Palästinenserin angeklagt
Das israelische Militär hat am 15. April in zwölf Punkten Anklage gegen Khalida Jarrar erhoben. Am 29. April wird entschieden, ob ihr eine Freilassung gegen Kaution gewährt wird. Gegen die palästinensische Parlamentarierin besteht jedoch zudem eine Verwaltungshaftanordnung. Diese Form der Haft kann auch ohne Anklageerhebung unbegrenzt verlängert werden und schliesst eine Freilassung aus der Untersuchungshaft aus.
Am 15. April wurde die Überprüfung der sechsmonatigen Verwaltungshaftstrafe gegen Khalida Jarrar auf den 8. Mai verschoben. Die Militärstaatsanwaltschaft hat an diesem Tag in mehreren Punkten Anklage gegen die palästinensische Parlamentarierin erhoben, darunter wegen „Mitgliedschaft zu einer verbotenen Organisation“ und der „Teilnahme an Protesten und der Anstiftung zur Entführung israelischer SoldatInnen“. Ihre VerteidigerInnen geben an, dass die Anklage wegen Anstiftung jeder Grundlage entbehre und man sich an ihrer Mandantin rächen wolle. Gemäss dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Israel gehört, müssen die zuständigen RichterInnen bei der Überprüfung der Haftanordnung gegen Khalida Jarrar berücksichtigen, dass es „nicht die allgemeine Regel sein [darf], dass Personen, die ein Gerichtsverfahren erwarten, in Haft gehalten werden“. Da sie sich jedoch in Verwaltungshaft befindet, ist es der israelischen Militärstaatsanwaltschaft möglich, sie mindestens bis zum Ende ihres Verfahrens festzuhalten. Während der Anhörung am 15. April erklärte die Militärstaatsanwaltschaft dem Richter, dass bisher noch keine Anklage gegen die Parlamentarierin erhoben worden war, weil ihr dies die Möglichkeit einer Freilassung gegen Kaution einräumen würde. Das israelische Militär behält die gegen Verwaltungshäftlinge vorliegenden Beweismittel häufig ein und beruft sich dabei auf Sicherheitsgründe. Khalida Jarrar wird bereits seit Jahrzehnten von den israelischen Behörden drangsaliert und eingeschüchtert. Im August 2014 widersetzte sie sich einer Anordnung des Militärs, mit der sie aufgefordert wurde, ihre Heimatstadt Ramallah zu verlassen und sich ausschliesslich in Jericho zu bewegen. Nachdem ihr ein Ausreiseverbot auferlegt worden war, kämpfte sie 2010 monatelang um die Erlaubnis, nach Jordanien reisen zu dürfen. Dort wollte sie sich einer Untersuchung unterziehen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten nicht angeboten wird. Auf welche Beweise sich das Militär bei der Begründung dieses Reiseverbots gestützt hat, haben Khalida Jarrar und ihre Rechtsbeistände nie erfahren. Im Februar 2015 wurde sie zum Mitglied des Komitees ernannt, das Präsident Abbas in Vorbereitung auf mögliche Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshof zu in den besetzten palästinensischen Gebieten begangenen Verbrechen ins Leben gerufen hat. 2006 wurde sie als Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine – PFLP) in den Palästinensischen Legislativrat gewählt. Bei der PFLP handelt es sich um eine verbotene linksgerichtete Partei, der ein bewaffneter Flügel angehört. Khalida Jarrar ist zudem die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Addameer, die sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt.
