Ein Mitglied von Pussy-Riot freigelasssen, die beiden anderen weiter in Haft
Am 10. Oktober ist Pussy-Riot-Mitglied Ekaterina Samutsevich vom Moskauer Stadtgericht auf Bewährung und unter Auflagen freigelassen worden. Die Haftstrafen für Maria Alekhina und Nadezhda Tolokonnikowa wurden aufrechterhalten.
Am 1. Oktober, dem ersten Tag der Berufungsverhandlung, erklärte Pussy-Riot-Mitglied Ekaterina Samutsevich, dass sie aufgrund «unterschiedlicher Standpunkte» den Vertrag mit dem sie bisher vertretenden Anwaltsteam auflösen und sich einen neuen Rechtsbeistand nehmen wolle. Die Verhandlung wurde dann auf den 10. Oktober vertagt.
Ekaterina Samutsevichs neue Anwältin erklärte, ihre Mandantin hätte «nicht gesungen, gebetet oder getanzt, sie kam nicht einmal dazu, sich die Gitarre umzuhängen». Sie sagte ausserdem, dass in der Vorinstanz «nicht geklärt wurde, welche Rolle Ekaterina Samutsevich bei der Aktion spielte, obwohl ihre Handlungen sich sehr von denen der anderen Beteiligten unterschieden.» Das Gericht berücksichtigte dies und verhängte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Die bereits in Haft verbrachte Zeit wird auf die Strafe angerechnet. Samutsevich erhielt die Auflage, sich zu bestimmten Zeiten bei der Polizei zu melden. Ihr wurden zudem verschiedene andere Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit auferlegt. «Dies ist nicht der letzte Erfolg», stellte ihre Anwältin fest und schloss die Möglichkeit, das Urteil anzufechten, nicht aus.
Das Anwaltsteam von Maria Alekhina und Nadezhda Tolokonnikova plant, gegen die aufrechterhaltenen Haftstrafen Rechtsmittel einzulegen. Die beiden Mitglieder von Pussy Riot haben bei der Strafvollzugsbehörde bereits entsprechende Gesuche eingereicht um sicherzustellen, dass sie ihre Strafe weiterhin im Moskauer Untersuchungsgefängnis verbüssen können. Dies soll auch künftig eine angemessene Rechtsvertretung sowie regelmässigen Kontakt zu ihren Familien gewährleisten und das Risiko von möglichen Misshandlungen verringern.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Seit ihrer Gründung im Jahr 2011 tritt die feministische Punkband Pussy Riot an öffentlichen Orten wie der Moskauer U-Bahn, dem Roten Platz in Moskau und auf Busdächern auf. In Interviews haben die Gruppenmitglieder den Medien gegenüber erklärt, dass sich ihr Protest unter anderem gegen die Einschränkung der Rechte auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit in Russland richtet sowie gegen unfaire politische Prozesse und die Konstruktion von Strafanklagen gegen Oppositionelle.
Der Protestsong Virgin Mary, redeem us of Putin („Jungfrau Maria, erlöse uns von Putin“) wurde am 21. Februar 2012 von mehreren Mitgliedern der Gruppe Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale aufgeführt. Während des Auftritts trugen die Sängerinnen Sturmhauben. Das Protestlied ruft die Jungfrau Maria dazu auf, eine Feministin zu werden und Vladimir Putin zu verbannen. Es kritisiert ausserdem die Unterstützung Putins durch einige Angehörige der Russisch-Orthodoxen Kirche. Der Auftritt war Teil der breiten Proteste gegen Putin und unfaire Wahlen in Russland.
Nadezhda Tolokonnikova, Maria Alekhina und Ekaterina Samutsevich, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, wurden im März wegen „von einer organisierten Gruppe geplantem Rowdytum aufgrund antireligiösen Hasses oder Feindseligkeit gegenüber einer sozialen Gruppe“ angeklagt. Die ersten beiden Sachverständigengremien konnten weder „antireligiösen Hass“ noch eine „feindselige Haltung gegenüber einer sozialen Gruppe“ als Motive für die Aktion ausmachen. Erst ein drittes Sachverständigengremium sah darin das Tatmotiv. Während der Voruntersuchung und nach Eröffnung der Verhandlung wiesen die VerteidigerInnen mehrmals auf die Verletzung der Vorgaben für ein faires Strafverfahren hin. Sie gaben ausserdem ihrer Besorgnis darüber Ausdruck, dass das Gericht ihnen und ihren Mandantinnen weniger Zeit als üblich zur Sichtung des Belastungsmaterials und Vorbereitung der Verhandlungsstrategie einräumte. Der Fall wurde mit grosser Eile vor Gericht gebracht und das Strafverfahren selbst dauerte nur acht Tage. Die Verhandlungstage begannen häufig am Morgen und endeten erst um 22 Uhr. Angesichts ihres zwei- bis dreistündigen An- und Abtransports wurden die Angeklagten weder angemessen mit Nahrung versorgt, noch bekamen sie ausreichend Schlaf oder konnten sich auf den nächsten Verhandlungstag vorbereiten.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine dreijährige Haftstrafe gefordert. Am 17. August verurteilte ein Gericht in Moskau die drei Frauen zu zwei Jahren Haft. Am Vorabend der Berufungsanhörung sagte Präsident Putin, er halte ihre Inhaftierung für richtig. Auch billigte er die Entscheidung des Gerichts für ein Strafmass von zwei Jahren und sagte, er habe nichts damit zu tun und der ganze Fall sei künstlich „aufgebauscht“ worden. „Sie wollten es und sie haben es bekommen“, so Putin.
Der Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale hatte eine breite Diskussion in Blogs, sozialen Netzwerken und den Medien nach sich gezogen und führte sowohl zu unterstützenden als auch zu kritischen Reaktionen.
Russische und internationale Kunstschaffende, darunter Sting, Madonna, Stephen Fry und Yoko Ono, haben die Freilassung der drei Frauen gefordert. Nach der Urteilsverkündung hat die Russisch-Orthodoxe Kirche öffentlich erklärt, dass Strafverfahren und Urteil gerecht verlaufen und angemessen seien, die Regierung den Frauen gegenüber jedoch Nachsicht zeigen solle.
Während der Urteilsverkündung am 17. August wurden vor dem Gerichtsgebäude zahlreiche überwiegend friedlich Protestierende festgenommen.