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Startseite Urgent Actions 2014 06 LGBTI NGO forced to register as “foreign agent”
UA 161/14
Russland
Abgeschlossen am 6. August 2014

LGBTI-NGO von Agentengesetz betroffen

AI-Index: EUR 46/040/2014

Am 2. Juli findet vor dem Bezirksgericht von Vasileostrovskiy in Sankt Petersburg eine Anhörung im Fall der LGBTI-Organisation Coming Out (Vykhod) statt. Sollte der Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgreich sein, muss die Organisation sich als „ausländischer Agent“ registrieren. Dies ist der dritte Versuch, Coming Out als „ausländischen Agenten“ einzustufen. Die Organisation wehrt sich vor Gericht entschieden gegen diese Bezeichnung.

Im Oktober 2013 reichte die Staatsanwaltschaft des zentralen Bezirks von Sankt Petersburg eine verwaltungsrechtliche Klage gegen Coming Out ein, da die Organisation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) an „politischen Aktivitäten“ beteiligt sei und Finanzmittel von ausländischen Gebern erhalten habe. Gemäss russischem Recht müsste sich die Nichtregierungsorganisation daher als „ausländischer Agent“ registrieren. Die Staatsanwaltschaft machte geltend, dass Kampagnen der NGO gegen das Gesetz zum Verbot von „Propagieren von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“, das 2013 vom russischen Parlament verabschiedet wurde, „politische Aktivitäten“ darstellten. Als Beispiele für solche „politischen Aktivitäten“ führte die Staatsanwaltschaft Veröffentlichungen auf der Website der NGO, eine 2012 veröffentlichte Broschüre mit dem Titel Diskriminierung von LGBT: Was, wie und wieso? und eine im Januar 2013 in Sankt Petersburg abgehaltene Protestveranstaltung an, da all dies auf die „Bildung der öffentlichen Meinung“ abziele, um „die Arbeit der Regierung zu beeinflussen“.

Bei einer Anhörung im Mai stellte der Staatsanwalt einen Bericht über die Broschüre Diskriminierung von LGBT: Was, wie und wieso? vor. In diesem Bericht hiess es, dass Coming Out versuche, „sich die extremsten gesellschaftlichen Praktiken einiger ausländischer Staaten, die von christlichen Moralvorstellungen abweichen, zu eigen zu machen“. Zudem verwies der Bericht auf die „Ansichten der Mehrheit“, die Orthodoxie und den Islam, und nannte die diesjährige Gewinnerin des Eurovision Song Contest Conchita Wurst als Beweis für die „unnatürliche Abscheulichkeit der Homosexualität“. Die Broschüre würde nicht nur „Homophobie fördern“, sondern ziele auch darauf ab, „gegen das nationale Gesetz vorzugehen“, das das „Propagieren von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ unter Strafe stellt.

