Mutmasslich psychisch Krankem droht Hinrichtung
Der 50-jährige Marshall Gore soll am 1. Oktober im US-Bundesstaat Florida hingerichtet werden. Er wurde wegen eines 1988 begangenen Mordes zum Tode verurteilt. Es ist umstritten, ob er an einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung leidet. Wenn dies zutrifft, würde die US-Verfassung eine Hinrichtung verbieten.
Marshall Gore wurde 1995 wegen des Mordes an Robyn Novick zum Tode verurteilt. Der Leichnam der Frau war am 16. März 1988 in einem ländlichen Gebiet in Miami-Dade County gefunden worden, nachdem man sie vier Tage zuvor als vermisst gemeldet hatte. Das oberste Gericht von Florida (Florida Supreme Court) hob den Schuldspruch 1998 wegen verfahrensrechtlicher Fehler auf Seiten der Staatsanwaltschaft auf. In einem neuen Verfahren wurde Marshall Gore 1999 aber erneut zum Tode verurteilt. Er war bereits 1990 in Columbia County wegen des Mordes an Susan Roark zum Tode verurteilt worden. Die Studentin war im Januar 1988 „verschwunden“; ihr Leichnam wurde zwei Monate später in Florida gefunden. Das oberste Gericht von Florida wies in einer Stellungnahme 2009 darauf hin, dass die Frage der „geistigen Verfassung“ von Marshall Gore während der Verfahren in beiden Fällen „immer wieder Thema“ gewesen sei.
Am 13. Mai unterzeichnete der Gouverneur von Florida, Rick Scott, den Hinrichtungsbefehl für Marshall Gore für das in Miami-Dade verhängte Todesurteil. Der Anwalt von Marshall Gore, der ihn in dem Verfahren vor dem bundesstaatlichen Gericht vertreten hatte, erklärte gegenüber dem Gouverneur, dass sein Mandant nach der US-Verfassung mutmasslich nicht hingerichtet werden könne, weil er „irrational“ sei und man „mit ihm nicht vernünftig Argumente austauschen“ könne. Die Hinrichtung einer Personen, die nicht über die geistige Fähigkeit verfügt, die Gründe und die Konsequenz der Todesstrafe zu verstehen, stellt einen Verstoss gegen die US-Verfassung dar. Entsprechend den rechtlichen Vorschriften in Florida ernannte der Gouverneur des US-Bundestaates ein aus drei PsychiaterInnen bestehendes Gremium, um die geistigen Fähigkeiten des Gefangenen zu beurteilen. Während der Begutachtung teilte Marshall Gore ihnen mit, dass es nach seiner Auffassung eine Verschwörung von BehördenvertreterInnen in Florida gebe, die Organe von Hingerichteten zu sammeln. Ein Senator des Bundesstaates stehe bereits an, um die Augäpfel von Marshall Gore für seinen Sohn zu erhalten. Die PsychiaterInnen kamen zu dem Schluss, dass Marshall Gore eine psychische Erkrankung vortäusche, um der Hinrichtung zu entgehen. Es handelt sich um dieselben PsychiaterInnen, die vor kurzem bei einem anderen Todeskandidaten, John Ferguson, geurteilt hatten, dass seine psychische Beeinträchtigung nicht schwer genug sei, um gegen eine Hinrichtung zu sprechen. John Ferguson litt seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie. Er wurde am 5. August hingerichtet und litt bis zu seinem Tod unter Wahnvorstellungen (s. UA-195/2013: http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-195-2013-1/john-ferguson-hingerichtet).
Der Anwalt, der Marshall Gore vor den US-Bundesgerichten vertrat, brachte vor einem US-Bundesbezirksgericht vor, dass die geistige Kompetenz seines Mandanten dessen Hinrichtung nicht zulasse. Am 18. Juni erklärte ein Richter, es gebe angesichts der verschiedenen „wahnhaften“ Stellungnahmen des zum Tode Verurteilten eine „vernünftige Grundlage“ für die Ansicht, dass er möglicherweise nicht hingerichtet werden dürfe. Der Richter wies darauf hin, dass Marshall Gore seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht hatte, dass seine Hinrichtung festgesetzt worden sei, um „seinen Tod bzw. die Organsammlung als Menschenopfer“ darzubringen. Zudem sei Marshall Gore der Auffassung, das Hinrichtungsdatum 24. Juni stelle in der Summe die Zahlenfolge 6-6-6 dar und dass er aufgrund seiner „jungfräulichen Unschuld im Hinblick auf den Mord zur Zielscheibe von Satansanbietern geworden sei, die dieses Datum seit Jahren per Post ankündigen“.
Am 24. Juni befand das Bundesbezirksgericht, dass der Fall „eine höchst ungewöhnliche Reihe von Umständen“ aufweise, weil Marshall Gore von zwei unterschiedlichen Anwälten vor den Gerichten des Bundesstaates und vor den Bundesgerichten vertreten wurde. Da der Anwalt, der ihn im Verfahren vor dem Gericht des Bundesstaates Florida vertreten hatte, die Frage der geistigen Zurechnungsfähigkeit vor Gericht nicht vorgebracht hatte, kam der Richter des Bundesgerichts zu dem Schluss, dass er diese Frage nicht prüfen könne. Danach übernahm der andere Anwalt die Vertretung von Marshall Gore in den Berufungsverfahren vor den bundesstaatlichen Gerichten. Nachdem bei einem dieser Verfahren im Juni ein von der Verteidigung vorgeladener Experte erklärt hatte, Marshall Gore könne aufgrund seiner geistigen Verfassung nicht hingerichtet werden und zwei der vom Gouverneur eingesetzten PsychiaterInnen dieser Auffassung widersprochen hatten, kam der Richter zu dem Schluss, dass Marshall Gore „versteht, dass er hingerichtet wird, weil er Ms. Novick ermordet hat und dass er durch die Hinrichtung sterben wird“. Am 13. August bestätigte das oberste Gericht des US-Bundesstaates Florida diese Entscheidung.