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Startseite Urgent Actions 2015 01 Tatar activist charged for «instigating hatred»
UA 012/15
Russland
Abgeschlossen am 4. März 2015

Tatarischer Aktivist wegen «Schüren von Hass» inhaftiert und angeklagt

AI-Index: EUR 46/001/2015

Der Aktivist Rafis Kashapov, der sich für die Rechte der Tataren einsetzt, wurde in der Republik Tatarstan der Russischen Föderation festgenommen und befindet sich derzeit in Kasan in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, «Hass geschürt» zu haben, weil er die russische Regierung wegen ihrer Ukraine-Politik kritisiert hat. Rafis Kashapov ist am 19. Januar aus Protest gegen seine Inhaftierung in einen Hungerstreik getreten.

Rafis Kashapov, der Direktor der NGO Tatar Public Centre in der Stadt Nabereschnyje Tschelny, wurde am 28. Dezember 2014 um 6 Uhr morgens in seiner Wohnung von zehn bewaffneten Männern in Zivilkleidung festgenommen. Die Männer brachten ihn nach Kasan, die Hauptstadt der Republik Tatarstan, wo er in die Untersuchungshafteinrichtung (SIZO) Nr. 1 überstellt wurde. In einer auf den 28. Dezember datierten Mitteilung der Ermittlungsbehörde von Tatarstan, die an die Wohnung von Rafis Kashapov geschickt wurde, hiess es, am 27. Dezember sei wegen des «Schürens von Hass oder Feindschaft und Erniedrigung der menschlichen Würde» ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden.

In einer Stellungnahme, die am 30. Dezember 2014 dem Rechtsbeistand von Rafis Kashapov übergeben wurde, erläuterte die Ermittlungsbehörde, dass die Anklagen gegen Rafis Kashapov sich auf vier Beiträge auf seiner privaten Profilseite im sozialen Netzwerk VKontakte beziehen. In diesen Beiträgen kritisierte Rafis Kashapov den russischen Präsidenten Putin und die russische Regierung wegen ihrer Ukraine-Politik und der Verfolgung von Krim-Tataren auf der besetzten Halbinsel Krim. Die Ermittlungsbehörde gab an, auf der Grundlage einer komplexen Textanalyse sei sie zu dem Schluss gekommen, dass die Beiträge «in der Sprache der Feindschaft [verfasst seien] und darauf abzielten, Hass zwischen Gruppen zu schüren». Die Behörde ordnete an, dass Rafis Kashapov in Untersuchungshaft bleiben muss, weil er kein regelmässiges Einkommen habe, und wenn er auf freiem Fuss bliebe, sich erneut «an kriminellen Handlungen beteiligen» könnte. Ein Richter stimmte am 29. Dezember der fortgesetzten Inhaftierung von Rafis Kashapov zu.

Am 19. Januar trat Rafis Kashapov aus Protest gegen seine Inhaftierung und rechtswidrige strafrechtliche Verfolgung in einen Hungerstreik. Die zivilgesellschaftliche Kommission, die Strafvollzugseinrichtungen in der Russischen Föderation überwacht, besuchte den Gefangenen in der Untersuchungshaft und teilte Amnesty International mit, dass er an einer bereits vor der Haft aufgetretenen Erkrankung leide und sich darüber beklage, von mehreren BeamtInnen unter Druck gesetzt zu werden.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Beiträge von Rafis Kashapov in den sozialen Medien sind Äusserungen, die unter das Recht auf freie Meinungsäusserung fallen, und stellen keine Beförderung von Hass dar, wie in internationalen Menschenrechtsabkommen, darunter dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dargelegt. Selbst wenn seine Äusserungen als diffamierend eingestuft werden könnten, stellt Diffamierung keine Straftat dar.
Amnesty International hat in den vergangenen Monaten mehrere Fälle dokumentiert, in denen russische AktivistInnen von den Behörden drangsaliert, festgenommen und teilweise strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck gebracht und die russische Besetzung der Krim kritisiert hatten. Siehe dazu auch UA 254/2014 (http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-254-2014/angeklagt-wegen-fahnenhissens) und UA-064/2014 (http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-064-2014/morddrohungen-gegen-protestierende) und den englischsprachigen Bericht Russian Federation: A right, not a crime: violations of the right to freedom of assembly in Russia, unter: http://www.amnesty.org/en/library/info/EUR46/028/2014/en.
Die russische Besetzung der Krim erfolgte, nachdem umfassende Proteste in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zwischen November 2013 und Februar 2014 zum Sturz der Regierung unter Präsident Wiktor Janukowytsch geführt hatten. In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 2014 versperrten bewaffnete Paramilitärs, die sich selbst als «Selbstverteidigungs»-Gruppen bezeichneten, den Zugang zu Gebäuden der Lokalbehörden auf der Halbinsel Krim. Gemeinsam mit Angehörigen der regulären russischen Truppen besetzten sie ukrainische Militäreinrichtungen auf der Krim. Das Parlament wählte in Anwesenheit bewaffneter Männer eine neue Führung für die Krim. Am 16. März 2014 wurde in einem «Referendum» über den Status der Krim abgestimmt, in dem sich die Mehrheit für den Anschluss an die Russische Föderation entschied, während das Referendum von den GegnerInnen boykottiert wurde. Am 18. März unterzeichneten die De-Facto-Behörden der Krim einen «Vertrag» mit Moskau, der zur Annexion der Krim durch Russland führte.
Seitdem werden auf der Krim restriktive russische Gesetze angewandt, um die Rechte auf Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Die örtliche Bevölkerung wurde zu russischen StaatsbürgerInnen erklärt. Diejenigen, die ihre ukrainische Staatsbürgerschaft beibehalten wollten, mussten dies bei den Behörden beantragen.
Die krimtatarische Gemeinschaft ist eine ethnische Gruppe, die vorwiegend auf der Krim lebte. Im Jahr 1944 wurde die gesamte krimtatarische Bevölkerung von dort in abgelegene Regionen der Sowjetunion deportiert. Erst in den späten 1980er-Jahren durften sie auf die Krim zurückkehren. Seit der Besetzung durch die Russische Föderation sind zahlreiche Angehörige der krimtatarischen Gemeinschaft von den De-Facto-Behörden verfolgt worden. Unter anderem werden ihre Rechte auf Bewegungsfreiheit, freie Meinungsäusserung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit willkürlich eingeschränkt, weil sie pro-ukrainische Ansichten vertreten. Zwei der bekanntesten führenden Persönlichkeiten der krimtatarischen Gemeinschaft, der Menschenrechtsverteidiger Mustafa Dzhemiliev und der Aktivist Refat Chubarov, wurden von den Behörden zwangsexiliert und dürfen nicht mehr auf die Krim einreisen. Auf der Krim selbst sind zahlreiche Angehörige der krimtatarischen Gemeinschaft Gewalt durch paramilitärische «Selbstverteidigungs»-Gruppen ausgesetzt. Keine dieser Gewalttaten ist bislang zielführend untersucht worden, auch keiner der Fälle von Verschwindenlassen. Reshat Ametov, der am 3. März 2014 vor dem Gebäude des Ministerrats in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alleine protestierte, wurde von drei Mitgliedern einer «Selbstverteidigungs»-Gruppe abgeführt. Seinen Leichnam, der Folterspuren aufwies, fand man etwa zwei Wochen später. Obwohl strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden, sind keine Fortschritte darüber bekannt. (Siehe den Bericht Ukraine: Harassment and violence against Crimean Tatars by state and non-state actors, http://www.amnesty.org/en/library/info/EUR50/023/2014/en).

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