013/en/ .