Palästinenserin weiter in Haft
Ein israelischer Militärrichter hat einer Freilassung von Khalida Jarrar gegen Kaution zugestimmt. Anschliessend gab er jedoch dem Antrag der israelischen Militärstaatsanwaltschaft statt, die palästinensische Parlamentarierin in Haft zu halten, bis die Staatsanwaltschaft über das Einlegen eines Rechtsmittels entschieden hat. Der Richter wies zudem darauf hin, dass gegen Khalida Jarrar eine Verwaltungshaftanordnung erlassen werden könnte. Bei dieser Form der Anordnung können Personen ohne Anklage beliebig lang in Haft gehalten werden.
Nach einer Anhörung zu dem Kautionsgesuch von Khalida Jarrar am 12. Mai stimmte der Vorsitzende Militärrichter einer Freilassung bis zum Ende des Verfahrens gegen eine Kaution in Höhe von 20.000 israelischen Schekeln (etwa 4.700 Euro) zu. Der Richter erklärte, dass die Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Beweise dafür vorlegen konnte, dass Khalida Jarrar eine Gefahr für die Sicherheit darstellen würde, und dass die vorgelegten Beweise zum Teil aus dem Jahre 2011 stammten und damit veraltet seien. Er wies darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft beim Militärbefehlshaber eine Verwaltungshaftanordnung gegen Khalida Jarrar beantragen könnte. Mit Hilfe von Verwaltungshaftanordnungen ist es den israelischen Behörden möglich, PalästinenserInnen aus den besetzten palästinensischen Gebieten auf unbestimmte Zeit ohne Anklage in Haft zu halten. Sie behalten die gegen Verwaltungshäftlinge vorliegenden Beweismittel häufig ein und berufen sich dabei auf Sicherheitsgründe. Somit ist es den Betroffenen nicht möglich, Rechtsmittel gegen die Haftanordnung einzulegen. Nach der Festnahme von Khalida Jarrar am 2. April 2015 wurde eine sechsmonatige Verwaltungshaftanordnung gegen sie erlassen. Nachdem sie am 15. April wegen «Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation», «Teilnahme an Protesten» und «Anstiftung zur Entführung israelischer SoldatInnen» angeklagt worden war, verkürzte das israelische Militär die Verwaltungshaftanordnung auf einen Monat, sodass diese bereits am 4. Mai auslief. Sollte Khalida Jarrar wegen der gegen sie erhobenen Anklagen schuldig gesprochen werden, so würden ihr mindestens zwei Jahre Haft drohen. Mit einer erneuten Verwaltungshaftanordnung wäre es dem israelischen Militär möglich, die Entscheidung des Richters, Khalida Jarrar gegen Kaution freizulassen, zu umgehen.
Die Anhörung zu dem Kautionsgesuch von Khalida Jarrar fand vor dem Militärgericht Ofer in den besetzten palästinensischen Gebieten statt. Ihr Rechtsbeistand machte während der Anhörung geltend, dass sich die gegen seine Mandantin erhobenen Anklagen nicht auf die direkte Beteiligung an Aktivitäten beziehe und somit auch kein Grund zur Annahme bestehe, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit darstellt. Zur Untermauerung seiner Argumentation wies er auf den langen Zeitraum zwischen den erhobenen Vorwürfen und der Anklageerhebung hin.
Hintergrundinformationen
Am 12. Mai fand vor einem Militärgericht die Anhörung zu dem Kautionsgesuch von Khalida Jarrar statt. Der Vorsitzende Richter verschob die Verkündung seiner Entscheidung zunächst auf den 18. Mai und dann ein weiteres Mal auf den 21. Mai. Dem Kautionsgesuch wurde an diesem Tag stattgegeben. Khalida Jarrar wird dennoch weiterhin im HaSharon-Gefängnis in Israel festgehalten. Ihr droht ein Verfahren vor einem israelischen Militärgericht. Bei derartigen Prozessen werden die internationalen Standards für faire Verfahren verletzt. Die RichterInnen und StaatsanwältInnen gehören dem israelischen Militär an, wobei die RichterInnen auf Empfehlung des militärischen Generalanwalts von den regionalen BefehlshaberInnen benannt werden und fast ausschliesslich aus den Reihen der StaatsanwältInnen stammen. Sie haben keinen Anspruch auf eine Festanstellung und können jederzeit von den regionalen BefehlshaberInnen aus dem Amt entlassen werden. Diese Tatsache sowie die engen Verbindungen zwischen MilitärrichterInnen und MilitärstaatsanwältInnen lassen tiefgreifende Zweifel an deren Unparteilichkeit aufkommen. Darüber hinaus basieren die Verfahren vor Militärgerichten häufig auf Geständnissen, die oftmals zu einem späteren Zeitpunkt zurückgezogen werden, weil sie unter Zwang abgelegt wurden. Angeklagte stimmen zudem oft selbst dann Übereinkommen mit der Staatsanwaltschaft zu, wenn sie unschuldig sind. Sie sehen in der Abgabe eines Geständnisses die einzige Möglichkeit, einem