Das derzeitige Klima der Intoleranz gegenüber LGBTI, das durch die zunehmende Schikanierung unabhängiger russischer NGOs durch die Behörden noch verschärft wird, ist für eine unparteiische Gerichtsverhandlung nicht förderlich. Es wird befürchtet, dass Coming Out das Verfahren am 2. Juli mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren wird.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die LGBTI-Organisation Coming Out (Vykhod) wurde 2008 gegründet und 2009 offiziell registriert. Die Organisation arbeitet an verschiedenen Projekten, die Toleranz in der russischen Gesellschaft und gleiche Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) schaffen sollen. Coming Out setzt sich durch Seminare, Rundtischdiskussionen, öffentliche Protestaktionen und kulturelle Veranstaltungen für die Rechte von LGBTI ein. Unter anderem veranstaltet die Organisation einmal im Jahr das Queer Culture Festival, an dem Hunderte UnterstützerInnen teilnehmen. Darüber hinaus betreibt sie Lobbyarbeit, veröffentlicht Broschüren und bietet kostenlose Rechtsberatung sowie psychologische Betreuung für LGBTI und ihre Familien an. Im Jahr 2013 versuchte die Staatsanwaltschaft in einem Verwaltungsverfahren, die Registrierung von Coming Out als „ausländischer Agent“ zu erwirken. Monatelang kämpften die Mitglieder von Coming Out vor Gericht, doch sie schafften es, ihre Arbeit fortzusetzen. Die Organisation ist fest entschlossen, sich nicht als „ausländischer Agent“ brandmarken zu lassen. Sollte sie doch gezwungen sein, sich zu registrieren, wird sie ihre Aktivitäten einstellen müssen. Im November 2012 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, nach dem sich jede NGO, die ausländische Gelder erhält und an „politischen Aktivitäten“ beteiligt ist, als „eine Organisation mit der Funktion eines ausländischen Agenten“ registrieren muss. Die rechtliche Definition von „politische Aktivitäten“ ist so weit gefasst, dass dieser Begriff willkürlich auf nahezu jede russische NGO angewendet werden kann. Die Staatsanwaltschaft und einige Gerichte legen den Begriff so aus, dass er sich auf beinah jedwede Art öffentlicher Kampagnen oder der öffentlichen Vertretung gewisser Ansichten bezieht. Die Nichteinhaltung des Gesetzes zieht Geldstrafen in Höhe von Tausenden von Euro nach sich. Diese Geldstrafen werden gegen NGOs als Organisationen und zusätzlich gegen ihre führenden VertreterInnen als Privatpersonen verhängt. Darüber hinaus können NGOs vorübergehend oder vollständig geschlossen und ihre Vorsitzenden bis zu zwei Jahre inhaftiert werden. Seit der Verabschiedung des Gesetzes kam es in Hunderten, möglicherweise über Tausend, unabhängigen NGOs in verschiedenen Teilen Russlands zu unangekündigten „Inspektionen“. Diese werden von einem Team aus Angehörigen der Staatsanwaltschaft, der Steuerbehörde und anderen Behörden durchgeführt. Auf der Grundlage dieser „Inspektionen“ legte der Generalstaatsanwalt Yuriy Chaika Präsident Putin im Juli 2013 einen Bericht vor, aus dem hervorging, dass etwa 200 NGOs die Kriterien für „ausländische Agenten“ erfüllten. Er berichtete zudem, dass viele NGOs seitdem keine ausländischen Gelder mehr annehmen würden, um nicht in das Anwendungsgebiet des Gesetzes zu fallen. Gegen diejenigen, die weiterhin Gelder aus dem Ausland erhalten, gehen die Behörden mit verschiedenen Mitteln vor: Gegen mindestens fünf NGOs wurden hohe Geldstrafen verhängt, Dutzende erhielten offizielle „Warnungen“ oder eine direkte Anordnung seitens der Staatsanwaltschaft, sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren, und mehrere NGOs mussten ihre Arbeit vorübergehend einstellen. Einige NGOs, so wie die russlandweit tätige Wahlbeobachtungsorganisation Golos, erhalten keine ausländischen Gelder mehr, werden jedoch trotzdem schikaniert. Im Rahmen der Hetzkampagne gegen unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen richtet sich das Vorgehen der Behörden insbesondere gegen Wahlbeobachtungsorganisationen sowie gegen NGOs, die sich für die Menschenrechte, LGBTI und die Umwelt einsetzen. Dies hat dazu geführt, dass das zivilgesellschaftliche Engagement in Russland stark eingeschränkt ist und dass die betroffenen Organisationen ihre Arbeit nicht wie gewohnt ausüben können. Mindestens fünf NGOs mussten ihre Aktivitäten bereits als unmittelbare Konsequenz einstellen. Am 4. Juni 2014 erhielt das Justizministerium die Befugnis, NGOs ohne Gerichtsbeschluss als „ausländische Agenten“ zu registrieren. Bereits einen Tag später wurden fünf NGOs gegen ihren Willen in das Register aufgenommen.

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