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Startseite Urgent Actions 2014 04 Call for inquiries into two killings in Rio
UA 105/14
Brasilien
Abgeschlossen am 11. Juni 2014

Zwei Tote bei Polizeieinsatz in Armenviertel

AI-Index: AMR 19/003/2014 ISSUE

Bei Protesten in der Favela Pavão-Pavãozinho im Stadtteil Copacabana von Rio de Janeiro am 22. April ist ein junger Mann getötet worden. Ausgelöst wurden die Proteste durch den Tod eines weiteren Mannes während eines zuvor am selben Tag stattgefundenen Polizeieinsatzes in der Favela.

Der 27-jährige Edilson Silva dos Santos wurde am 22. April bei Protesten im Armenviertel (Favela) Pavão Pavãozinho im Stadtteil Copacabana von Rio de Janeiro durch einen Kopfschuss getötet. Bisher ist nicht bekannt, wer die Schüsse abgegeben hat. Edilson Silva dos Santos und die anderen Protestteilnehmer waren unbewaffnet, die anwesenden Angehörigen der Militärpolizei trugen jedoch Schusswaffen mit sich. Ausgelöst wurden die Proteste durch eine spontane Reaktion der AnwohnerInnen auf den Tod des 26-jährigen Douglas Rafael Pereira da Silva. Seine Leiche war am 22. April im Hinterhof einer Kindertagesstätte gefunden worden. Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass Douglas Rafael Pereira da Silva am 22. April um etwa 1.00 Uhr morgens starb, als gerade ein Polizeieinsatz in der Favela durchgeführt wurde. Viele der AnwohnerInnen sind der Ansicht, dass er von der Polizei getötet wurde. Später am selben Tag umstellten Angehörige der Militärpolizei aus der lokalen Befriedungspolizeieinheit (Unidade de Polícia Pacificadora – UPP) die Kindertagesstätte. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass der Tatort verändert worden sein könnte. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass Douglas Rafael Pereira da Silva mit einer Schusswaffe getötet wurde, deren Geschoss seine Lunge perforierte. Die Mutter von Douglas Rafael Pereira da Silva, Maria de Fátima, fordert öffentlich Gerechtigkeit für seinen Tod. Sie sagte gegenüber Amnesty International und anderen Organisationen, dass sie am 28. April von einem Mann in einem Wagen bedroht wurde, der eine Schusswaffe bei sich trug. Ihren Angaben zufolge drohte er ihr mit folgenden Worten: «Wenn du nicht selbst die Klappe hältst, werde ich eben dafür sorgen» (se você não calar a boca, eu vou calar).

Amnesty International hat Berichte erhalten, denen zufolge PolizeibeamtInnen, die der Befriedungspolizei angehören, unnötige und unverhältnismässige Gewalt sowie andere Misshandlungen gegen die lokalen BewohnerInnen anwenden. So soll beispielsweise nur wenige Tage vor den Protesten ein 27-jähriger Mann auf dem Heimweg von einem Familienfest von zwei BeamtInnen der Befriedungspolizei angehalten worden sein, die dann direkt neben seinem Kopf zwei Schüsse auf die Wand abgaben und noch dreimal in die Luft feuerten, um ihn einzuschüchtern.

Hintergrundinformationen

Edilson Silva dos Santos litt unter einer geistigen Behinderung und lebte in der Favela Pavão-Pavãozinho als Pflegekind mit seiner Mutter und seinem Bruder zusammen. Einem Familienangehörigen zufolge war er «ein friedlicher und ruhiger Mann, der immer fröhlich war und gern Videospiele spielte». Nachdem er sich die Schussverletzung zugezogen hatte, brachte ihn die Polizei ins Krankenhaus. Dem Arztbericht zufolge war er bei der Ankunft bereits tot. AugenzeugInnen berichteten Amnesty International, es sei offensichtlich gewesen, dass Edilson Silva dos Santos bereits vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus tot war. Die Polizei habe zudem den Tatort nicht gesichert.
Douglas Rafael Pereira da Silva lebte nicht direkt in der Favela, kam jedoch häufig zu Besuch, um seine vierjährige Tochter zu sehen. Er war dort sehr bekannt, da er regelmässig als Tänzer in einer populären Musiksendung des brasilianischen Fernsehsenders TV Globo auftrat, und war für viele junge Männer ein Vorbild. Sein Tod löste daher in der Favela eine Welle der Entrüstung aus.
Die Befriedungspolizei (Unidade de Polícia Pacificadora – UPP) ist eine Polizeieinheit, die im Sinne bürgernaher Polizeiarbeit in bestimmten Favelas in Rio de Janeiro eingesetzt wird. Offiziellen Angaben zufolge soll der Einsatz der Befriedungspolizeieinheiten die Zahl der Straftaten reduziert haben. Amnesty International Brasilien hat jedoch Berichte und Informationen erhalten, nach denen es in den Vierteln, in denen Befriedungspolizeieinheiten eingesetzt werden, zu Menschenrechtsverletzungen und anderen Misshandlungen durch PolizeibeamtInnen gekommen sein soll. Die Favela Pavão-Pavãozinho liegt zwischen den vornehmen Stadtteilen Copacabana und Ipanema. Die Befriedungspolizei ist seit Dezember 2009 in Pavão-Pavãozinho aktiv.
Offiziellen Angaben zufolge wurden in Rio de Janeiro zwischen 2002 und 2011 etwa 10.000 Menschen von Polizeikräften getötet. Kaum einer dieser Todesfälle ist je angemessen untersucht worden.
Die Mutter des getöteten Douglas Rafael Pereira da Silva, Maria de Fátima, sagte: «Was für eine Art Befriedung soll das sein? Wir können nicht ungehindert kommen und gehen. Die Bewohner hier haben mehr Angst vor der Polizei als vor den Kriminellen. Mein Sohn ist ein weiteres Opfer von vielen. Die Polizei ist nicht dazu da, uns zu schützen, uns zu helfen, sondern uns zu töten» (Que pacificação é esse que você não tem o direito de ir e vir. Os moradores de comunidade tem mais medo da polícia do que de bandido agora. Meu filho é mais uma vítima. Essa polícia é treinada não para salvar, para ajudar, mas para matar).
Auch in anderen Stadtteilen, in denen Befriedungspolizeieinheiten eingesetzt werden, wurde über Menschenrechtsverletzungen und andere Verstösse durch die Polizei berichtet. Im Juli 2013 wurde Amarildo Souza Lima in der Favela Rocinha von BeamtInnen der Befriedungspolizei festgenommen und ist seitdem verschwunden (siehe UA-202/2013-1: http://amnesty.de/urgent-action/ua-202-2013-1/verschwindenlassen). Die seither durchgeführten Untersuchungen deuten darauf hin, dass er von PolizeibeamtInnen gefoltert und getötet wurde. Seine Leiche ist bis heute nicht gefunden worden. Über 20 PolizeibeamtInnen sind wegen Mordes angeklagt, darunter auch der Leiter der Befriedungspolizeieinheit in Rocinha.

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