Gewerkschafter riskiert nach wie vor Zwangsuntersuchung
Der ukrainische Gewerkschafter Andrei Bondarenko musste sich einer ursprünglich für den 13. Dezember 2010 angesetzten psychiatrischen Untersuchung doch nicht unterziehen. Er ist der Ansicht, dass der Druck durch die Öffentlichkeit sowie die internationale Aufmerksamkeit, die sein Fall nicht zuletzt dank der Appelle durch das Eilaktionsnetz erhalten hat, dazu beigetragen haben.
Der Anwalt von Andrei Bondarenko legte 2010 vor dem Gericht für Kriminal- und Zivilfälle Rechtsmittel gegen die verordnete psychiatrische Untersuchung ein. Er wurde bisher jedoch nicht über ein mögliches Anhörungsdatum informiert. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Andrei Bondarenko oder seinen Anwalt im Voraus über eine etwaige Anhörung in Kenntnis zu setzen und könnte diese auch ohne deren Anwesenheit durchführen. Wenn das Gericht die Rechtsmittel zurückweist, könnte Andrei Bondarenko nach wie vor eine psychiatrische Untersuchung drohen. Eine solche Untersuchung wäre in der Region Vinnicja wahrscheinlich nicht unparteiisch, da auf die zuständigen ÄrztInnen grosser politischer Druck ausgeübt werden könnte. Auch das bisherige Verhalten von ÄrztInnen der psychiatrischen Klinik, die Andrei Bondarenko gegen seinen Willen untersuchen wollten, lässt auf Parteilichkeit schliessen. Amnesty International bezweifelt stark die Notwendigkeit einer weiteren psychiatrischen Untersuchung an Andrei Bondarenko. Falls die eingelegten Rechtsmittel jedoch zurückgewiesen werden und der Gerichtsbeschluss aufrechterhalten wird, so sollte eine solche Untersuchung unparteiisch und in Übereinstimmung mit internationalen Berufsstandards von PsychiaterInnen der psychiatrischen Vereinigungen der Ukraine, die über gerichtsmedizinische Kompetenzen verfügen, durchgeführt werden.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Bei Andrei Bondarenko ist in der Vergangenheit niemals eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden. Er liess sich bislang drei Mal freiwillig untersuchen, zuletzt im Oktober 2010. Jedes Mal wurde ihm geistige Gesundheit bescheinigt. Die Staatsanwaltschaft nannte als Begründung für ihren Antrag auf eine psychiatrische Untersuchung des Gewerkschafters unter anderem sein „überzogenes Bewusstsein für die eigenen und die Rechte anderer und seine ungezügelte Bereitschaft, diese Rechte auf unrealistische Weise zu verteidigen“.
Im Jahr 2007 beantragte die Staatsanwaltschaft Vinnicja zwei Mal bei MitarbeiterInnen des Gesundheitsamts der Stadt, Andrei Bondarenko auch gegen seinen Willen psychiatrisch untersuchen zu lassen. Der erste Antrag wurde im Juli 2007 von einem Richter mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Krankenhaus den Antrag nicht vorschriftsmässig formuliert habe. Nachdem Andrei Bondarenko freiwillig einen Psychiater des Krankenhauses von Vinnicja aufgesucht und dieser ihm geistige Gesundheit bescheinigt hatte, wurde im August auch der zweite Antrag abgelehnt.
Im Januar 2009 wurde Andrei Bondarenko vor seinem Haus festgenommen und später angeklagt, der Anordnung der Polizei, sich auszuweisen, nicht Folge geleistet zu haben. Er wurde zu zehn Tagen Verwaltungshaft verurteilt, allerdings drei Tage vor Ablauf der Haftzeit erneut einem Gericht vorgeführt. Dort legte die psychiatrische Klinik der Region zum dritten Mal einen Antrag auf Untersuchung seiner psychischen Verfassung vor. Aus dem Krankenhaus verlautbarte, Andrei Bondarenko habe zu einem früheren Zeitpunkt selbst eine psychiatrische Untersuchung beantragt – was der Gewerkschafter bestreitet – und es wurde eine Vollmacht vorgelegt, welche die ÄrztInnen des Krankenhauses ermächtigt, bei der Anhörung vor Gericht die Interessen Andrei Bondarenkos zu vertreten. Dieser dritte Antrag wurde jedoch ebenfalls vom Gericht abgewiesen.
Nach dem vierten Antrag auf Untersuchung seiner psychischen Verfassung reiste Andrei Bondarenko im August 2010 in die 100 Kilometer südlich von Vinnicja gelegene Stadt Gaisin, um dort mittels einer psychiatrischen Untersuchung seine geistige Gesundheit nachweisen zu können. Diese wurde ihm attestiert, woraufhin der Antrag auf Untersuchung von Andrei Bondarenko abgewiesen wurde. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft jedoch Rechtsmittel ein und reichte zusätzlich zu den Zivilprozessen auch strafrechtliche Anklagen gegen Andrei Bondarenko ein, weil er falsche Daten genutzt haben soll, um die Untersuchung im August durchführen zu lassen. Nach der Veröffentlichung der vorhergehenden Urgent Actions und dem öffentlichen Interesse an dem Fall wurden die Anklagen gegen Andrei Bondarenko am 29. November 2010 fallen gelassen. Die gerichtliche Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung von Seiten des Gerichts in Vinnicja vom 29. Oktober 2010 wurde am 23. November 2010 vom Berufungsgericht bestätigt. Derzeit prüft das Oberste Gericht der Ukraine die eingelegten Rechtsmittel.