Menschenrechtsverteidiger in Gefahr
Pierre Espérance, ein bekannter haitianischer Menschenrechtsverteidiger, hat am 2. April einen Brief erhalten, der eine Pistolenkugel und mit seiner Arbeit im Zusammenhang stehende Morddrohungen enthielt. Amnesty International ist um seine Sicherheit und die anderer MenschenrechtsverteidigerInnen im Land besorgt.
Am 2. April erhielt Pierre Espérance, Geschäftsführer des Nationalen Netzwerks zur Verteidigung der Menschenrechte (Réseau National de Défense des Droits Humains, RNDDH), einer der führenden Menschenrechtsorganisationen Haitis, im Büro der Organisation einen Drohbrief. Der Brief enthielt eine Pistolenkugel und die Anschuldigung, Pierre Espérance und das RNDDH hätten falsche Berichte erstellt, um die Regierung zu destabilisieren. In dem Brief wird auch der Anschlag auf Pierre Espérance im Jahr 1999 erwähnt. Er war damals in Port-au-Prince, der haitianischen Hauptstadt, einem Mordanschlag entkommen. In dem Brief heisst es daher: „1999 haben wir dich verfehlt, dieses Mal kommst du nicht davon. Hör auf, Unsinn zu reden.“
Am 9. April wurde bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. Die Kriminalpolizei soll Ermittlungen aufgenommen haben.
In den vergangenen Monaten hat das RNDDH mehrere Berichte über Themen wie ein Tourismusprojekt mit negativen Konsequenzen für die BewohnerInnen der Insel Île à Vache und das Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Diktator Jean-Claude Duvalier veröffentlicht. Die Organisation hat darüber hinaus die aktuelle Regierung wegen mutmasslicher Korruption, Manipulation des Justizsystems und Straffreiheit kritisiert.
Amnesty International ist in grosser Sorge um die MenschenrechtsverteidigerInnen in Haiti, da auf viele von ihnen in den vergangenen Monaten Anschläge verübt worden sind, und fordert die Behörden auf, umgehend Massnahmen zu ergreifen, um die MenschenrechtsverteidigerInnen und ihre Familien angemessen zu schützen.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Weitere Informationen zu dem 1999 auf Pierre Espérance verübten Anschlag finden Sie in der Urgent Action 45/99: https://www.amnesty.de/umleitung/1999/amr36/001.
Berichten zufolge sind in Haiti in jüngster Zeit mehrere MenschenrechtsverteidigerInnen Opfer von Drohungen und Anschlägen geworden. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat jeweils im Oktober 2012 und November 2013 Schutzmassnahmen für die Menschenrechtsanwälte Mario Joseph und Patrick Florvilus eingeleitet und den haitianischen Staat aufgefordert, die für den Schutz des Lebens und der persönlichen Integrität der Anwälte notwendigen Massnahmen zu ergreifen.
Im Jahr 2013 wurde Kouraj, eine Gruppe, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LGBTI) einsetzt, während öffentlicher Demonstrationen in Port-au-Prince wiederholt Opfer von Drohungen und Einschüchterungen (weitere Informationen: UA-186/2013, https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-186-2013/lgbti-aktivistinnen-gefahr). Im November wurde zudem ein Anschlag auf die Gebäude der Organisation verübt (UA-320/2013, https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-320-2013/angriff-auf-lgbti-buero).
Am 8. Februar 2014 wurden der Menschenrechtsverteidiger Daniel Dorsinvil und seine Ehefrau im Wohngebiet Canapé Vert in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince erschossen. Die Umstände und Motive der Tat sind weiterhin unklar. Ermittlungen wurden eingeleitet und mehrere Menschen befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft von Port-au-Prince hat jedoch bisher keine formelle Anklage erhoben. Im Februar forderte Amnesty International eine umfassende Untersuchung der Tötung. (http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR36/006/2014/en)
In Übereinstimmung mit der UN-Erklärung zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen von 1998 müssen die haitianischen Behörden ihrer Verpflichtung nachkommen, MenschenrechtsverteidigerInnen zu schützen, Anschläge auf sie umfassend zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Darüber hinaus sind sie dazu verpflichtet sicherzustellen, dass MenschenrechtsverteidigerInnen ihre Arbeit ohne Angst vor Vergeltungsmassnahmen ausführen können.