Aktivistin wegen Kritik an Arbeitslagern festgenommen
Die Anti-Korruptionsaktivistin Liu Hua ist inhaftiert worden. Sie hatte zuvor Menschenrechtsverletzungen in den chinesischen Arbeitslagern angeprangert. Ihr wird vorgeworfen, «Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben». Man geht davon aus, dass sie von den Behörden dafür bestraft werden soll, dass sie in einem Dokumentarfilm Folter und andere Misshandlungen in den Arbeitslagern zur Umerziehung durch Arbeit beschrieben hat. Liu Hua ist eine gewaltlose politische Gefangene und sollte umgehend freigelassen werden.
Liu Hua wurde am 10. März in Peking von Angehörigen des Büros für öffentliche Sicherheit in Shenyang in der Provinz Liaoning inhaftiert. Sie wurde in ihren Wohnort Shenyang zurückgebracht und wird jetzt im dortigen Haftzentrum Nummer 1 festgehalten. Liu Hua ist von Angehörigen der Polizei wiederholt zu den Foltervorwürfen verhört worden, die sie in einem Dokumentarfilm über das Umerziehungslager Masanjia geäussert hatte. Ausserdem wurde sie zu ihrer Petition in Peking während des Volkskongresses im Februar zusammen mit 20 weiteren ehemaligen Masanjia-InsassInnen vernommen.
Liu Hua verbüsste zwischen 2006 und 2011 drei Haftstrafen im Masanjia-Umerziehungslager für Frauen, da sie versucht hatte, die Korruption in ihrem Heimatort Zhangliangbao zu enthüllen. Nach ihrer Entlassung wurde sie als Teil eines investigativen Artikels der chinesischen Fotozeitschrift Lens über die schockierenden Haftbedingungen in Masanjia interviewt. Der Artikel wurde am 6. April 2013 veröffentlicht und trug dazu bei, die Öffentlichkeit zum Thema Umerziehungslager wachzurütteln. Danach spielte Liu Hua in dem Dokumentarfilm «Die Frauen des Arbeitslagers Masanjia» eine erhebliche Rolle, der noch im selben Jahr herauskam. In dem Film beschreibt sie lebhaft, wie die GefängniswärterInnen die weiblichen Gefangenen schlugen, mit Elektroschockwaffen ihren Brüsten Stromstösse verabreichten, ihnen Stöcke und scharfen roten Chili in die Vagina einführten und sie in verschiedene Foltergeräte steckten wie das «Totenbett» und die «Tigerbank».
Am 28. Dezember 2013 verabschiedete die Regierung eine Resolution, die die Lager zur Umerziehung durch Arbeit abschafft. Liu Hua trug massgeblich zur Verbesserung der Menschenrechtslage in China bei und ist daher nach wie vor Zielscheibe der Behörden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Am 28. Dezember 2013 nahm der ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses eine Resolution zur Abschaffung des Systems der Umerziehung durch Arbeit an. Fast 60 Jahre lang ermöglichte das Umerziehungssystem der Polizei, Menschen bis zu vier Jahre lang ohne gerichtliche Überprüfung oder Berufungsmöglichkeiten und ohne jegliche rechtsstaatlichen Mechanismen festzuhalten. InsassInnen dieser Lager wurden gewöhnlich gezwungen, viele Stunden täglich unter unsicheren und schlechten Bedingungen gegen geringe oder ohne Bezahlung zu arbeiten. Die Lebensbedingungen in den Lagern waren ebenfalls sehr schlecht und Folter, insbesondere von politischen Gefangenen, war an der Tagesordnung. Die Abschaffung der Lager zur Umerziehung durch Arbeit ist ein begrüssenswerter und wichtiger Schritt in Richtung des Schutzes der Menschenrechte in China.
Doch Beweismaterial, das Amnesty International gesammelt hat, als die Berichte über die Schliessung der Lager begannen, deuten darauf hin, dass die Behörden zunehmend alternative Möglichkeiten zur Verfolgung von Personen finden, die zuvor in ein Lager geschickt worden wären – so z. B. willkürliche Haft und Strafverfolgung. Zu den Betroffenen zählen Kleinkriminelle, mutmassliche DrogennutzerInnen, SexarbeiterInnen, Falun-Gong-AnhängerInnen, AktivistInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen und Petitionseinreichende. Ohne eine grundlegende Änderung der Politik und der praktischen Umsetzung, durch die willkürliche Haft begünstigt wird, droht die Abschaffung der Lager zu einer blossen Namensänderung zu verkommen. Trotz der Abschaffung der Lager hat China noch andere funktionierende Formen der Verwaltungshaft wie die «Zwangsisolierung zur Drogenrehabilitierung» und «Gewahrsam und Erziehung». Diese ermöglichen es den Behörden, mutmassliche Drogenkonsumierende oder SexarbeiterInnen und ihre KundInnen ohne Gerichtsverfahren oder gerichtliche Überprüfung bis zu jeweils drei (denen noch weitere drei Jahre der «Korrektur für die Gemeinschaft» folgen können) bzw. zwei Jahre in Haft zu halten. Die Bedingungen in diesen Formen der (willkürlichen) Verwaltungshaft ähneln denen der Lager zur Umerziehung durch Arbeit.
Der Dokumentarfilm «Die Frauen des Arbeitslagers Masanjia» von Du Bin ist auf YouTube zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=XFhu0CPi6Ko.