Untersuchung soll überprüft werden
43 Studenten wurden im September 2014 in Mexiko Opfer des Verschwindenlassens. Der Verbleib von 42 von ihnen ist nach wie vor unklar. Die Untersuchung in ihrem Fall macht vereinzelte Fortschritte, ist jedoch stark mit Mängeln behaftet. Nun haben die mexikanischen Behörden der wiederholten Forderung nach einem internationalen Expertengremium zur Überprüfung der Untersuchung zugestimmt. Amnesty International fordert von den Behörden die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Expertengremium.
Am 26. September wurden in Iguala, einer Stadt im Bundesstaat Guerrero im Süden Mexikos, 43 Studenten aus Ayotzinapa Opfer des Verschwindenlassens. Man geht davon aus, dass lokale Polizeikräfte, die im Einvernehmen mit kriminellen Banden agierten, für den Angriff und das Verschwindenlassen der Studenten verantwortlich sind. Bei dem Angriff wurden ausserdem drei Studierende und drei Unbeteiligte getötet und viele weitere Personen verletzt.
Es wird gegen mehr als 90 Personen ermittelt, darunter der ehemalige Bürgermeister von Iguala sowie Angehörige der Polizei und Bandenmitglieder. Am 27. Januar erklärte die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft (Procuraduría General de la República), dass alle Studenten getötet und verbrannt worden seien. Allerdings haben beteiligte RechtsmedizinerInnen auf schwere Mängel bei der Sicherung und Auswertung von kriminaltechnischem Beweismaterial hingewiesen. Daraufhin zog die Generalstaatsanwaltschaft die RechtsmedizinerInnen von dem Fall ab, machte aber keine Anstalten, die Mängel zu beheben.
Am 3. März ernannte der mexikanische Präsident eine neue Generalstaatsanwältin, die nun für die weiteren Ermittlungen im Fall der „verschwundenen“ Studenten zuständig sein wird. Sie hat die Mängel in der bisherigen Untersuchung jedoch bisher noch nicht eingeräumt. Auf Wunsch der Familienangehörigen der Studierenden hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission ein internationales unabhängiges interdisziplinäres Expertengremium ernannt, welches die behördlichen Massnahmen bewerten soll, die in diesem Fall ergriffen wurden. Die mexikanischen Behörden haben sich damit einverstanden erklärt. Nun ist es wichtig, dass sie in vollem Umfang mit dem Expertengremium zusammenarbeiten.
Hintergrundinformationen
Etwa 300 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, in der Stadt Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero, liegt das Ausbildungszentrum für LehrerInnen Escuela Normal Rural Raúl Isidro Burgos. Dort sind etwa 500 Studierende eingeschrieben, die zu GrundschullehrerInnen für ländliche Gegenden ausgebildet werden. Einige BewohnerInnen dieser Gemeinden sind indigenen Ursprungs. Im Allgemeinen leben diese Gemeinden und die Studierenden in Armut und sind in hohem Masse Diskriminierung und Marginalisierung ausgesetzt. Des Weiteren fehlt ihnen Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen. Die Studierenden des Ausbildungszentrums sind politisch engagiert und organisieren häufig Demonstrationen zu ländlicher Bildung, Bildungspolitik und anderen politischen Themen. Von manchen Demonstrationen wurde über Gewaltakte berichtet. Die Schuld dafür geben örtliche Behörden häufig den Studierenden. Die Ressourcen der Ausbildungszentren sind oft knapp, da in den vergangenen Jahren ländlicher Bildung in der Politik wenig Beachtung geschenkt worden war. Im Dezember 2011 hatten Studierende aus Ayotzinapa auf einer Hauptverkehrsstrasse ausserhalb von Chilpancingo, der Hauptstadt des Bundesstaats Guerrero, protestiert und wurden von nationalen und bundesstaatlichen Polizeikräften angegriffen. Drei Personen wurden dabei getötet, darunter zwei Studierende. Mindestens 24 Personen wurden gefoltert oder anderweitig misshandelt. Die PolizistInnen und Vorgesetzten, die für Verstösse gegen die Menschenrechte von Studierenden verantwortlich waren, wurden nie zur Rechenschaft gezogen. So entstand ein Klima der Straffreiheit. Amnesty International hat auf diesen Fall bereits mehrmals aufmerksam gemacht, zuletzt im englischsprachigen Bericht Out of control: Torture and other ill-treatment in Mexico (http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR41/020/2014/en). Die Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft macht zwar vereinzelte Fortschritte, ist dem Vernehmen nach jedoch stark mit Mängeln behaftet. So stützen sich die Ermittlungen z. B. übermässig stark auf die Aussagen von vier vermeintlichen Auftragsmördern und es liegen weder ausreichende noch angemessene kriminaltechnische Beweismittel für die Vermutungen der Generalstaatsanwaltschaft vor. Zudem ist eine unvoreingenommene Auswertung der vorliegenden Beweismittel offenbar nicht gewährleistet. Ausserdem soll der vermeintliche Tatort nicht umgehend und wirksam abgeriegelt worden sein. Entführungen und Verschwindenlassen sind in Mexiko nach wie vor Routine und Staatsbedienstete agieren häufig im Einvernehmen mit kriminellen Banden. Der Fall der 43 Studierenden, die seit dem 26. September „verschwunden“ sind, ist nur einer von vielen: Laut einer Veröffentlichung der mexikanischen Regierung im August 2014 gibt es insgesamt 22.000 Menschen in Mexiko, die als vermisst oder „verschwunden“ gelten und deren Verbleib nach wie vor unklar ist. 2013 richtete die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft eine Spezialabteilung zur Untersuchung von Fällen von Entführungen und Verschwinden und zur Suche nach den Betroffenen ein. Bisher gibt es keine genaueren Informationen, wie wirksam die Untersuchungen dieser Spezialabteilung sind. Weitere Informationen finden Sie in dem englischsprachigen Artikel Confronting a nightmare: Disappearances in Mexico (http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR41/025/2013/en). Im Februar reagierte die mexikanische Regierung abwehrend auf einen Bericht des UN-Ausschusses über das Verschwindenlassen, in dem der Fall der 43 Studenten als beispielhaft für die grossen Herausforderungen genannt wird, denen Mexiko gegenübersteht, wenn es um die Verhütung, Untersuchung und Bestrafung von Fällen des Verschwindenlassens geht. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die Praxis des Verschwindenlassens in Mexiko weit verbreitet ist.