unfairen Verfahren zu entgehen und geringere Strafen zu erhalten. Khalida Jarrar wird bereits seit Jahrzehnten von den israelischen Behörden drangsaliert und eingeschüchtert. Sie war bis zum 15. April 2015 noch nie wegen einer Straftat angeklagt worden, dennoch haben die Behörden sie in der Vergangenheit bereits mehrfach zu einer „Gefahr für die Sicherheit“ erklärt. Nachdem israelische SoldatInnen sie am 2. April festgenommen hatten, wurde eine Verwaltungshaftanordnung gegen sie erlassen. Am 8. April wurde eine geplante Überprüfung der Haftanordnung gegen Khalida Jarrar auf den 15. April verschoben. Die Militärstaatsanwaltschaft erhob dann am 15. April in zwölf Punkten Anklage gegen die Palästinenserin. Die Anklagepunkte stehen in Verbindung mit der Anstiftung zur Entführung von israelischen SoldatInnen und mit ihrer Mitgliedschaft in der Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine – PFLP), einer verbotenen linksgerichteten Partei, der ein bewaffneter Flügel angehört. Die VerteidigerInnen von Khalida Jarrar geben an, dass diese Anklage jeglicher Grundlage entbehre. Zudem gab der Vorsitzende Militärrichter am 15. April dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, die Verwaltungshaftanordnung zunächst aufrechtzuerhalten. Am 29. April sollte in Zusammenhang mit den zwölf Anklagepunkten eine Überprüfung der Haft von Khalida Jarrar stattfinden, die jedoch ebenfalls vertagt wurde. Am 4. Mai lief die Verwaltungshaftanordnung gegen Khalida Jarrar aus, nachdem das israelische Militär diese von sechs Monaten auf einen Monat verkürzt hatte. Die Militärstaatsanwaltschaft gibt an, dass ihr die Aussagen zweier palästinensischer Häftlinge vorlägen. Diese sollen gehört haben, wie Khalida Jarrar sich für die Entführung israelischer SoldatInnen ausgesprochen habe, um anschliessend einen Gefangenenaustausch mit palästinensischen Häftlingen aus Israel zu bewirken. Khalida Jarrar streitet die Vorwürfe vehement ab. Es ist nicht selten, dass ZeugInnen der Staatsanwaltschaft und Angeklagte angeben, ihre Aussagen nach langen Verhören gemacht zu haben, in denen sie gezwungen waren, in schmerzhaften Positionen zu verharren und Opfer von anderen Formen der Folter und Misshandlung wie zum Beispiel Schlafentzug geworden zu sein. 2010 wurde der Menschenrechtsverteidiger Abdallah Abu Rahma von einem Militärgericht wegen „Anstiftung“ und „Organisation und Teilnahme an einer illegalen Demonstration“ für schuldig befunden. Der Schuldspruch basierte auf Angaben, die drei Kinder gemacht hatten. Diese zogen ihre Aussagen vor Gericht jedoch wieder zurück und gaben an, dass man sie zur Aussage gezwungen habe. Zwei Monate vor ihrer Festnahme war Khalida Jarrar zum Mitglied des Komitees ernannt wurde, das Präsident Abbas nach der Unterzeichnung des Römischen Statuts im Dezember 2014 ins Leben rief, um die palästinensischen Anliegen vor dem Internationalen Strafgerichtshof voranzubringen. Im Januar 2015 hat die palästinensische Autonomiebehörde die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Verbrechen, die seit dem 13. Juni 2014 auf dem von ihr kontrollierten Gebiet begangen worden sind, anerkannt. Dies umfasst auch den jüngsten Konflikt zwischen Israel und Gaza, bei dem im Juli und August 2014 mehr als 1.500 palästinensische Zivilpersonen im Gazastreifen und sechs Zivilpersonen in Israel getötet wurden. Israel reagierte auf den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof mit dem Einbehalten von etwa 100 Millionen Euro an Steuergeldern, die Palästina monatlich zustehen. Obwohl die israelische Regierung angekündigt hat, die Gelder zum Teil freizugeben, hält der Streit zwischen den israelischen und palästinensischen Behörden bezüglich dieses Themas weiter an. Im August 2014 widersetzte sich Khalida Jarrar einer vom Vorsitzenden des Zentralkommandos der israelischen Streitkräfte erlassenen „Sonder-Überwachungsanordnung“ mit der sie aufgefordert worden war, ihre Heimatstadt Ramallah zu verlassen und sich ausschliesslich in Jericho zu bewegen. Gegen sie ist ein Ausreiseverbot erlassen worden. Auf welche Beweise sich das Militär bei der Begründung dieses Reiseverbots gestützt hat, haben Khalida Jarrar und ihre Rechtsbeistände jedoch nie erfahren. 2006 wurde sie als Mitglied der PFLP in den Palästinensischen Legislativrat gewählt. Darüber hinaus ist sie die stellvertretende Vorsitzende der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Addameer, die sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt.