Umweltschützer muss freigelassen werden!
Ein Gericht in Kirsanow in der russischen Oblast Tambow entscheidet am 31. März über den Bewährungsantrag von Jewgeni Witischko. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden muss.
Nachdem er ein Jahr seiner Haftstrafe verbüsst hat, konnte Jewgeni Witischko formell einen Antrag zur Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung stellen. Diesen Antrag hat er nun beim Bezirksgericht Kirsanoweingereicht. Es ist zu hoffen, dass das Gericht diese Möglichkeit dazu nutzt, das grosse Unrecht, das Jewgeni Witischko widerfahren ist, wiedergutzumachen, und ihn freilässt. Damit dies geschehen kann, muss sein Bewährungsantrag von den Strafvollzugsbehörden genehmigt werden und die Staatsanwaltschaft darf keinen Einspruch dagegen einlegen.
Jewgeni Witischko ist ein bekanntes Mitglied der Umweltschutzorganisation «Ökologische Wacht im Nordkaukasus» (Ecologicheskaya Vakhta po Severnomu Kavkazu).
Während der einjährigen Haftzeit ist Jewgeni Witischko von den Behörden fortdauernd schikaniert worden. So erhielt er zahlreiche formelle Tadel wegen angeblicher «Verstösse», bspw. wegen der «Lagerung von Konserven in seiner Tasche». Im August 2014 wurde er zur Bestrafung in eine Isolationszelle verlegt. Seine Rechtsbeistände gehen davon aus, dass diese Tadel gegen ihn ergangen sind, weil er sich über die Arbeitsbedingungen und Misshandlungen in der Strafkolonie beschwert hatte und weil er anderen Inhaftierten dabei geholfen hatte, offizielle Beschwerden aufzusetzen. Mindestens einer dieser Tadel wurde später vor Gericht aufgehoben. Die Tadel könnten von den Behörden vor Gericht dazu genutzt werden, Jewgeni Witischko die Aussetzung der Strafe auf Bewährung zu verwehren.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Jewgeni Witischko ist ein bekanntes Mitglied der Umweltschutzorganisation «Ökologische Wacht im Nordkaukasus» (Ecologicheskaya Vakhta po Severnomu Kavkazu). Er und andere UmweltschützerInnen protestieren gegen die Abholzung, illegale Bebauung und rechtswidrige Einzäunungen in unter Naturschutz stehenden Gebieten in der russischen Region Krasnodar.
Im Juni 2012 war Jewgeni Witischko in einem politisch motivierten Gerichtsverfahren der Beschädigung eines Zaunes während einer im November 2011 durchgeführten Protestaktion für schuldig befunden und zu drei Jahren Haft verurteilt worden, deren Vollstreckung für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es ging hierbei um eine rechtswidrig in einem Waldschutzgebiet errichtete Einzäunung. Jewgeni Witischko und andere UmweltschützerInnen machten geltend, dass die Einzäunungen rechtswidrig waren und dass seltene und unter Naturschutz stehende Bäume dahinter gefällt würden. Diese Umweltverstösse wollten sie nach eigenen Angaben dokumentieren. Die AktivistInnen hatten zuvor monatelang bei den örtlichen Behörden und auf Bundesebene Eingaben gemacht, um die Verstösse beenden zu lassen, aber die Behörden hatten keine Schritte in diese Richtung eingeleitet. Die UmweltschützerInnen drückten zwei Bereiche des Zaunes ein, um die Rodungen zu fotografieren, und sprühten Graffiti auf den Zaun.
Das gegen Jewgeni Witischko und seinen Mitangeklagten Suren Gazaryan eingeleitete Verfahren entsprach nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Suren Gazaryan hat Russland inzwischen verlassen und im Ausland Asyl erhalten, weil er aufgrund seines Umweltschutzengagements in seinem Heimatland verfolgt wurde. Das Gerichtsverfahren liess eine Reihe von grundlegenden Zweifeln an der Begründetheit des Rechtsfalls aufkommen. Zudem waren Unregelmässigkeiten im Verfahren zu beobachten. Einige diese Unregelmässigkeiten hat auch der Oberste Gerichtshof der Russischen Föderation ausdrücklich festgestellt und im Oktober 2013 entschieden, dass das Gericht unterer Instanz die Rechtmässigkeit des errichteten Zaunes hätte klären müssen und zudem hätte nachweisen müssen, wer der rechtliche Eigentümer des Zaunes war. Die Verteidigung hatte diese Klärungen und Nachweise immer wieder gefordert. Trotz dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vertrat ein Gericht unterer Instanz die Auffassung, dass kein Grund für eine Überprüfung des Falls Jewgeni Witischko vorliege.
Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi wurden Jewgeni Witischko und weitere Mitglieder seiner Organisation fortwährend von den russischen Behörden schikaniert. Sie wurden wiederholt festgenommen, kurzfristig inhaftiert und durchsucht. Die AktivistInnen sowie nahe Verwandte wurden von der Polizei verhört und inoffiziell davor gewarnt, während der Olympischen Spiele ihre Proteste fortzuführen.
Jewgeni Witischko wurde am 20. Dezember 2013 vor Gericht gestellt. Man warf ihm vor, sich ohne Genehmigung ausserhalb seiner Heimatstadt aufgehalten zu haben und somit gegen die Auflagen (Reisebeschränkungen) verstossen zu haben, die ihm im Rahmen der zur Bewährung ausgesetzten Strafe auferlegt worden waren. Der Richter entschied dann, dass Jewgeni Witischko wegen dieses Verstosses gegen die Auflagen seine dreijährige Haftstrafe antreten müsse.
Jewgeni Witischko wurde am 3. Februar 2014 von der Polizei festgenommen, als er ein Gebäude der Justizvollzugsbehörden in Tuapse verliess, wo er sich im Rahmen seiner Bewährungsauflagen regelmässig melden musste. Die PolizeibeamtInnen sollen ihm mitgeteilt haben, er werde des Diebstahls verdächtigt. Später wurde er jedoch stattdessen wegen «geringfügigem Rowdytum» angeklagt, weil er am Morgen an einer Bushaltestelle geflucht haben soll. Er wurde noch am selben Tag einem Richter vorgeführt. Der Richter befand Jewgeni Witischko des «geringfügigen Rowdytums» für schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von 15 Tagen. Erst nachdem Jewgeni Witischko seine Strafe angetreten hatte, durfte er mit seinem Rechtsbeistand in Kontakt treten.
Am 12. Februar 2014 wies das Bezirksgericht Krasnodar die Rechtsmittel gegen das Urteil vom 20. Dezember 2013 zurück und bestätigte die Gefängnisstrafe gegen Jewgeni Witischko. Er trat seine Haftstrafe am 18. Februar 2014 an, am 24. Februar wurde er in eine Strafkolonie in der Oblast Tambow überstellt.
Das russische Strafgesetzbuch sieht vor, dass die Aussetzung einer Gefängnisstrafe zur Bewährung massgeblich abhängt von der «Führung des Verurteilten, seiner Lernwilligkeit und Arbeitseinstellung während der Haftzeit. Ebenfalls massgeblich sind in der Haft erhaltene Belobigungen und Tadel […] und die Einschätzung der Vollzugsanstalt, ob eine Freilassung auf Bewährung angemessen ist.»