Umweltschützer wegen fluchens inhaftiert
Jewgeni Witischko wurde am 3. Februar in Haft genommen, wegen „Rowdytums“ angeklagt, weil er „an einer Bushaltestelle geflucht“ hat, und zu einer Haftstrafe von 15 Tagen verurteilt. Amnesty International betrachtet ihn für diese Zeit als gewaltlosen politischen Gefangenen.
Jewgeni Witischko wurde am 3. Februar um etwa 10:30 Uhr von der Polizei festgenommen, als er ein Gebäude der Justizvollzugsbehörden verliess. Er muss dort regelmässig vorstellig werden – eine der Bedingungen der Ausgangssperre, die zu einem Urteil gehört, welches in Zusammenhang mit seinem Umweltaktivismus gegen ihn ergangen ist. Die PolizeibeamtInnen sollen ihm zuerst mitgeteilt haben, er werde des Diebstahls verdächtigt. Später wurde er jedoch stattdessen des Rowdytums angeklagt, weil er an einer Bushaltestelle geflucht haben soll. Auf der Polizeistation wurden seine Fingerabdrücke genommen und sein Mobiltelefon untersucht. Er wurde noch am selben Tag einem Richter vorgeführt. Während der Anhörung bat Jewgeni Witischko darum, seinen Rechtsbeistand sehen zu dürfen, was der Richter ablehnte. Der drängte vielmehr darauf, einen vom Gericht bestellten Rechtsbeistand hinzuzuziehen, was jedoch Jewgeni Witischko ablehnte. Das Gericht weigerte sich zudem, zwei „ZeugInnen“ vorzuladen, die angeblich gehört hatten, wie Jewgeni Witischko an der Bushaltestelle fluchte und eine Aussage gegen ihn unterschrieben hatten. Der Richter befand Jewgeni Witischko des „Rowdytums“ für schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von 15 Tagen. Jewgeni Witischko hat gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt.
Schon in früheren Fällen haben die Behörden gegen zivilgesellschaftlich engagierte Personen Anklage wegen Rowdytums erhoben, um sie davon abzuhalten, an Protesten teilzunehmen. Jewgeni Witischkos KollegInnen glauben, dass seine Inhaftierung mit seiner Arbeit als Umweltschützer zu tun hat und die Behörden ihn „ausser Gefecht setzen“ wollten, weil das Olympische Feuer am 4. Februar die Hauptstadt der Region Krasnodar erreicht und zu diesem Anlass eine Grossveranstaltung stattfindet. AktivistInnen haben Fackelläufe in anderen russischen Städten bereits für ihre Proteste genutzt.
Jewgeni Witischko ist Mitglied der Umweltschutzorganisation „Ökologische Wacht im Nordkaukasus“ (Ecologicheskaya Vakhta po Severnomu Kavkazu). Deren Mitglieder und UnterstützerInnen haben in den vergangenen Monaten wiederholt von Drangsalierungen durch die Behörden berichtet. Tatiana Borisova, die Studentin an der staatlichen Universität von Kuban ist, ist beispielsweise zu einem „Präventivgespräch“ mit dem Dekan ihrer Fakultät geladen worden. Victor Chirikov wurde von der Polizei zu einem „Gespräch“ in Zusammenhang mit einigen von ihm ins Internet gestellten Videoclips geladen. Als er sich weigerte, zu erscheinen, drohten die PolizeibeamtInnen ihm damit, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen.
Hintergrundinformationen
Jewgeni Witischko und andere AktivistInnen protestieren gegen die Abholzung und illegale Bebauung in der russischen Region Krasnodar. Die Stadt Sotschi, Austragungsort der anstehenden Olympischen Winterspiele, liegt in dieser Region. 2012 wurde Jewgeni Witischko in einem politisch motivierten Gerichtsverfahren der Beschädigung eines Zaunes während einer Protestaktion für schuldig befunden und zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Es ging hierbei um eine illegal in einem Waldschutzgebiet errichtete Einzäunung. Die AktivistInnen beschwerten sich bei mehreren Regierungsorganen über die rechtswidrigen Umzäunungen, jedoch ohne Erfolg. In einem der offiziellen Bescheide wurde die Existenz des betreffenden Zaunes sogar gänzlich geleugnet. Am 13. November 2011 versuchten die AktivistInnen, sich Zutritt zu dem Grundstück zu verschaffen, um die Verstösse zu dokumentieren. Während dieser Aktion besprühten einige der AktivistInnen den Zaun mit Graffiti, woran Jewgeni Witischko jedoch nicht beteiligt war. Er war allerdings einer der AktivistInnen, die den Zaun eindrückten, um Aufnahmen von den illegalen Rodungen geschützter Baumarten und dem Gebäude dahinter machen zu können.
Laut Jewgeni Witischkos Rechtsbeiständen lässt das Gerichtsverfahren eine Reihe von grundlegenden Zweifeln an der Begründetheit des Rechtsfalls aufkommen. Zudem waren Unregelmässigkeiten im Verfahren zu beobachten. Dennoch wurde das Urteil von Gerichten höherer Instanzen bestätigt. Der Oberste Gerichtshof hob jedoch im Oktober 2013 die Entscheidung der Vorinstanz, eine Berufung nicht zuzulassen, auf, und unterstützte das Argument von Jewgeni Witischkos Rechtsbeiständen, dass das vorinstanzliche Gericht die Rechtmässigkeit des errichteten Zaunes hätte klären müssen. Zudem wurde von dem vorinstanzlichen Gericht nicht nachgewiesen, dass die Gegenseite tatsächlich die geschädigte Partei war und dass Jewgeni Witischko bei den ihm zur Last gelegten Verstössen in krimineller Absicht gehandelt hatte.
Trotz der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und während die Verfahrensprüfung noch anhängig war, kam das vorinstanzliche Gericht der Kleinstadt Tuapse in Krasnodar zu dem Urteil, dass Jewgeni Witischko in drei Fällen die ihm im Rahmen seiner Bewährungsstrafe auferlegte Ausgangssperre missachtet habe und er seine ursprünglich verhängte dreijährige Gefängnisstrafe verbüssen müsse. Jewgeni Witischkos Rechtsbeistände haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Der Termin für seine Anhörung soll für den 22. Februar 2014 angesetzt worden sein, aber alle Angaben dazu sind mittlerweile von der Webseite des Gerichts verschwunden.