Parlamentarierin verurteilt
Die palästinensische Parlamentarierin Khalida Jarrar hat sich in zwei von zwölf gegen sie erhobenen Anklagepunkten schuldig bekannt und eine 15-monatige Haftstrafe akzeptiert, weil sie der Ansicht ist, dass sie vor einem israelischen Militärgericht kein faires Verfahren erhält.
Khalida Jarrar bekannte sich in Absprache mit der Staatsanwaltschaft in zwei der zwölf Anklagepunkte für schuldig und wurde am 6. Dezember zu 15 Monaten Haft und einer zusätzlichen zehnmonatigen Haftstrafe, die fünf Jahre ausgesetzt wird, verurteilt. Ausserdem muss sie eine Geldstrafe in Höhe von 2.600 US-Dollar (etwa 2.380 Euro) zahlen. Khalida Jarrar wurde Anstiftung zur Entführung von israelischen SoldatInnen und Mitgliedschaft in der verbotenen Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine – PFLP), der ein bewaffneter Flügel angehört, vorgeworfen. Zehn weitere Anklagen gegen sie wurden fallengelassen. Nach Angaben der Rechtsbeistände von Khalida Jarrar habe die Staatsanwaltschaft nie Beweise vorgelegt, nach denen ihr «Anstiftung zu einer Straftat» hätte nachgewiesen werden können. Bei einer Anhörung am 25. August haben zwei der ZeugInnen ihre Aussagen gegen Khalida Jarrar zurückgezogen und angegeben, dass sie mit «Druck und Misshandlungen während des Verhörs, darunter Schlafentzug, Verharren in schmerzhaften Stresspositionen über lange Zeiträume sowie Androhungen weiterer Folterungen und der Festnahme von Familienangehörigen» zu den Aussagen gezwungen worden seien.
Die Staatsanwaltschaft hatte unablässig verlangt, Khalida Jarrar weiterhin in Haft zu halten. Nachdem sie am 2. April festgenommen worden war, wurde eine Anordnung auf Verwaltungshaft gegen sie erlassen, die es erlaubt, Personen ohne Anklage beliebig lange und auf Grundlage geheimer Beweismittel in Haft zu halten. Nachdem am 15. April Anklage gegen Khalida Jarrar erhoben worden war, gewährte ihr ein Richter die Freilassung gegen Kaution, da sie keine Gefahr für die Sicherheit darstelle. Diese Entscheidung wurde jedoch aufgehoben, nachdem die Staatsanwaltschaft mit geheimen Beweismitteln Rechtsmittel dagegen eingereicht hatte. Das Gerichtsverfahren gegen Khalida Jarrar wurde mehrfach vertagt. Zudem haben die Behörden mehrmals versäumt, ZeugInnen vorzuladen. Die Fahrt zum Gericht in einem Gefängnisfahrzeug war anstrengend und hat mehrere Stunden gedauert, während derer Khalida Jarrar keinen Zugang zu einer Toilette hatte. Die Staatsanwaltschaft hat eine aussergerichtliche Einigung vorgeschlagen, wenn sie einer fünfjährigen und später einer dreijährigen Haftstrafe zustimmen würde. Khalida Jarrar und ihre Rechtsbeistände lehnten beide Angebote jedoch ab. Khalida Jarrar bekannte sich letztendlich für schuldig, da sie der Ansicht ist, dass sie kein faires Verfahren erhalten und nie freigelassen werden würde.
