Demonstrierende willkürlich festgenommen
In Myanmar sind vier MenschenrechtlerInnen festgenommen und inhaftiert worden, nachdem sie an einer friedlichen Demonstration gegen die Erschiessung einer Demonstrantin in der Vorwoche teilgenommen hatten. Die vier wurden nur deshalb festgenommen, weil sie ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben. Sie müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Die MenschenrechtsverteidigerInnen Daw Naw Ohn Hla, Daw Sein Htwe, U Nay Myo Zin und Ko Tin Htut Paing wurden am 30. Dezember 2014 festgenommen, weil sie am Tag zuvor an einer friedlichen Demonstration vor der chinesischen Botschaft in Rangun, der grössten Stadt Myanmars, teilgenommen hatten. Sie befanden sich unter rund 100 Demonstrierenden, die die myanmarischen Behörden aufforderten, den Tod von Khin Win zu untersuchen. Sie wurde am 22. Dezember erschossen, als die Polizei gegen sie und andere Protestierende das Feuer eröffnete. Ihre Proteste richteten sich gegen eine geplante Landwegnahme für das Letpadaung-Kupferminenprojekt in der Region Sagaing.
Die vier MenschenrechtsverteidigerInnen sind derzeit im Insein-Gefängnis in Rangun inhaftiert. Zusammen mit den Demonstrierenden Daw San San Win, Daw Mya Nyunt und Ko Thant Zin werden sie von einem Gericht im Ranguner Township Dagon beschuldigt, ohne Genehmigung demonstriert zu haben, strafbar nach Paragraf 18 des Versammlungs- und Demonstrationsgesetzes. Ausserdem werden sie einer Reihe weiterer strafbarer Handlungen nach dem Strafgesetzbuch beschuldigt: Veröffentlichung und Verbreitung von Informationen, die Angst oder Sorge unter der Bevölkerung hervorrufen bzw. Menschen dazu anstiften könnten, eine Straftat „gegen den Staat oder die öffentliche Ruhe“ zu begehen (Paragraf 505(b)), Angriff auf einen Staatsbediensteten und Behinderung eines Staatsbediensteten in der Ausführung seines Dienstes (Paragraf 353), Randalieren (Paragraf 147), Erregung öffentlichen Ärgernisses (Paragraf 294) und „Einschüchterung“ (Paragraf 506). Amnesty International hält diese Anschuldigungen für politisch motiviert und für unbegründet. Sollten die Angeklagten in all diesen Punkten schuldig gesprochen werden, drohen ihnen jeweils mehr als acht Jahre Haft. Die Gerichtsverhandlung beginnt am 13. Januar 2015.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Festnahmen und Anschuldigungen gegen friedliche Demonstrierende sowie der Vorwurf von unnötiger und unverhältnismässiger Polizeigewalt sind nur einige von vielen ernsthaften Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Letpadaung-Kupferminenprojekt. Die Mine wird von der Myanmar Wanbao Mining Copper Limited (Myanmar Wanbao) betrieben, einer Tochtergesellschaft der weltweit tätigen chinesischen Wanbao Mining Limited und der Union of Myanmar Economic Holdings Limited. Viele Menschen haben durch rechtswidrige Zwangsräumungen bereits ihr Zuhause verloren. Eine Gemeindekonsultation im Jahre 2014 über den Betrieb der Mine wurde scharf kritisiert. Personen, die sich weigerten, ihr Zuhause zugunsten der Mine zu räumen, wurden Berichten zufolge auf Anweisung der Regierung von der Konsultation ausgeschlossen. Zahlreiche weitere Schwachpunkte der Konsultation wurden in einer Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung bestätigt, die für Myanmar Wanbao durchgeführt und im Mai 2014 veröffentlicht worden war. Der Widerstand gegen das Letpadaung-Kupferminenprojekt ist gross: die betroffenen Gemeinden, MenschenrechtsverteidigerInnen und andere AktivistInnen stellen sich gegen das Projekt. Die myanmarischen Behörden reagierten auf diesen Widerstand in vielen Fällen mit unverhältnismässiger Gewalt gegen friedliche Demonstrierende und mit willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen – sowohl Daw Naw Ohn Hla als auch Ko Tin Htut wurden in der Vergangenheit bereits festgenommen und inhaftiert, nachdem sie friedlich gegen die Letpadaung-Kupfermine protestiert hatten. Bei Massnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung – auch im Umgang mit Protesten – muss die Polizei das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person achten, das in Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verankert ist. Gemäss internationalen Menschenrechtsnormen müssen Ordnungskräfte zunächst auf gewaltfreie Mittel zurückgreifen, bevor sie Gewalt anwenden und von der Schusswaffe Gebrauch machen dürfen. Nach internationalen Standards ist der tödliche Einsatz von Schusswaffen nur dann gerechtfertigt, wenn er absolut unvermeidlich ist, um Leben zu retten. Die myanmarischen Behörden müssen ermitteln, ob die Polizei unnötige bzw. unverhältnismässige Gewalt gegen die Letpadaung-Demonstrierenden angewandt hat. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. MenschenrechtsverteidigerInnen und andere AktivistInnen werden in Myanmar auch weiterhin nur deshalb festgenommen und inhaftiert, weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Diese Rechte sind verankert in Artikel 19 und 20 der AEMR. In Myanmar gibt es eine Reihe von Gesetzen, die die Wahrnehmung der Rechte auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit unter Strafe stellen, bspw. Paragraf 505(b) Strafgesetzbuch und Paragraf 18 des Versammlungs- und Demonstrationsgesetzes. Die Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung, die von diesen beiden Gesetzen ausgehen, sind so allgemein und vage formuliert, dass sie potenziell dazu geeignet sind, in übermässiger und diskriminierender Weise angewandt zu werden. Amnesty International erhält auch weiterhin Berichte über schlechte Haftbedingungen in Myanmar, die nicht den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Hierzu zählt z. B. der fehlende Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, sauberem Trinkwasser, vollwertiger Verpflegung und Wasser zum Waschen.