Hungerstreikender in kritischem Zustand
Der religiöse Führer und Uigure Abdukiram Abduveli befindet sich seit Mitte Februar im Hungerstreik, um gegen die zusätzlichen fünf Jahre Gefängnis zu protestieren, die ihm auferlegt wurden. Obwohl er anfangs zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, ist er seither in fünf verschiedenen Fällen erneut zu Haftstrafen verurteilt worden und befindet sich nun seit fast 24 Jahren in Haft. Sein Gesundheitszustand ist inzwischen kritisch und er braucht dringend medizinische Versorgung.
Abdukiram Abduveli wird im Gefängnis Nr. 3 von Xinjiang in Urumqi, der Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang im Nordwesten Chinas festgehalten. Seine Familie konnte ihn zuletzt am 8. April besuchen. Ihren Angaben zufolge befindet er sich seit Mitte Februar, als er zu einer zusätzlichen fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, im Hungerstreik. Er sollte im Juni 2014 freigelassen werden. Es ist nicht bekannt, warum er eine weitere Strafe erhalten hat.
Abdukiram Abduvelis Familie sagte, dass er bei schlechter Gesundheit ist. Er ist dünn und unterernährt, benötigt einen Rollstuhl und hat nicht einmal die Kraft, länger als zwei Minuten einen Telefonhörer zu halten. Zuvor war die Familie darüber informiert worden, dass Abdukiram Abduveli an Knochenkrebs erkrankt ist. Ob er dagegen die notwendige Behandlung erhält, ist nicht bekannt.
Abdukiram Abduveli hat zum fünften Mal eine zusätzliche Gefängnisstrafe erhalten. Zum ersten Mal wurde er 1990 inhaftiert und 1993 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Die Anklage lautete unter anderem auf „Organisation einer konterrevolutionären Gruppe“. An seinem geplanten Freilassungsdatum, dem 16. November 2002, teilten GefängniswärterInnen der Familie mit, dass sein Urteil um drei Jahre verlängert worden sei. Das wurde der Familie drei weitere Male mitgeteilt: 2005, 2008 und 2011. Seine Familie hat ein schriftliches Gerichtsurteil erhalten, das nur einmal die zusätzliche Haftstrafe begründet. Laut diesem auf den 1. Juli 2009 datierten Urteil wurde Abdukiram Abduveli vier Mal zu drei weiteren Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die Ordnung der Gefängnisverwaltung untergraben habe (Artikel 315 des chinesischen Strafgesetzbuchs). Gesetzlich ist die Höchststrafe für dieses Vergehen drei Jahre und sie soll nur unter schweren Umständen verhängt werden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Vor seiner Inhaftierung reiste Abdukiram Abduveli häufig innerhalb des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang, sprach über den Koran und befürwortete die Ausbreitung des Islam und die wirtschaftliche Gleichstellung zwischen Han-ChinesInnen und UigurInnen. Die Kopie des Urteils, das die Familie im Juli 2009 erhalten hat, legt dar, dass Abdukiram Abduveli zusätzliche Haftstrafen erhalten hat, weil er die Regeln der Gefängnisverwaltung gebrochen habe (Artikel 315 des Strafgesetzbuchs). Es führt weiterhin aus, dass sich Abdukiram Abduveli laut Zeugenaussagen anderer Gefangener, namentlich Han Qiang, Liu Xiaolin, Li Tianbao, Wang Chao und Du Xianfa und Yu Yaqi, ständig geweigert habe, die Gefängniserziehung zu akzeptieren, stundenlang gebetet habe, einen Hungerstreik ankündigte und die ihn überwachenden Mitgefangenen beschimpfte und schlug. Das Urteil legt weiter dar, dass ihm in der Folge die „Reformpunkte“ abgezogen wurden, er in Einzelhaft verlegt wurde und auch, dass nicht näher beschriebene „Präventivwaffen gegen ihn eingesetzt“ worden seien. Laut den UN-Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen muss jeder Gefangene seine Religion ausüben dürfen. Darüber hinaus darf kein Gefangener zwei Mal für dasselbe Vergehen bestraft werden. Die Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung ist in allen Arten von chinesischen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und stellt eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. China verstösst damit gegen seine internationalen Verpflichtungen als Vertragsstaat des UN-Abkommens gegen Folter. Im März starb die Menschenrechtsverteidigerin Cao Shunli an Organversagen, nachdem ihr in Haft in Peking die medizinische Behandlung versagt worden war. Amnesty International hat zudem die Praxis dokumentiert, Mitgefangene dazu einzusetzen, Gefangene zu überwachen, „Gedankenarbeit“ auszuführen oder „umzuerziehen“ und Mithäftlinge manchmal auch zu bestrafen oder zu foltern. Es ist besonders üblich, gemeine Strafgefangene, die ihre „Loyalität“ gegenüber den Gefängnisbehörden unter Beweis gestellt haben, gegen politische Gefangene einzusetzen. Sie erhalten im Gegenzug einen Straferlass, besseres Essen, bessere Haftbedingungen und andere Privilegien. Der UN-Sonderberichterstatter über Folter hat Bedenken über die „verstörende“ Praxis der „Umerziehung“ in Verbindung mit politischen Straftaten geäussert, insbesondere den abgeschafften „konterrevolutionären Verbrechen“, die seit 1997 nicht mehr im chinesischen Strafgesetzbuch aufgeführt sind. Er erklärte, dass die Kombination von Freiheitsentzug wegen der friedlichen Ausübung von Grundfreiheiten mit der Praxis der Umerziehung durch Zwang, Demütigung und Strafe eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellt. Die UigurInnen sind eine grösstenteils muslimische ethnische Minderheit, die hauptsächlich im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang lebt. Seit den 1980er Jahren werden die Uiguren immer wieder Opfer von systematischen schweren Menschenrechtsverletzungen wie willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, Haft ohne Kontakt zur Aussenwelt, Einschränkung der Religionsfreiheit sowie der Einschränkung sozialer und kultureller Rechte. Die lokalen Behörden kontrollieren die Religionsausübung weiterhin streng. So ist es beispielsweise allen RegierungsmitarbeiterInnen und Kindern unter 18 Jahren verboten, in Moscheen zu beten. Die Politik der chinesischen Regierung, die den Gebrauch der uigurischen Sprache und die Religionsfreiheit in erheblichem Masse einschränkt, trägt in Verbindung mit dem kontinuierlichen Zustrom von Han-Chinesen in die Region zur Zerstörung der Sitten und Gebräuche der Uigur_innen bei und schürt, einhergehend mit der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, die Unzufriedenheit und den ethnischen Konflikt. Die Lage hat sich seit den Angriffen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2011 noch weiter zugespitzt, da die chinesischen Behörden ein Vorgehen gegen den Terrorismus als Vorwand dafür verwenden, um die Menschenrechte der UigurInnen noch weiter zu unterdrücken. Im Dezember 2013 veröffentlichte die Kommunistische Partei Chinas einen neuen „grossen strategischen Plan“ für das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang. Der Plan macht es sich zur Aufgabe „den Erhalt der sozialen Stabilität“ zum vorrangigen strategischen Ziel zu machen. Gleichzeitig sagte der Bürgermeister von Peking, Wang Anshun, am 16. Januar, dass die Regierung die Kontrolle des Internets in Verbindung mit Antiterrormassnahmen verschärfen würde.