Hintergrundinformationen
Khalida Jarrar wird bereits seit Jahrzehnten von den israelischen Behörden drangsaliert und eingeschüchtert. Sie war bis zum 15. April 2015 noch nie wegen einer Straftat angeklagt worden, dennoch haben die Behörden sie in der Vergangenheit bereits mehrfach zu einer „Gefahr für die Sicherheit“ erklärt. Am 2. April, gegen ein Uhr morgens, umstellten dutzende SoldatInnen ihr Haus in Ramallah. Sie durchsuchten das Gebäude und beschlagnahmten zwei Laptops und ein Handy. Die SoldatInnen brachten Khalida Jarrar zunächst in die israelische Siedlung Beit El und dann auf einen israelischen Militärstützpunkt in der Nähe von Jaba’ in Jerusalem. Um etwa 7.30 Uhr wurde sie in die Haftanstalt Ofer in der Nähe von Ramallah verlegt und verhört, bevor man sie dann in das HaSharon-Gefängnis in Israel brachte. Eine für den 8. April anberaumte Überprüfung der Haftanordnung gegen Khalida Jarrar wurde auf den 14. April verschoben, um den VerteidigerInnen die Möglichkeit einzuräumen, einige der gegen ihre Mandantin vorliegende Beweismittel anzusehen. Die Staatsanwaltschaft verfügt zudem noch über geheime Beweismittel, die bisher weder der Palästinenserin noch ihren Rechtsbeiständen vorgelegt worden sind. Bei der Anhörung am 15. April hätte der Vorsitzende Militärrichter die Möglichkeit gehabt, die Haftanordnung aufrechtzuerhalten, zu kürzen oder ganz aufzuheben. Die Militärstaatsanwaltschaft erhob an diesem Tag in Verbindung mit ihrer Mitgliedschaft in der PFLP in zwölf Punkten Anklage gegen Khalida Jarrar. Zudem gab der Militärrichter dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, die Verwaltungshaftanordnung zunächst aufrechtzuerhalten und vertagte eine erneute Haftüberprüfung auf den 8. Mai. Am 29. April wird jedoch in Zusammenhang mit den zwölf Anklagepunkten eine Überprüfung ihrer Haft stattfinden. Khalida Jarrar war festgenommen und inhaftiert worden, nachdem sie am 7. Februar 2015 zum Mitglied des Komitees ernannt wurde, das Präsident Abbas nach der Unterzeichnung des Römischen Statuts im Dezember 2014 ins Leben rief, um die palästinensischen Anliegen vor dem Internationalen Strafgerichtshof voranzubringen. Im Januar 2015 hat die palästinensische Autonomiebehörde die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Verbrechen, die seit dem 13. Juni 2014 auf dem von ihr kontrollierten Gebiet begangen worden sind, anerkannt. Dies umfasst auch den jüngsten Konflikt zwischen Israel und Gaza, bei dem im Juli und August 2014 mehr als 1.500 palästinensische Zivilpersonen im Gazastreifen und sechs Zivilpersonen in Israel getötet wurden. Israel reagierte auf den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof mit dem Einbehalten von etwa 100 Millionen Euro an Steuergeldern, die Palästina monatlich zustehen. Obwohl die israelische Regierung angekündigt hat, die Gelder zum Teil freizugeben, hält der Streit zwischen den israelischen und palästinensischen Behörden bezüglich dieses Themas weiter an. Im August 2014 erliess der Vorsitzende des Zentralkommandos der israelischen Streitkräfte eine sechsmonatige „Sonder-Überwachungsanordnung“ gegen Khalida Jarrar. Begründet wurde dies mit nicht näher ausgeführten „schwerwiegenden Sicherheitsbedenken, welche die Anordnung erforderlich machen, um die Sicherheit der Region zu gewährleisten“. Khalida Jarrar wurde aufgefordert, ihre Heimatstadt Ramallah zu verlassen und sich ausschliesslich in Jericho zu bewegen, sofern sie keine „Sondererlaubnis“ von den Militärbehörden erhalte. Es wurden keine weiteren Angaben zu den gegen sie vorliegenden Informationen gemacht, sodass sie nicht gerichtlich gegen die Anordnung vorgehen konnte. Sie widersetzte sich der Anordnung und liess sich im Gebäude des Palästinensischen Legislativrats nieder, wo sie bis zum 16. September 2014 blieb, als die Anordnung auf einen Monat reduziert wurde. Khalida Jarrar hat mehrere Schlaganfälle erlitten und leidet unter einem hohen Cholesterinspiegel. Ihr Gesundheitszustand macht es erforderlich, dass sie mehrmals wöchentlich Medikamente einnimmt und sich Bluttests unterzieht. Die Verwaltungshaft wurde angeblich als Sondermassnahme zur Inhaftierung von Personen eingeführt, die eine grosse und unmittelbare Gefahr für die Sicherheit darstellen. Seit Jahren setzt Israel diese Form der Haft jedoch auch gegen Personen ein, die entsprechend der Vorschriften der Strafprozessordnung festgenommen, angeklagt und vor Gericht gestellt werden müssten. Zudem werden Personen in Verwaltungshaft genommen, für deren Festnahme keinerlei Gründe vorliegen. Verwaltungshaftanordnungen können immer wieder verlängert werden. Amnesty International ist der Ansicht, dass es sich bei einigen der PalästinenserInnen in israelischer Verwaltungshaft um gewaltlose politische Gefangene handelt, die nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit in Haft gehalten werden. Es befinden sich derzeit etwa 14 Angehörige des Palästinensischen Legislativrats in israelischer Haft, acht davon in Verwaltungshaft. Die Anzahl der Verwaltungshäftlinge ist seit Mai 2014 stark angestiegen. Im Februar 2015 befanden sich laut der israelischen NGO B’Tselem 424 PalästinenserInnen in Verwaltungshaft.