Hintergrundinformationen
Khalida Jarrar übt aktiv und offen Kritik an der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete und wird bereits seit Jahrzehnten von den israelischen Behörden drangsaliert und eingeschüchtert. Im August 2014 erliess der Vorsitzende des Zentralkommandos der israelischen Streitkräfte eine sechsmonatige „Sonder-Überwachungsanordnung“ gegen Khalida Jarrar. Begründet wurde dies mit nicht näher ausgeführten „schwerwiegenden Sicherheitsbedenken, welche die Anordnung erforderlich machen, um die Sicherheit der Region zu gewährleisten“. Khalida Jarrar wurde aufgefordert, ihre Heimatstadt Ramallah zu verlassen und sich ausschliesslich in Jericho zu bewegen, sofern sie keine „Sondererlaubnis“ von den Militärbehörden erhalte. Es wurden keine weiteren Angaben zu den gegen sie vorliegenden Informationen gemacht, sodass sie nicht gerichtlich gegen die Anordnung vorgehen konnte. Sie widersetzte sich der Anordnung und liess sich im Gebäude des Palästinensischen Legislativrats nieder, wo sie bis zum 16. September 2014 blieb, als die Anordnung auf einen Monat reduziert wurde. Im Februar 2015 wurde sie zum Mitglied des Komitees ernannt, das Präsident Abbas nach der Unterzeichnung des Römischen Statuts am 31. Dezember 2014 ins Leben rief, um die palästinensischen Anliegen vor dem Internationalen Strafgerichtshof voranzubringen. Sie ist ausserdem die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Addameer, die sich für die Rechte von palästinensischen Häftlingen einsetzt, und wurde 2006 in den Palästinensischen Legislativrat gewählt. Sie war bis zum 15. April 2015 noch nie wegen einer Straftat angeklagt worden, dennoch haben die Behörden sie in der Vergangenheit bereits mehrfach zu einer „Gefahr für die Sicherheit“ erklärt. Am 2. April wurde Khalida Jarrar in ihrem Haus in Ramallah im besetzten Westjordanland von SoldatInnen festgenommen und in Verwaltungshaft genommen. Bei einer Anhörung zur Überprüfung ihrer Haftanordnung am 15. April erhob die Militärstaatsanwaltschaft in zwölf Punkten Anklage gegen die Palästinenserin. Die Anklagepunkte stehen in Verbindung mit einer mutmasslichen Mitgliedschaft in der verbotenen Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine – PFLP) sowie mit der mutmasslichen Anstiftung zur Entführung von israelischen SoldatInnen. Die Militärstaatsanwaltschaft gab an, dass ihr die Aussagen zweier palästinensischer Häftlinge vorlägen. Diese sollen gehört haben, wie Khalida Jarrar sich für die Entführung israelischer SoldatInnen ausgesprochen habe, was sie jedoch vehement abgestritten hat. Am 25. August war mit grosser Verspätung das Verfahren gegen die palästinensische Parlamentarierin Khalida Jarrar vor einem Militärgericht eröffnet worden. Die Beweise der Staatsanwaltschaft gegen Khalida Jarrar basieren auf Aussagen früherer und derzeitiger palästinensischer Gefangener, die diese während Verhören durch den israelischen Sicherheitsdienst (Israel Security Agency – ISA) gemacht haben. Bei der Anhörung am 25. August zogen die beiden ersten ZeugInnen ihre Aussagen allerdings zurück und gaben an, diese unter Druck gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte die ZeugInnen jedoch der Lüge und das Gericht urteilte, dass die ursprünglichen Aussagen nicht ausgeschlossen würden. Der Organisation Addameer zufolge sagten zwei israelische PolizeibeamtInnen vor Gericht aus, die einige der vermeintlichen ZeugInnen verhört hatten, als diese sich in Haft befanden. Die PolizeibeamtInnen, welche die Geständnisse dokumentiert hatten, gewährten dem Gericht, die Aussagen der ZeugInnen zu überprüfen sowie die Bedingungen unter denen sie verhört worden waren. Die BeamtInnen erklärten, dass die Foltervorwürfe in Zusammenhang mit einem Verhör durch den ISA stehen. Obwohl ein Beamter des ISA vor Gericht geladen worden war, erschien er mehrfach nicht, weil er sich im Urlaub befand. Verfahren vor israelischen Militärgerichten entsprechen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Die Militärjustiz ist nicht unabhängig und es herrschen starke Zweifel hinsichtlich der Unparteilichkeit der MilitärrichterInnen. Die RichterInnen werden auf Empfehlung des militärischen Generalanwalts von den regionalen BefehlshaberInnen benannt und stammen fast ausschliesslich aus den Reihen der StaatsanwältInnen. Sie haben keinen Anspruch auf eine Festanstellung und können jederzeit von den regionalen BefehlshaberInnen aus dem Amt entlassen werden. Es herrschen tiefgreifende Zweifel hinsichtlich ihrer Unparteilichkeit. Darüber hinaus basieren die Verfahren vor Militärgerichten häufig auf Geständnissen von ZeugInnen, die diese oftmals zu einem späteren Zeitpunkt zurückziehen, weil sie unter Zwang abgelegt wurden. Palästinensische Gefangene und Inhaftierte werden während der Festnahme und den Verhören regelmässig gefoltert und anderweitig misshandelt. Angeklagte stimmen zudem oft selbst dann Übereinkommen mit der Staatsanwaltschaft zu, wenn sie unschuldig sind. Sie sehen in der Abgabe eines Geständnisses die einzige Möglichkeit, einem unfairen Verfahren zu entgehen und geringere Strafen zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft hat sich scheinbar dazu verpflichtet, Khalida Jarrar nicht in Verwaltungshaft festzuhalten, wenn sie ihre Haftstrafe abgesessen hat. Die Behörden haben in der Vergangenheit jedoch gegen ähnliche Vereinbarungen mit palästinensischen Gefangenen verstossen.