Hohe Geldstrafen für NGOs
Weil sie sich weigern, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, sind gegen die russische NGO GOLOS sowie vier weitere russische NGOs hohe Geldstrafen verhängt worden. Ihr und vielen anderen NGOs droht die Schliessung, während ihre DirektorInnen möglicherweise strafrechtlich verfolgt werden.
Laut dem Gesetz über „ausländische Agenten“ muss jede NGO, die Gelder aus dem Ausland erhält, sich als eine „Organisation, die Funktionen von ausländischen Agenten ausführt“ registrieren lassen und dieses so auf all ihren Veröffentlichungen kenntlich machen, wenn sie dabei „politischen Aktivitäten“ nachgeht. In dem Gesetz wird „politische Aktivität“ nicht eindeutig definiert. Fünf russische NGOs mussten sich bereits vor Gericht verantworten, wo hohe Geldstrafen gegen sie verhängt wurden. Zuletzt stand am 19. Juni 2013 die LGBTI-Organisation Vyhod („Coming-Out“) vor Gericht. GOLOS ist die erste NGO, gegen die ein Bussgeld verhängt wurde und bisher die einzige, die gegen ihre Strafe Rechtsmittel eingelegt hat. Ihre Berufungsverhandlung fand am 14. Juni statt und blieb erfolglos, was die Entscheidung des Gerichts endgültig macht. GOLOS wird 300.000 Rubel (etwa 7.000 Euro) und ihre Direktorin, Lila Shibanova, weitere 100.000 Rubel (etwa 2.300 Euro) zahlen müssen.
Nachdem das Gesetz über „ausländische Agenten“ im November 2012 in Kraft trat, wurden hunderte Büros von NGOs in ganz Russland von Angehörigen der Staatsanwaltschaft und anderen BeamtInnen „durchsucht“. Dem Gesetz nach drohen DirektorInnen von NGOs, die sich weiterhin weigern, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, möglicherweise strafrechtliche Verfolgung sowie bis zu zwei Jahren Haft. Die NGO würde geschlossen werden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Der vollständige offizielle Name des Gesetzes über „ausländische Agenten“ lautet Bundesgesetz Nr. 121 FZ „zur Einführung von Änderungen bestimmter Gesetzesvorschriften der Russischen Föderation in Bezug auf die Regelung von Aktivitäten nicht-kommerzieller Organisationen, die Funktionen von ausländischen Agenten ausführt“. Das Gesetz wurde am 20. Juli 2012 ohne öffentliche Rücksprache und trotz weit verbreiteter Kritik verabschiedet und trat im November 2012 in Kraft. Es wurde weitgehend dazu genutzt, unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen in ganz Russland Druck, Einschüchterung, Schikane und Verleumdungskampagnen auszusetzen. Im März und April 2013 erhielten hunderte und möglicherweise tausende russische NGOs unangekündigte „Kontroll-“Besuche von Teams der Staatsanwaltschaft, des Justizministeriums, der Steuerbehörde und manchmal anderen, die gesetzliche, finanzielle und andere Dokumente zur Kontrolle forderten und kopierten. DirektorInnen einiger NGOs wurden später bei der Strafverfolgungsbehörde vorgeladen, um sie über ihre Organisationsaktivitäten auszufragen. Zahlreiche NGOs sind offiziell angewiesen worden, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen oder haben Warnungen bezüglich der Dringlichkeit dieser Sache erhalten, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland annehmen und politischen Aktivitäten nachgehen. Wer das Gesetz nicht befolgt, muss mit schweren administrativen und sogar strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Das Gesetz läuft den Verpflichtungen der Russischen Föderation gemäss internationaler Menschenrechtsstandards, darunter auch das Recht auf Vereinigungsfreiheit, zuwider. Russische Behörden haben versucht, die Einführung dieses neuen Gesetzes damit zu rechtfertigen, dass die Transparenz und Verantwortlichkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen sichergestellt werden muss. Und das, obwohl bereits rechtliche Regelungen bestehen, die sicherstellen, dass NGOs detaillierte Berichte über ihre Finanzen und Aktivitäten bei den Behörden einreichen und online öffentlich zugänglich machen. Ausserdem wird die Formulierung „ausländische Agenten“ im russischen Sprachgebrauch negativ mit Spionagetätigkeit assoziiert, was NGOs nicht nur als äusserst beleidigend sondern auch als beabsichtigte Schädigung ihres Ansehens verstehen, die ihre Arbeit in Verruf bringt. GOLOS übernahm bei der Wahlbeobachtung und der Berichterstattung über Wahlbetrugsvorwürfe bei den Parlamentswahlen von 2011 und den Präsidentschaftswahlen von 2012 eine wichtige Rolle. Die Organisation, ihre Mitglieder und ihre zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen wurden Opfer von Verleumdungskampagnen, selbst im nationalen Fernsehen, und von Schikane durch Behörden, die mit den aktuellen Gerichtsverfahren ihren Höhepunkt erreicht hat. Am 15. Mai 2013 hatte Justizminister Aleksandr Konovalov mit der Schliessung von GOLOS durch einen Gerichtsbeschluss gedroht, wenn sich nicht als „ausländische Agenten“ registrieren liessen. Später fügte der Minister hinzu, dass etwa hundert weitere russische NGOs sich als solche registrieren lassen müssten. Gegen das LGBTI Filmfestival Bok o Bok (Seite an Seite), das in Kostroma ansässige Zentrum zur Unterstützung öffentlicher Initiativen und die regionale öffentliche Organisation von GOLOS sind neben GOLOS und Vyhod bereits vor Gericht Bussgelder verhängt worden. Vyhod und Bok o Bok haben jeweils die höchste Geldstrafe von jeweils 500.000 Rubel (etwa 11.600 Euro) erhalten, und gegen den Direktor von Vyhod wurde eine ähnliche Geldstrafe wie gegen die Direktorin von GOLOS verhängt. GOLOS ist die erste NGO, die gegen ihre Strafe Rechtsmittel eingelegt und verloren hat. Die Aktivitäten und selbst die Existenz dieser Organisationen und derer, die ebenfalls aufgefordert sind, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, sind bedroht. Der bekannten Menschenrechtsorganisation Memorial droht ein Gerichtsverfahren mit ähnlichen Anklagepunkten, die ebenso zu hohen Geldstrafen führen könnten. Insbesondere Memorial wurde von russischen Behörden im Zusammenhang mit ihrer Zusammenarbeit mit dem UN-Ausschuss gegen Folter in einem Briefing über Russland im Oktober 2012 als „ausländische Agentenorganisation“ eingestuft, ohne dabei zu beachten, dass die Kooperation mit UN-Menschrenrechtsorganen bei NGOs üblich ist. Die Gerichtsverfahren, in denen unter dem neuen Gesetz hohe Geldstrafen gegen NGOs verhängt wurden, lassen ernsthafte Bedenken über die Unparteilichkeit und Grundsätze eines fairen Gerichtsverfahrens aufkommen. Während der Gerichtsverhandlungen gegen GOLOS haben die Richter die Argumente der Verteidigung nicht beachtet, darunter auch die Tatsache, dass die NGO keine ausländische finanzielle Unterstützung erhält, was laut dem Gesetz ein wesentliches Merkmal eines „ausländischen Agenten“ darstellt. Zuvor hatte die NGO den Sacharow-Preis für geistige Freiheit vom norwegischen Helsinki-Komitee erhalten. Trotz der Zurückweisung der an den Preis geknüpften Geldsumme wurde dies als Beweis für ausländische finanzielle Unterstützung gewertet und führte zu den anschliessenden Gerichtsurteilen.