Oppositioneller gefoltert
Andrei Sannikau, einer der Präsidentschaftskandidaten der Opposition bei den Wahlen vom 19. Dezember, ist in der Haft gefoltert worden. Laut Angaben seines Anwalts sind seine Beine gebrochen. Zudem deuten die Sprechweise und die Körperhaltung von Andrei Sannikau darauf hin, dass er eine Hirnschädigung erlitten hat. Er muss dringend medizinisch behandelt werden.
Andrei Sannikau war verletzt worden, als die Polizei am 19. Dezember in Minsk eine Protestkundgebung gegen mutmasslichen Wahlbetrug auflöste. Laut Angaben von AugenzeugInnen griff die Polizei ihn tätlich an und drückte ihn mit einem Schutzschild zu Boden. Dann sollen mehrere Angehörige der Polizei auf ihn gesprungen sein und ihm schwere Verletzungen an den Beinen zugefügt haben. FreundInnen wollten den Verletzten ins Krankenhaus fahren, aber die Polizei hielt das Fahrzeug an, zerrte Andrei Sannikau heraus und nahm ihn fest. Laut Angaben von AugenzeugInnen hatte er zu jenem Zeitpunkt keine Kopfverletzungen. Seine Ehefrau Iryna Khalip, die mit Andrei Sannikau in dem Fahrzeug sass, wurde ins Gesicht geschlagen und ebenfalls festgenommen.
Der Anwalt von Andrei Sannikau durfte ihn am 20. Dezember in der Haft besuchen. Seinen Angaben zufolge hatte Andrei Sannikau neue Schnittwunden und Blutergüsse an Armen, Gesicht und Kopf. Er konnte nicht stehen und war kaum in der Lage sich zu bewegen. Die neuen Verletzungen deuten darauf hin, dass Andrei Sannikau in der Haft erneut geschlagen worden ist. Der Anwalt beschrieb den Zustand seines Mandanten als „erschreckend“ und sagte, dass seine Sprechweise und seine Körperhaltung auf eine Hirnschädigung hindeuteten.
Amnesty befürchtet, dass Andrei Sannikau eine bleibende Hirnschädigung und weitere Verletzungen davontragen könnte, wenn er nicht sofort in ein Krankenhaus eingeliefert wird, in dem er die erforderliche medizinische Versorgung erhält. Zudem besteht die Gefahr, dass der Oppositionelle erneut gefoltert wird, solange er sich in Polizeigewahrsam befindet.
Hintergrundinformationen
Andrei Sannikau ist ein bekannter belarussischer Aktivist. Er war Redakteur der Charter 97, einer unabhängigen Nachrichtenwebsite. Bei den Wahlen am 19. Dezember trat er als einer der Kandidaten der Opposition für das Präsidentschaftsamt an. Der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko gewann die Wahl mit knapp 80 Prozent der Stimmen.
Die Opposition hatte bereits im Vorfeld der Wahlen ihre UnterstützerInnen dazu aufgerufen, sich nach den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember im Zentrum von Minsk zu versammeln. Fast 30.000 Demonstrierende kamen zusammen und marschierten ungehindert zum Parlamentsgebäude. Sicherheitskräfte stoppten den Verkehr, um die Protestierenden passieren zu lassen. Gegen 21 Uhr versammelten sich die Demonstrierenden vor dem Parlament, und mehrere Oppositionsführer hielten Reden. Eine Gruppe von etwa 20 maskierten und mit Schlagstöcken bewaffneten Männern, die neben dem Eingang stand, rief gegen 22 Uhr die Menge dazu auf, das Regierungsgebäude zu stürmen, und begann, Fenster einzuschlagen. AugenzeugInnen berichten, dass Mykalau Statkevich, der zu diesem Zeitpunkt eine Rede hielt, die Menge aufforderte, friedlich zu bleiben. Kurz nach Ausbruch der Unruhen erschien die Bereitschaftspolizei und räumte den Platz.
Zahlreiche Oppositionelle hat man während der Demonstrationen und in der Folgenacht festgenommen. Andrei Sannikau wurde während der Auflösung der Proteste verletzt und auf dem Weg ins Krankenhaus von PolizistInnen festgenommen. Seine Ehefrau, Iryna Khalip, die ihn begleitet hatte, berichtete einem russischen Radiosender live von dem Vorfall. Uladzimir Nyaklyayeu wurde auf dem Weg zur Demonstration von Angehörigen der Sicherheitskräfte geschlagen und anschliessend aus der Intensivstation eines Krankenhauses von PolizistInnen verschleppt. Unter den Inhaftierten befindet sich auch Natalya Radzina, die für die Nachrichtenwebsite Charter 97 verantwortlich ist. Insgesamt hat man 18 Oppositionelle festgenommen.
Amnesty International ist der Ansicht, dass die Betroffenen nur aufgrund der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäusserung inhaftiert wurden, und betrachtet sie als gewaltlose politische Gefangene, wenn man sie wegen der Organisation oder Teilnahme an den Demonstrationen vom 20. Dezember verurteilt.